Lüdenscheid. Seit der Sperrung der A 45 fehlt dem „Angellädchen“ in Lüdenscheid Kundschaft. Der verstorbene Opa hatte ihn einst eröffnet. Wie es weitergeht.
In der Anzeige der Kasse stehen vier grüne Nullen, fein säuberlich getrennt durch ein Komma. Das Display des Taschenrechners auf dem Verkaufstresen leuchtet ebenfalls auf: null. Bezeichnend. „Finanziell ist das eine Katastrophe“, sagt Heike Sieling-Laudien (46). Gemeinsam mit ihrer Tochter Aylina Vogt (23) steht sie in einem Laden für Anglerbedarf in Lüdenscheid, der da, wo er ist, keine Zukunft hat. Schuld ist die Sperrung der maroden Talbrücke Rahmede an der A 45, der den Laden an der Umleitungsstrecke in einer Flut aus Fahrzeugen untergehen lässt. Aber es geht um mehr als nur Geld.
Der Angelladen ist das Einzige, was geblieben ist
„Das war sein Baby“, sagt Aylina Vogt. Ihr Opa hat den Laden vor mehr als 20 Jahren eröffnet. Angeln war sein Leben, der Laden irgendwann erst recht. Sonntags hat er immer einmal kurz aufgeschlossen, um nach dem Rechten zu sehen. Für Feierlichkeiten wie Hochzeiten hat er sich im Laden umgezogen. Und wenn die Enkelin kam, dann durfte sie dem Opa bei der Arbeit zusehen.
„Ich bin hier fast aufgewachsen“, sagt Aylina Vogt. 2017 starb der Opa mit Mitte 60 überraschend. Aylina und die Mama tragen ein Tattoo des Todestages auf dem Handgelenk. Ein Grab gibt es nicht, der Opa wünschte sich eine Seebestattung bei Kiel. „Der Laden ist damit das einzige, was uns geblieben ist.“ Aylina – Hauptberuf Heilerziehungspflegerin – ist die Inhaberin, Mama Heike – Frührentnerin – steht im Laden, früher sechs Mal die Woche, mittlerweile nur noch dreimal. Mehr lohnt sich derzeit nicht.
Drei Kunden in der Woche sind derzeit schon viel
Angelbedarf ist fraglos eine Nische. Viele Angelläden gibt es nicht, dieser trägt die Verniedlichung sogar im offiziellen Namen: „Angellädchen“. Dort werden keine Millionen umgesetzt und es hängen auch nicht mehrere Hundert Arbeitsplätze an diesen paar Quadratmetern Fläche, auf denen bunte Wobbler und Posen angeboten werden. Aber es gibt eben viel Stammkundschaft und sogar Touristen, die zum Angeln in die Region kommen und das, was sie brauchen, dort kaufen.
5000 Euro Umsatz im Monat hätten sie früher gemacht, als die Autobahn noch nicht gesperrt war, als die Kundschaft aus dem Umkreis in das Geschäft gekommen sei. Wenn sie jetzt auf drei Kunden und 100 Euro Umsatz pro Woche kämen, dann wäre das schon viel. „Opa hätte nicht gewollt, dass wir unsere privaten Ersparnisse in den Laden stecken“, sagt Sieling-Laudien, nimmt einen letzten Zug ihrer Zigarette und drückt sie im Aschenbecher aus.
Typischer Sauerländer: ein Brummkopp mit einem Herz aus Gold
Deswegen wird der Laden bald nicht mehr der sein, den sie kannten. Sie fangen woanders neu an – und hoffen, dass der Opa es ihnen verzeiht. Ein typischer Sauerländer sei der gewesen, „ein Brummkopp mit einem Herz aus Gold“, sagt Heike Sieling-Laudien. Die Enkelin erinnert sich, dass sie ihren Opa nur zweimal hat umarmen dürfen: Einmal als sie ihm zum 60. Geburtstag ein eigenes Gedicht vortrug, das ihn so sehr rührte. Und einmal als er ihr in einer Wissensfrage unrecht getan hatte. Der Opa war das Zentrum dieser Familie, so erzählen sie das. Und ein bisschen ist er es heute noch.
+++ So kurios geht es mit der Familie unter der A-45-Brücke weiter +++
„Ich habe mich lange gegen den Umzug gewehrt, aber es geht nicht anders“, sagt Aylina Vogt. Denn es ist beschlossen, sogar die ersten Kartons sind schon gepackt: das Angellädchen, über das kurz nach der Sperrung bundesweit berichtet wurde, hat es ein Jahr lang im Lärm und Dreck der vielen Fahrzeuge ausgehalten und zieht nun fort: innerhalb Lüdenscheids, aber weg von der Umleitung. Nächste Woche, spätestens aber Anfang Januar soll Neueröffnung sein. „Ansonsten hätten wir für immer dicht machen müssen.“
Tochter und Enkelin haben ebenfalls einen Angelschein
Das wäre schon gar nicht im Sinne des Opas gewesen. Die Leidenschaft fürs Angeln hatte er von seinem Vater. Sein Tochter und seine Enkelin haben längst auch einen Angelschein. Wie es der Opa nun findet, dass sein Baby bald woanders wohnt, wissen sie nicht. Sie glauben nur, dass er als der Sauerländer Brummkopp, der er war, manchmal heute noch Bilderrahmen von der Wand fallen lässt, wenn ihm etwas nicht passt. Bislang hängt aber alles noch.