Bad Berleburg. Der Berleburger Oliver Junker-Matthes lebt mit seiner Familie in einem Haus, das nicht ans Stromnetz angeschlossen ist. Wie das geht? Ein Besuch.
Bis zum Ende der Welt ist es von dort vermutlich nicht mehr weit. Eine Straße führt nicht an diesen Ort, nur ein Waldweg, der sich ausdünnt. Das Navigationssystem kennt die Adresse nicht. Sie liegt irgendwo in den Bad Berleburger Wäldern, 650 Meter hoch. Dort wohnt Oliver Junker-Matthes mit seiner Familie. In einem Haus, das so allein liegt, dass es nicht einmal ans Strom- oder Wassernetz angeschlossen ist. Wenn also einer vor diesem Energiesparwinter weiß, wie man spart, dann er. „Ich will den Leuten die Angst nehmen vor dem vermeintlichen Mangel“, sagt der 56-Jährige, früher Punker, danach Berleburger Bürgermeisterkandidat und jetzt im Hauptberuf solo-selbstständiger Waldarbeiter.
Kein Strom aus dem öffentlichen Netz, sondern nur von der PV-Anlage
Im Haus gibt es keine Lichtschalter neben der Tür oder die Steckdosen darunter. „Wir nutzen keinen Fernseher, haben keine Spülmaschine, kein Küchenallzweckgerät“, sagt Junker-Matthes. Den wenigen Strom, den er braucht, liefert eine Photovoltaikanlage draußen auf der Wiese: sechs mal 270 Watt Spitzenleistung plus Speicher.
Die Wasserpumpe wird damit betrieben, die das Quellwasser aus der Zisterne ins Haus befördert; der Kühlschrank, der aber an diesem Wochenende ausgeschaltet wird. Dann wird es kalt genug sein, die Lebensmittel im Vorraum des Hauses sicher zu lagern. Und natürlich die Waschmaschine.
Wäsche waschen: Aber wie, wenn die Sonne nicht scheint?
Die PV-Anlage ist recht neu, ein Jahr alt, sie liefert mehr Energie als die alte. Im Sommer waren die Speicher um elf Uhr voll, sagt Junker-Matthes. „Gerade jetzt im Winter kommt es vor, dass es neblig ist, dass über die Photovoltaikanlage kein Strom erzeugt werden kann“, sagt er. Dann könne man die Wäsche vielleicht erst am nächsten Tag waschen. Oder müsse den Generator anwerfen. „Wir schränken uns ein und planen, wann wir Strom brauchen“, sagt er.
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Junker-Matthes sitzt im Esszimmer und wischt die Krümel vom Tisch. Unweit von ihm spendet ein Holzofen Wärme, der zum Kochen verwendet wird. Für ganz Eiliges gibt es einen Gasherd. Drei Kessel mit Wasser stehen auf dem Ofen. Ein Kessel, gemischt mit dem kalten Wasser aus der Leitung, reicht für einmal Abwasch, sagt Junker-Matthes. Da, wo der Abwasch gemacht wird, sind zwei LED-Lampen angebracht: einmal 0,6 Watt, einmal 1,2 Watt sagt er. „Extra beschriftet.“
Kein Anschluss an Strom, Wasser, Abwasser, Telefon
Er zeigt nach oben. Esszimmerlämpchen: ein Watt. Dreht sich um und zeigt in die Ecke des Zimmers, wo gerade der Akku seiner funkgesteuerten Seilwinde auflädt und eine Lampe angeklemmt ist. 2,4 Watt, sagt er. „Dort, wo wir Licht brauchen, haben wir einzelne Lampen angebracht.“ Aber sie bräuchten nicht viel. „Wir haben trotz früher Dunkelheit wenig Licht an. Oft sind wir um 20 Uhr im Bett.“ Computer, Handy und WLAN sind vorhanden. „Nachts schalten wir den Router aus. Jedes Watt zählt.“
Vor 30 Jahren ist er dorthin gezogen: Ihm und ein paar Gleichgesinnten, die vorher in Bauwagen lebten, schwebte eine alternative Lebensform vor: im Kollektiv, aber von anderen unabhängig, am besten auf einem einsamen Gehöft. In Bad Berleburg wurden sie fündig. 150.000 Mark. Der Vorbesitzer bestand damals darauf, dass kein Anschluss an Strom, Wasser, Abwasser oder Telefon erfolgt, sagt Junker-Matthes. Das hat sie nicht abgeschreckt. Im Gegenteil. „Im Dorf hat man vermutlich gedacht und gehofft, dass wir nach dem ersten Winter wieder weg sind“, sagt er und lächelt milde. Sogar eine Räumungsklage habe es gegeben.
Was sagen die drei Kinder zu so viel Verzicht?
Unten im Dorf kennt und schätzt man die Familie schon lange. Die Kinder sind mittlerweile erwachsen, 27, 25 und 21 Jahre alt, haben studiert oder tun das noch. Die Tochter ist mit dem Enkelchen gerade länger zu Besuch, es schläft draußen im Kinderwagen, wo nur der Flügelschlag der Vögel zu hören ist. Wie kamen und kommen die Kinder zurecht mit dem Verzicht?
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Sie sind das oft gefragt worden. Der Vater kennt deswegen die Antwort. „Es fehlte ihnen an nichts“, sagt er. Einen Gameboy habe es nicht gegeben, den habe aber auch keiner vermisst. „Wenn sich Ronjas Freundinnen auf dem Schulhof über die neuesten Fernsehsendungen unterhalten haben, dann konnte sie nicht mitreden“, räumt er ein: „Dafür beneiden sie heute viele um ihre Kindheit im Wald, in der Natur. Unsere Kinder sind trotzdem gut geraten. Ich sage ,trotzdem’, weil ich weiß, dass sich anfangs viele unten im Dorf über die Wilden hier oben gewundert haben.“
Das Sofa vom Sperrmüll als Teil von wahrem Wohlstand
Junker-Matthes will jenen Mut machen, die dem Verzicht ängstlich entgegenblicken. Er steht auf und klappt die Decke zurück über die Ecke des kleinen Sofas. Uralt sei das, vom Sperrmüll. „Die Katze hat das Polster schon aufgekratzt. Und was mache ich damit? Decke drauf, dann haben wir wieder ein Sofa.“ Er lächelt zufrieden. „Das ist doch wahrer Wohlstand: Denn dann habe ich wieder ein Sofa vor einem warmem Ofen in einem trockenen Haus. Was will ich mehr?“
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30 Jahre lang, sagt er, hätten die Menschen über ihre Verhältnisse gelebt. Der Verbrauch von Ressourcen müsse verringert werden, „um ein enkeltaugliches Leben zu führen“. Seine Botschaft ist, dass es auch anders geht. Sparsamer.
Duschen zur Reinigung, nicht als halbstündige Wellnessbehandlung
„Wenn wir duschen, müssen wir vorher schauen: Haben wir genug warmes Wasser?“, sagt er. Es wird in einem Boiler von Feuer erwärmt. „Das Wasser ist bei uns zum Reinigen da, nicht für eine halbstündige Wellnessbehandlung.“
Verzicht, das Gebot der Stunde, ist längst seine Lebensmaxime. „Dass das jetzt alle spüren, verschafft mir keine Genugtuung, sondern eher Frust, weil ich denke: Ich habe kein Abi, ich habe nicht studiert, bin aber auch nicht blöd. Wenn ich es verstehe, warum nicht deutlich mehr Menschen auch?“