Hagen. Die Krisen sind spürbar und Verzicht ist das Wort der Stunde: Warum Ökonomie-Professor Niko Paech die schweren Zeiten auch als Chance betrachtet.

In diesen von Krisen geprägten Zeiten werde sichtbar, wie sehr der Mensch über seine Verhältnisse lebe, sagt Wachstumskritiker Niko Paech, der an der Universität Siegen als außerplanmäßiger Professor im Bereich der Pluralen Ökonomie lehrt. Ein Gespräch.

Ukraine-Krieg, Energiekrise, Materialengpässe – und aus der Politik die Empfehlung, kürzer zu duschen. Beobachten Sie die Menschen dabei, wie sie sich auf Verzicht vorbereiten?

Niko Paech: Als Sozialwissenschaftler beobachte ich, wie Menschen auf Krisen reagieren. Dies erfolgt auf unterschiedliche Weise. Manche igeln sich ein in einer Trutzburg der Ansprüche und verlangen von der Politik, den aktuellen Wohlstand gemäß einer Vollkasko zu sichern.

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Was wäre besser?

Die aktuellen Krisen bieten eine Chance, endlich Abschied zu nehmen von einer Lebensführung, die auf Anmaßung und ökologischer Plünderung, keineswegs auf Leistungsgerechtigkeit beruht. Der Wohlstand wäre auf ein Maß zurückzuführen, das uns auf einem ressourcenbegrenzten Planeten bei gerechter Verteilung zusteht.

Wie meinen Sie das?

Eine Anspruchsmäßigung auf Seiten derer, die über ihre Verhältnisse leben, bedeutet keinen Verzicht, sondern hieße, globale Gerechtigkeit wiederzustellen. Die moderne Industriegesellschaft hat unser Verständnis von Leistungsgerechtigkeit ins Bizarre verdreht: Stetige Einkommenserhöhungen gelten angesichts einer vermeintlich gestiegenen Arbeitsproduktivität als „verdient“, obwohl sich der menschliche Beitrag zur Güterproduktion zunehmend auf Symbolhandlungen und die bequeme Bedienung von Apparaturen reduziert. Damit fallen die Ansprüche auf physische Güter und der eigene physische Beitrag zu deren Entstehung immer weiter auseinander, was auf einem begrenzten Planeten nur im Chaos enden kann.

Niko Paech
Niko Paech © Zwei-Mal-M

Das in der Krise sichtbar wird?

So abscheulich der Krieg in der Ukraine ist, so schrecklich Corona war und ist: Diese Art Krisen holen uns auf den Boden der Realität zurück, den wir ohnehin früher oder später erreicht hätten. An den Preissteigerungen jetzt können wir erkennen, wie sehr wir über unsere Verhältnisse gelebt haben. Nur ein Beispiel: Wie kann es sein, dass wir eine Landwirtschaft aufgebaut haben, die nicht in erster Linie dazu dient, Nahrungssicherheit in Deutschland herzustellen, so dass wir im Ernstfall auch ohne Importe auskommen?

Ein Auswuchs der Globalisierung.

Globale und selbst europäische Wertschöpfungsketten mögen Kostenvorteile bringen, aber eben auch Risiken, denn sie können reißen. Auf Gaslieferungen aus Russland zu setzen, war nicht falsch, weil das Gas besser anderswo hätte beschafft werden sollen, sondern weil mehr Wohnraum geschaffen wurde, als auf Basis eigener Energievorkommen beheizt werden kann. Handel zwischen Ländern wird es immer geben und das ist auch gut so. Aber die Zeit der maßlosen Globalisierung ist vorbei. Diese Ideologie hatte so viel Schwung, dass der Bremsweg lang ist. Zukünftig werden Nahrungs- und Energieautonomie als Kriterien an Bedeutung gewinnen, denn wer ökonomisch abhängig ist, ist erpressbar.

Von Energieautonomie ist Deutschland ein gutes Stück entfernt.

Richtig, aber ich erwarte nicht, dass wir im Winter zu wenig Gas haben, sondern dass es sehr teuer wird und viele Haushalte mit immensen zusätzlichen Kosten konfrontiert sein werden. Aber zur Wahrheit gehört auch: In den vielen Haushalten, deren Finanzierung auf Kante genäht ist, werden nicht selten ein bis zwei Autos gefahren, wird mindestens einmal im Jahr in den Urlaub geflogen, werden Konsumschlachten zu Weihnachten veranstaltet, Restaurants besucht und digitale Endgeräte im Halbjahrestakt angeschafft. Es existieren finanzielle Einsparpotenziale in Bereichen, die aus Nachhaltigkeitsgründen ohnehin auf den Prüfstand gehören.

Tun Sie nicht jenen Unrecht, die wirklich zu wenig Geld haben?

Natürlich, aber das ist bei Betrachtung absoluter Einkommens- und Güterausstattungen ein sehr geringer Teil der Gesellschaft, der im nachprüfbaren Bedarfsfall gezielt – nicht per Gießkanne – zu schützen ist. Die populäre Rede von der Armut verkennt, dass sich in Mitteleuropa ein relativer Begriff von Armut etabliert hat. Das heißt, es werden Menschen als arm oder armutsgefährdet deklariert, wenn sie weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens erzielen. Aber das sagt absolut nichts über deren Lebensstandard.

Sie predigen seit vielen Jahren, dass der moderne Lebensstil in die Krise führt und ein Ende haben muss. Dafür ernteten Sie auch Kritik. Spüren Sie Genugtuung?

Moment mal, ich predige nicht, sondern vertrete Thesen und Prognosen und wenn die sich insofern bewahrheiten, dass die Krisen zunehmen, empfinde ich keine Genugtuung. Es zeigt sich, dass eine realitätsferne Gesellschaft offenbar nur durch negative Erfahrungen lernt.

Wenn überhaupt. Verzweifeln Sie manchmal? Werden Sie nicht verrückt, wenn Sie sehen, dass viele Menschen für Ihre Argumente nicht zugänglich sind?

Die Frage verstehe ich nicht: Ich bin 61, mich stört das doch alles nicht mehr. Ich sehe mich eher als ein emotionsloser Beobachter der Geschehnisse. Aber die sind manchmal so bizarr, dass ich anfange, es humorvoll zu betrachten.

Zynismus als letztes Mittel?

Die moderne Gesellschaft leidet unter Selbstüberschätzung. Es wird darauf vertraut, dass Bildung und Aufklärung permanent technologische und politische Fortschritte hervorbringen. Aber haben wir die Barbarei wirklich überwunden oder nur demokratisiert? Leider scheinen viele moderne Menschen selbst angesichts herannahender Katastrophen die Erfüllung noch so abstruser Begehrlichkeiten durchsetzen zu wollen. Diese Zivilisation bekommt früher oder später, was sie verdient.

Das klingt nach Resignation.

Ganz und gar nicht. Immerhin steigt eben auch die Anzahl derjenigen, die bereit sind, Konsequenzen zu ziehen. „Fridays for Future“ war eine sehr sanfte, eher technologie-konforme Bewegung, „Extinction Rebellion“ schon überzeugender – und mit dem „Aufstand der letzten Generation“ erleben wir eine härtere Gangart, die einen gesellschaftlichen Grundkonflikt aufdeckt: Mit welchem Recht werden ohne Not ökologisch ruinöse Handlungen ausgeführt? Das wird früher oder später unvermeidlich zu Konfrontationen führen. Nicht auszuschließen ist, dass irgendwann SUV-Fahrer, Kreuzfahrtpassagiere und Flugreisende, die aus purem Luxus verantwortungslos handeln, zur Rede gestellt werden, was in einem friedlichen Rahmen erfolgen kann. Wenn Politik und Technologie versagen, ist es nur logisch, dass sich die Zivilgesellschaft selbst hilft.

Wo ist die Linie? Was ist Luxus?

Was soll zu beanstanden sein, wenn Alleinerziehende aus dem Hochsauerland ein Auto nutzen? Wenn ein Kraftwerk ans Netz geht, weil ein dringend benötigtes Krankenhaus anders nicht betrieben werden könnte, reden wir über basale Bedürfnisse. Wenn das Kraftwerk aber Tablets und Spielkonsolen von Fünfjährigen aufladen soll, gibt es Gesprächsbedarf.

Gibt es andere, vielleicht weniger eindeutige Beispiele?

Selbst dekorierte Wissenschaftler sprechen sich zuweilen für einen kerosintriefenden Schüleraustausch mit anderen Kontinenten aus oder raten Abiturienten, sich erstmal mit einer Weltreise zu belohnen, die verharmlosend „work and travel“ genannt wird. Das sind ökosuizidale Handlungen, ohne deren Existenz niemand erkranken oder sterben würde, die aber als Teil einer progressiv erscheinenden Ideologie zur Normalität wurden.

Ist Genügsamkeit erlernbar?

Das gelingt am ehesten, wenn wir uns Reduktionsmaßstäbe setzen. In Familien lässt sich Genügsamkeit spielerisch erlernen: Wie lange schaffen wir es, ohne eine Autofahrt? Wie oft können wir Urlaub machen, ohne zu fliegen? Man kann sogar einen Blick auf den Gas- oder Stromverbrauch werfen und sich vornehmen, ihn um zehn Prozent zu senken.

Mussten Sie sich umstellen?

Ich habe mich schlicht den Steigerungsexzessen verweigert: Als Flugreisen, Autos, Akkuschrauber, Smartphones und all die anderen Güter immer günstiger wurden, fragte ich mich, wer mir eigentlich das Recht gibt, meinen bis dato auskömmlichen Lebensstandard immer weiter zu erhöhen. Mehr als über Konsum freue ich mich wie ein Schneekönig, wenn ich ein Gerät reparieren kann, das andere ausrangieren wollten.

<<< Zur Person >>>

Niko Paech (geboren am 9. Dezember 1960) ist außerplanmäßiger Professor im Bereich der Pluralen Ökonomik an der Universität Siegen und bundesweit als Wachstumskritiker bekannt.

Sein Vertrag sieht jene 20-Stunden-Woche vor, die er gern flächendeckend umgesetzt sähe. Paech sagt, dass er nie ein Handy besaß, keine Flugreisen mache und kein Auto nutze. Fleisch habe er zuletzt vor 40 Jahren gegessen und die Kleidung, die er lange trage, kaufe er nur biologisch und fair produziert.