Hagen/Lüdenscheid. Baurecht vielleicht im Herbst, ein Unternehmen für den Neubau schon Anfang 2023: Nach dem Minister-Besuch lässt sich ein Zeitplan entwerfen.
Weil jedes Wort wichtig sein kann, verbesserte sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) schnell selbst. Er war in der vergangenen Woche nach Lüdenscheid gereist, um sich die einsturzgefährdete und deshalb gesperrte Talbrücke Rahmede an der Autobahn 45 anzusehen – und sich auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Bis spätestens zum 18. Dezember soll die Brücke gesprengt werden, das wurde bei dem Termin öffentlich. Wissing, so sagte er, sei „ziemlich zuversichtlich“, ähm, Pardon, nein, „sehr zuversichtlich“, dass das auch gelingen wird. Auch in anderen Fragen lässt sich nach und nach ein klareres Bild vom Zeitplan zusammensetzen.
Wann liegt Baurecht vor?
Die Autobahn GmbH Westfalen trägt derzeit alle Unterlagen zusammen, um sie an das Fernstraßenbundesamt (FBA) in Leipzig zu übermitteln. Dort wird entschieden: Handelt es sich um einen Ersatzneubau und damit einen Fall unwesentlicher Bedeutung, bei dem die formalen Verfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung und Einspruchsfristen umgangen werden können? Oder ist die Brücke auch wegen ihrer leicht vergrößerten Dimensionen ein Neubau?
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„Wir hoffen, dass wir mit einem Fall unwesentlicher Bedeutung durchkommen“, formuliert Stephan Krenz, Geschäftsführer der Autobahn GmbH in Berlin. Das hieße aber nicht, dass erforderliche Maßnahmen nicht ergriffen würden. Umweltplanung, Artenschutz, Landschaftspflege, Naturschutzbehörden, Feuerwehr – an alle Belange sei gedacht, sagt Krenz. „Ich gehe davon aus, dass wir im Herbst mit dem FBA zusammenkommen und dass dann die Entscheidung über das Verfahren fällt.“
Das ist die A45-Talbrücke Rahmede
Interessant: Die Erneuerungen der Lennetalbrücke sowie der Talbrücken Sterbecke und Büschergrund (alle an der A 45) sind bereits als Fälle unwesentlicher Bedeutung durchgewinkt worden. Die Problematik war bei der Lennetalbrücke dieselbe: Auch sie sollte auf sechs Spuren erweitert werden und ist entsprechend gebaut worden. Da zunächst nur vier Spuren in Betrieb genommen wurden, galt dies nicht als relevant. Ein juristischer Trick, wenn man so will. Der gleiche Plan gilt daher für die Rahmedetalbrücke: für sechs Spuren vorbereiten, erstmal nur vier benutzen – und die Genehmigung für sechs später einholen.
Was ist denn nun mit der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP)?
Minister Wissing ließ sich in Lüdenscheid im Gespräch mit hochrangigen Abgesandten der Autobahn GmbH erklären, dass die Durchführung einer UVP erheblich Zeit kosten würde – von bis zu einem Jahr ist die Rede. „Das ist ja dann eine wichtige Debatte“, sagte er daraufhin – und es klang als sei es ihm erst in diesem Augenblick klar geworden, was natürlich unwahrscheinlich und damit eine haltlose Unterstellung ist. Trotzdem: Im Gespräch mit den Unternehmern der Region am vergangenen Donnerstag sprach er sich gegen eine UVP aus. Es heißt, in anderen Kreisen habe er unter Zeugen schon das Gegenteil behauptet.
+++ Vorwürfe der Verzögerung aus NRW an den Bund +++
Klar ist: Die UVP ist zum Reizthema geworden. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) besteht auf eine Durchführung, um aktuelle Standards für zukünftige Bauten nicht einzureißen, und fordert den Minister auf, Fakten zu schaffen. „Wir erwarten, dass der Minister eine klare Ansage macht und den Zustand der Ungewissheit endlich beendet“, sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter des BUND in NRW.
Warum kann man in Genua schneller bauen?
Zwei Jahre nach ihrem Einsturz stand die Morandi-Brücke in Genua wieder. Möglich wurde das vor allem durch die Berufung eines Sonderbeauftragten, der mit außerordentlichen Befugnissen ausgestattet wurde: Alle Fäden liefen bei einer Person und dessen Beraterstab zusammen. Wissing sagt, dass man das Vorgehen in Italien genau geprüft habe – und nur wenig übernehmen könne. „Die italienische Verfassung enthält eine Regelung, in der die Regierung quasi per Dekret einen solchen Neubau anordnen kann“, sagt Wissing. Dies sei ein großer Unterschied zum deutschen Grundgesetz. „Dieses Sonderrecht der Regierung führt dazu, dass man einen Sonderbeauftragten braucht, der das ungewöhnliche Verfahren vor Ort steuert und umsetzt.“ Ein Übertrag auf Deutschland mache keinen Sinn.
Wann wird die Brücke nun fertig?
„Fünf Jahre seit Sperrung sind realistisch“, sagt Elfriede Sauerwein-Braksiek, Direktorin der Autobahn GmbH Westfalen. „Dabei bleibe ich. Und das wäre schon Rekordzeit.“ Sie sagt aber auch: Jeden Tag, den es schneller geht, wäre ganz wunderbar. Wissing selbst meint: „Ich habe nie fünf Jahre in den Mund genommen. Mein Anspruch ist es, schneller zu bauen!“
Es besteht zumindest Hoffnung. Derzeit wird die Ausschreibung des Neubaus vorbereitet, die noch dieses Jahr veröffentlicht werden soll. „Frühestens Anfang 2023 werden wir den Unternehmer haben“, sagte Sauerwein-Braksiek im Interview mit dieser Zeitung vor einigen Wochen. Vorbereitende Maßnahmen müssen dann ergriffen werden: Versorgungsleitungen verlegen, Baustraßen anlegen, Material besorgen. Geschätzte Dauer dafür: ein halbes bis Dreivierteljahr.
Die Bauzeit liegt nach Schätzung der Bau-Branche und der Autobahn GmbH bei etwa zwei Jahren. Eine Rechnung mit vielen Unbekannten, gewiss. Aber eine Fertigstellung gute vier Jahre nach Sperrung scheint bei optimalem Verlauf keine Utopie zu sein.