Lüdenscheid. Verkehrsminister Volker Wissing ist in Lüdenscheid eingetroffen und besucht die Rahmedetalbrücke. Kritik kommt von der NRW-Landesregierung.

Um 10.56 Uhr fährt die dunkle Limousine mit Bonner Kennzeichen vor. Ihr Passagier: Volker Wissing (FDP), Bundesverkehrsminister. Als er aussteigt, steht er erstmals leibhaftig in Lüdenscheid unter der Brücke, die mittlerweile vermutlich ganz Deutschland kennt. Die Talbrücke Rahmede, als maroder Teil der A45 wegen Einsturzgefahr seit Dezember gesperrt und deswegen aktuell eines der größten Infrastrukturdesaster in Deutschland. WDR, ZDF, n-tv, ProSieben, ARD, RTL senden die Botschaft hinaus in die Welt. „Da ist sie also, das Schätzchen“, sagte Wissing als er ausgestiegen ist und den Blick nach oben richtet.

„Ich bin heute hier, um mich über den Fortgang der Arbeiten zu erkundigen und um mit Bürgern und Betroffenen ins Gespräch zu kommen“, sagt Wissing, als er in Empfang genommen worden war. Stephan Krenz, Geschäftsführer des Autobahn GmbH des Bundes, sowie Elfriede Sauerwein-Braksiek, Direktorin der Autobahn GmbH Westfalen, erklärten dem Minister die Besonderheiten der Brücke und der Umgebung. Er ließ sich erklären, wo die geologischen Schwierigkeiten bei der Gründung liegen, wie die Schäden an der Brücke entstehen konnten und was die nächsten Schritte sein werden. „Ich weiß, wie hart die Menschen hier in ihrem Alltag betroffen sind“, sagt Wissing. „Ich bin seit meinem Amtsantritt am 8. Dezember mit dieser Brücke befasst und wir haben alle Maßnahmen umgesetzt, um das Verfahren maximal zu beschleunigen.“

+++ Das erwartet Minister Wissing in Lüdenscheid +++

Welche Maßnahmen das genau sind, wird der Minister bei einer späteren Pressekonferent sowie im Austausch mit den Bürgern ab 15.30 Uhr noch genauer erklären müssen. Dann besteht für alle Bürgerinnen und Bürger (im Innenhof der Stadtwerke Lüdenscheid) die Möglichkeit, dem Minister die Fragen zu stellen, die auf der Ebene vielleicht noch nicht gestellt werden konnten. Lüdenscheids Bürgermeister Sebastian Wagemeyer, gleichzeitig Bürgerbeauftragter des Brückenprojekts, appelliert an die Bürger seiner Stadt, diese Gelegenheit zu nutzen.

„Der Besuch des Bundesverkehrsministers ist für uns alle eine Chance“, sagt Wagemeyer in einer Videobotschaft an die Bürger, „wer selbst hat, wie sich der Verkehr auf der A 45 und speziell in Lüdenscheid darstellt, sieht die Probleme mit anderen Augen. Wer mit den betroffenen Menschen vor Ort spricht und in ihre Gesichter blickt, spürt den dringenden Handlungsbedarf. Deswegen appelliere ich an Sie alle: Bitte nehmen sie an dem Bürgergespräch teil und setzen Sie ein Zeichen, dass Lüdenscheid und die Region schnelle Hilfe brauchen.“

Was schnell ist, darüber gibt es bislang unterschiedliche Auffassungen: Die Autobahn GmbH Westfalen geht davon aus, dass es fünf Jahre braucht, bis die neue Brücke befahrbar sein wird. Die SIHK setzte Wissing zuletzt erneut unter Druck, dass dies schneller gehen müsse. In Genua war die 2018 eingestürzte Morandi-Brücke nach zwei Jahren neu gebaut. Noch immer herrscht zum Teil der Eindruck, die große Politik in Berlin habe die Dringlichkeit noch nicht ganz wahrgenommen.

Deswegen ist es Wagemeyer ein solches Anliegen, den heutigen Tag zu nutzen. „Ich hoffe, dass zahlreiche Bürgerinnen und Bürger an dem Gespräch teilnehmen, dass Sie Fragen stellen, Erfahrungen, Sorgen, Probleme und Ängste eindrücklich und emotional, aber auch sachlich und konstruktiv schildern. Dass Sie klarmachen, dass die Verkehrssituation unerträglich ist und dass wir alle dringend eine Perspektive und schnelle Lösung brauchen.“

Der Geduldsfaden der Wirtschaft droht allmählich zu reißen. Höhere Kosten durch verlängerte Wegstrecken und gestiegenen Zeitaufwand sowie erste Kündigungen von Fachkräften stehen zu Buche, ohne dass es augenscheinlich mit der Lösung des Brückenproblems in halbwegs annehmbarem Tempo vorwärts ginge. „Unsere Forderung lautet: Fünf Jahre minus X. Ich bin mir sicher: Dauert der Brückenneubau wirklich fünf Jahre, werden wir die Region nicht wiedererkennen“, unterstreicht die Logistikexpertin Gudrun Winner-Athens aus Iserlohn die Forderung nach einem Ende der Sperrung in Rekordzeit. Falls erforderlich müsse, es dazu dann auch sondergesetzliche Regelungen geben. „Immerhin geht es hier um die Zukunft der Industrieregion Nr. 1 in NRW“, so Winner-Athens am Morgen. Im Anschluss an das Bürgergespräch am Nachmittag soll Bundesminister Wissing einer Runde von mehreren Dutzend Unternehmerinnen und Unternehmern aus Südwestfalen Rede und Antwort stehen. Beispielsweise, was der von Wissing initiierte und hoch gelobte Lenkungskreis unter der Führung der Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium Susanne Henckel bislang an Beschleunigung gebracht habe.

NRW-Umwelt- und Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne), der heute auch vor Ort sein wird, fordert einen verbindlichen Zeitplan für den Neubau der Brücke, ein Beschleunigungskonzept und schnellere Entscheidungen. „Es ist nicht erkennbar, dass das Vorhaben Rahmede-Talbrücke als ein Sonderfall vom Bundesverkehrsministerium mit Nachdruck verfolgt wird“, heißt es darin. Zuerst hatte der WDR über das Papier berichtet.

Das kritische Papier aus dem NRW-Verkehrsministerium enthält laut Überschrift „Vorschläge zum Spitzengespräch“. Unter anderem fordert NRW Entlastungsmaßnahmen, damit der Fern- und Schwerverkehr Lüdenscheid weiträumig umfährt. So könne als Anreiz für den Umweg und die damit verbundene längere Wegstrecke etwa die streckenabhängige Lkw-Maut für die zusätzliche Wegstrecke ausgesetzt werden.

Auf Krischers Kritik angesprochen, sagt Wissing, dass man schon bei der Wahrheit bleiben müsse: „Die Brücke wird mit maximaler Beschleunigung vorangetrieben. Wir haben eine Steuerungsgruppe eingesetzt, die alle Möglichkeiten prüft und umsetzt. Zudem haben wir eine Änderung des Fernstraßenbundesgesetzes umgesetzt.“