Lüdenscheid. Die Sauerlandlinie A45 ist gesperrt, der Verkehr kollabiert: Anwohner, Pendler und Lkw-Fahrer verzweifeln an den Dimensionen der Staus.
Der Mann wohnt, wo jetzt das Chaos regiert. Ein Lkw aus Rumänien rollt an ihm vorbei, einer aus Slowenien, der nächste aus Polen, dazwischen Autos, nichts als Autos. „Ich wohne seit mehr als 80 Jahren hier“, sagt Hans Schirm, „aber so etwas habe ich noch nicht gesehen. Das ist Wahnsinn, das absolute Chaos.“
Vollsperrung der Autobahn 45: Schäden an der Rahmetalbrücke
Der 83-Jährige steht an der Heedfelder Straße in Lüdenscheid. Die Straße, die jetzt all jene benutzen, die sonst auf der Autobahn 45 unterwegs wären. Zum nächsten Termin, zur nächsten Spedition. Die Königin der Autobahn, die Schlagader Südwestfalens, die allerdings zwischen Lüdenscheid und Lüdenscheid Nord voll gesperrt ist, weil die Rahmedetalbrücke offenbar Schäden aufweist, die eine weitere Benutzung unmöglich macht. Die Autobahn-Gesellschaft überraschte mit der Neuigkeit am Donnerstagnachmittag. Seitdem geht nichts mehr in und um Lüdenscheid. Für wie lang? Weiß niemand. Mindestens bis Mitte nächster Woche.
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„Das kann doch nicht so weitergehen. In der ganzen Stadt geht gar nichts, selbst auf den Nebenstraßen. Ich lasse das Auto schon direkt stehen, hat keinen Sinn“, sagt Schirm und fragt sich: „Kann man nicht wenigstens eine Fahrspur auf der A 45 freigeben?“
Umwege durch Lüdenscheid kosten Zeit und Nerven
Kann man anscheinend nicht, zumindest wenn man kein Risiko eingehen will. Am Freitagnachmittag staut sich der Verkehr vor den beiden Anschlussstellen auf jeweils acht Kilometer. Die Route durch Lüdenscheid kostet Zeit – und Nerven, da auch noch beampelte Baustellen – wie auf der L 561, wo der Verkehr nur einspurig fließt – zum Nadelöhr werden.
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Für die Anwohner auf Lüdenscheider Stadtgebiet und im weiteren Umfeld im Märkischen Kreis ist die Situation kaum aushaltbar. „Die gesamte Strecke ist eine große Baustelle“, sagt Thomas Walter, Lehrer in Meinerzhagen. Von seinem Wohnort in Hagen pendelt er jeden Tag über die A 45. Normalerweise. Gestern hat er den großen Umweg über Breckerfeld und Kierspe genommen. Eine Stunde dauerte die Fahrt. „Sonst brauche ich circa 35 Minuten von Haus zu Haus.“ Auf seinem Weg sieht er Lkw, deren Fahrer von ihren Navis über Straßen gelotst werden, die nicht für solche Fahrzeuge gemacht sind.
Ampelschaltungen werden verändert, Baustelle wird beendet
„Die Umleitungsstrecken sind überlastet“, erklärt Marit Schulte-Zakotnik, Pressesprecherin der Stadt Lüdenscheid. Doch momentan ließe sich vonseiten der Stadt wenig machen. Für die nächsten Tage sollen die Ampelschaltungen der Hauptumleitungsstrecken verlängert werden, um diese zu entlasten. Die Baustelle auf der Heedfelder Straße wird kurzfristig beendet und weitere geplante Baustellen verschoben. In der nächsten Woche sollen die Maßnahmen weiter auf die aktuelle Situation und die Ergebnisse angepasst werden.
Am Freitag hilft das noch nicht. „Sch...ße“, sei das alles, sagt ein Mann, der für eine Reinigungsfirma unterwegs nach Hagen ist. Normalerweise wäre er jetzt schon bei seinem Termin. Für die vier Kilometer zur Autobahnauffahrt wird er noch 45 Minuten brauchen.
Viereinhalb Stunden Verspätung auf 140 Kilometern Fahrt
Hinter ihm ein Lkw. Seine Route nach Essen betrug 140 Kilometer, als er losfuhr. Die Hälfte hat er schon. Verspätung: viereinhalb Stunden, sagt sein Navi.
Hinter ihm ein Mann, der nur ins Fitnessstudio will. Auf dem Weg, den er sonst nimmt, drehte er – kein Durchkommen. Nun steht er hier. Er trägt es mit Fassung.
Den Verantwortlichen bei der neuen Autobahn GmbH ist die extreme Belastung durchaus bewusst. Vom „Supergau“ für die Anwohner sprach die Direktorin von Autobahn Westfalen, Elfriede Sauerwein-Braksiek am Freitagmittag bei einer ersten Zwischenbilanz zum Brückenschaden.
Dimensionen wie an der Leverkusener Brücke? „Dann können wir uns warm anziehen“
Klaus Gräbener, Chef der Industrie- und Handelskammer Siegen mit vielen Unternehmen, die auf Transporte von Süd nach Nord und umgekehrt angewiesen sind, sprach von einer „bösen Weihnachtsüberraschung. Es ist ganz bitter für die Menschen in Lüdenscheid.“ Aus Kammersicht gehe trotz allem „Sicherheit vor Schnelligkeit“ bei den Überprüfungen. Allerdings: „Wenn es Dimensionen wie bei der Leverkusener Brücke annimmt, dann können wir uns warm anziehen“, sagt Gräbener.
Ein weiteres Problem für die Pendler ist, dass durch die Flut im Sommer die Schienenverbindung zwischen Lüdenscheid und Hagen weiterhin noch nicht funktioniert und der Schienenersatzverkehr per Bus nun auch im Stau stehen dürfte.