Lüdenscheid/Hagen. Nach der Sperrung der Autobahn 45 bei Lüdenscheid haben sich die Verkehrsströme stark verändert. Doch die Zahlen dazu werfen Rätsel auf.

Neulich, das erzählt Sebastian Wagemeyer, Bürgermeister der Stadt Lüdenscheid, habe er jemanden in der Bürgersprechstunde gehabt, der seine Sorgen und Nöte schilderte – und darüber in Tränen ausbrach. „Wir reden hier von einer dramatischen Verschlechterung der Lebensqualität für viele Bürger entlang der Ausweichrouten“, sagt Wagemeyer mit Blick auf die Sperrung der maroden Autobahnbrücke Rahmede bei Lüdenscheid, die ihm den Verkehr in die Stadt spült; die dazu führt, dass Bürger nicht mehr schlafen oder die Fenster zum Lüften öffnen können. Acht Wochen nach der Sperrung am 2. Dezember hat sich die Verkehrslage in der Stadt zwar etwas verbessert, doch die Ausweichstrecken nehmen zu wenige. Wo sind die denn alle?

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1. Wie viele Fahrzeuge nehmen den Weg durch Lüdenscheid? Nach Zahlen der Autobahn GmbH sind auf dem Abschnitt der A 45 nördlich der Sperrung jeden Tag noch mehr als 23.000 unterwegs – etwa ein Drittel davon Lkw. Im Süden ein ähnliches Bild (siehe Grafik). Vor allem die Lkw sind ein Problem. „Wir gehen davon aus, dass es etwa 4500 Lkw täglich sind, die durch Lüdenscheid fahren, ohne dass ihr Ziel Lüdenscheid oder die nahe Umgebung wäre“, sagt Bürgermeister Wagemeyer.

2. Wie viele Fahrzeuge nehmen die Autobahn-Umleitung?
Gewünscht wäre, dass möglichst viele Lkw den Umweg über die von der Autobahn GmbH Westfalen ersonnenen weiträumigen Nord-Süd-Ausweichstrecken nehmen: entweder durchs Rheinland (A 1, A 3, A 4) oder über Hessen (A 44 und A 7). Doch auf diesen Strecken, das belegen aktuelle Zahlen, nehmen die Lkw-Zahlen nur moderat zu – und die Pkw-Zahlen sogar stark ab. Erklärungsansätze? „Das ist ein nicht ganz unbekanntes Phänomen. Als wir vor einigen Jahren die A 40 drei Monate lang sperren mussten, war der Verkehr auch nicht eins zu eins auf Ausweichstrecken wiederzufinden. Menschen gewöhnen sich an neue Situationen und ändern ihr Verhalten“, heißt es von der Autobahn GmbH in Westfalen.

Verkehrsströme nach der Sperrung der A 45.
Verkehrsströme nach der Sperrung der A 45. © WP Zentrale | Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW

„Pkw müssen gesondert betrachtet werden“, fügt Thomas Müther vom ADAC in NRW an: „Die Zahlen erklären sich durch das Infektionsgeschehen. Ist es hoch, nimmt der Verkehr ab, weil viele Berufspendler im Homeoffice sind.“ Bei den Lkw aber ließe sich ein klarer Zusammenhang mit der Sperrung der A 45 erkennen. Um mehr als acht Prozent stieg die Lkw-Quote zum Beispiel auf der A 1 bei Burscheid.

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3. Sind die Ausweichstrecken überfüllt?
Das sind sie bislang nicht, sagt der Experte vom ADAC. Das sei gut und schlecht zugleich. „In den zwei Wochen nach der Sperrung hatten wir 13 bis 18 Prozent mehr Lkw auf diesen Strecken – das bringt die ohnehin stark belasteten Routen im Rheinland an die Grenzen“, sagt Müther. Diese Zahl hat sich reguliert. Wie es aber wird, „wenn sich bei nachlassendem Infektionsgeschehen mehr Menschen auf die Autobahn begeben“ müsse man sehen. Für eine abschließende Analyse sei es noch zu früh. Doch: Je weniger die Umleitung nehmen, desto mehr tauchen in Lüdenscheid auf.

4. Was bedeutet der Verkehr für die Lüdenscheider Straßen? „An einigen Stellen zeigen sich erste Risse in den Straßen“, sagt Bürgermeister Wagemeyer: „Wir brauchen uns keinen Illusionen hinzugeben, wie diese Straßen aussehen, wenn sie vier, fünf Jahre dieser Last ausgesetzt sind. Dann erwarten wir natürlich, dass die Straßen wieder hergerichtet werden.“ Bis dahin? Ist es nicht einfach. „Uns steht eine schwere Aufgabe in den kommenden Jahren bevor: Die Infrastruktur auf der Umleitung in Lüdenscheid verkehrssicher zu erhalten“, sagt Andreas Berg von Straßen NRW: „Wir können nirgendwo die Fahrbahn erneuern, ohne gravierenden Eingriff in den fließenden Verkehr.“ Das meint zum Beispiel eine einspurige Verkehrsführung mit Ampel. „Dann wäre das Chaos perfekt.“