Hagen/Iserlohn. Der Strafprozess um die Iserlohner Abfindungsaffäre verzögert sich weiter. Das Gericht lässt die Verhandlungsfähigkeit eines Angeklagten prüfen.
Als hohe Stadtvertreter vor drei Jahren dem Ordnungsamtsmitarbeiter und Lokalpolitiker Ugur Ünal die Auflösung seines Arbeitsvertrags mit einem Brutto-Betrag von 266.000 Euro versüßten, ahnte niemand, dass sich die Justiz bis heute mit der Sache beschäftigen muss. Und auch wenn sich Ünal und die Stadt Iserlohn am 15. Februar vor dem Landesarbeitsgericht Hamm treffen, wird weiter Zeit ins Land gehen.
Denn ein möglicher Strafprozess vor dem Landgericht Hagen verzögert sich mehr als zwei Jahre nach der Anklageerhebung gegen Ünal (Vorwurf: Beihilfe zur Untreue) sowie den früheren Iserlohner Bürgermeister und dessen damaligen Personalchef (Vorwürfe: Untreue) weiter.
Zwei Gutachter beauftragt
Grund: „Die Strafkammer lässt derzeit die Verhandlungsfähigkeit eines Angeklagten durch zwei Sachverständigengutachten prüfen“, so Gerichtssprecher Christian Potthast gegenüber der Westfalenpost. Es seien Gutachten bei einem forensischen Psychiater und einem Neuropsychologen in Auftrag gegeben worden.
Die vielen Monate ohne juristischen Fortgang, eine offenbar aussichtslose Arbeitsplatzsuche, soziale Ausgrenzung sowie gehässige Bemerkungen in sozialen Medien über den vermeintlichen „Abzocker“ haben Spuren bei Ugur Ünal hinterlassen: „Meine Frau und ich haben so langsam keine Kraft mehr“, sagt er, „wir haben doch schon fast alles verloren.“
Prekäre finanzielle Situation
Die finanzielle Situation des ehemaligen Stadtmitarbeiters ist prekär: Nach mehr als 100 Absagen bei Stellenbewerbungen („mein Name ist seit der Affäre verbrannt“) lebt der zweifache Familienvater Ünal mittlerweile von Hartz IV.
Das Jobcenter hat soeben einen Antrag auf Hilfe zum Lebensunterhalt mit Hinweis auf sein Vermögen abgelehnt und ihm lediglich ein Darlehen in Höhe von 86 Euro monatlich gewährt. „Auf meinem Konto befindet sich die Abfindungssumme. Aber ich komme ja nicht an das Geld“, klagt der 40-Jährige, „weil es im Mai 2019 von der Staatsanwaltschaft Hagen im Rahmen eines Vermögensarrests eingefroren wurde.“
Stadt fordert Abfindung zurück
Erst ein für ihn erfolgreicher Strafprozess vor dem Landgericht Hagen, so scheint es, könnte diesen Zustand beenden. Die zuständige Strafkammer des Landgerichts hatte Ünal zunächst von einer Anklageerhebung wegen Beihilfe zur Untreue entbunden. Das Oberlandesgericht Hamm kassierte die Entscheidung.
Vor dem Landesarbeitsgericht am Dienstag, 15. Februar, geht es um eine Klage der Stadt Iserlohn gegen Ünal, in der die Kommune die Abfindungssumme aus dem Aufhebungsvertrag zurückfordert, den sie selbst mit ihrem Ordnungsamtsmitarbeiter abgeschlossen hatte. „Seinerzeit wurde die Netto-Summe in Höhe von 177.000 Euro auf mein Konto überwiesen. Bevor das Geld von der Staatsanwaltschaft Hagen eingefroren wurde, habe ich nichts davon angerührt“, so Ünal.
Rückabwicklungsvertrag bereits 2019 unterzeichnet
Und weiter: „In der Klage fordert die Stadt von mir nicht etwa die 177.000 Euro, sondern gut 300.000 Euro. Wegen Zinsen und entgangener Steuern.“ Der 40-Jährige kann nicht verstehen, wie er sagt, dass die Stadt ihn für einen Fehler haftbar machen wolle, den sie selbst begangen habe. „Kommt sie damit durch, bin ich am Ende. Ist ein solches Verhalten menschlich?“
Ünals Anwalt Daniel Wüstrich verweist unter anderem auf einen von beiden Seiten ausgehandelten Rückabwicklungsvertrag aus dem November 2019, den Ünal unterschrieben hatte und mit dem er die Abfindung zurückgezahlt hätte. „Der Vertrag wurde von der Stadt Iserlohn nie gegengezeichnet.“
Ünal will Frieden für seine Familie
Auch weitere Versuche seines Mandanten, sich gütlich mit der Stadt zu einigen, verpufften nach Wüstrichs Darstellung. Ünal habe mehrfach angeboten, wieder einer Beschäftigung bei der Stadt nachzugehen: „Sein Anliegen war weniger, die Abfindungssumme zu behalten. Er will einfach Frieden für sich und seine Familie.“
Zusammen mit seinem Anwalt habe er immer wieder in Verhandlungen mit Verantwortlichen der Stadt Iserlohn eine Lösung des Problems gesucht, klagt Ünal. „Die haben mich hingehalten und in Kauf genommen, dass ich jetzt zahlungsunfähig bin.“
Hoffnungen in Bürgermeister gesetzt
Seine Hoffnung, dass sein ehemaliger politischer Weggefährte in der Wählergemeinschaft GFI (Gemeinsam für Iserlohn), Michael Joithe, nach dessen Wahl zum Iserlohner Bürgermeister im November 2020, Schwung in die verfahrene Situation bringt, erfüllten sich Ünal zufolge nicht.
Die Stadt Iserlohn wollte sich auf Anfrage dieser Redaktion mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht dazu äußern, woran bislang eine Lösung scheitert. Ebenso wollte man sich nicht zur persönlichen Situation des Hartz IV-Empfängers äußern.
Stadt Iserlohn will sich nicht äußern
Letztlich blieb die Stadt auch die Antwort auf die Frage schuldig, in welcher Höhe sie bislang in der Abfindungsaffäre finanzielle Aufwendungen für Anwälte, Gutachter, Finanz- und Steuerfachleute geleistet hat.
Es ist viel Zeit ins Land gegangen, seit die Iserlohner Abfindungsaffäre ihren Ursprung nahm. Ugur Ünal hat in den drei Jahren viele Illusionen verloren. Und doch sagt er: „Ich bin nach wie vor zu einer Einigung mit der Stadt bereit.“