Iserlohn/Hagen. Nach wie vor gibt es keinen Termin für den Strafprozess in der Iserlohner Abfindungsaffäre. Das lange Warten zehrt an dem Angeklagten Ugur Ünal.

Wenn man Ugur Ünal nach seinem Befinden fragt, klingt er wie ein Fußball-Trainer, der vor mehr als zwei Jahren den Klassenerhalt verpasst hat und bis heute mit einem ramponierten Image leben muss. „Ich habe einen beispiellosen beruflichen und sozialen Abstieg hinter mir“, sagt der 40-jährige Hobby-Fußballer, eine der Hauptfiguren der sogenannten Iserlohner Abfindungsaffäre.

Anfang 2019 hatte der Ordnungsamtsmitarbeiter von der Stadt Iserlohn eine Abfindung in Höhe von 266.000 Euro erhalten. „Man wollte mich unbedingt loswerden“, sagt er, „dass ich in der Verwaltung arbeitete und gleichzeitig in der Wählergemeinschaft GFI (Gemeinsam für Iserlohn) kommunalpolitisch aktiv war, kam nicht bei allen im Rathaus und bei den Parteien gut an.“

Anklage im Dezember 2019 eingereicht

Die Abfindungszahlung sorgt für großen Wirbel. Politisch wie auch juristisch: Letztlich klagte die Staatsanwaltschaft Hagen ihn im Dezember 2019 wegen Beihilfe zur Untreue an. Der Termin für den Strafprozess vor dem Landgericht Hagen steht nach wie vor nicht fest.

Ein weiteres Verfahren läuft vor dem Arbeitsgericht Iserlohn. Die Stadt Iserlohn hatte ihren Ex-Mitarbeiter auf Rückzahlung der Abfindung verklagt. Einen Vergleichsvorschlag des Gerichts lehnten beide Seiten ab. In Kürze könnte ein Urteil des Arbeitsgerichts gesprochen werden.

Bislang sind alle Verhandlungen zwischen Ünal und der Stadt zur Rückabwicklung des damaligen Auflösungsvertrages gescheitert. Und auch wegen des ungewissen Strafprozess-Termins fehlt Ünal jegliche Perspektive. „Ich habe wegen des schwebenden Verfahrens keine Chance, rehabilitiert zu werden. Und bin zugleich in der Stadt als vermeintlicher Krimineller abgestempelt und ausgegrenzt“, sagt Ünal desillusioniert. Er beklagt auch die „Funkstille in meine Richtung“ von Seiten der Iserlohner Lokalpolitik.

Kein Zugriff auf das Konto

Und da ist die finanzielle Seite. Ünal ist arbeitslos und ohne Aussicht auf Beschäftigung: „37 Bewerbungen habe ich in den vergangenen Monaten geschrieben. Erfolglos. Mein Name ist wegen der Abfindungsaffäre verbrannt.“

Da die Staatsanwaltschaft die Abfindungssumme seit zwei Jahren arrestiert (sichert), kann er nicht auf das Geld auf dem Konto zugreifen, um sich womöglich selbstständig zu machen. „Ist hier wirklich das im Rechtssinne mildeste Mittel eingesetzt worden?“ fragt Ünal und spricht von einer drohenden Privatinsolvenz. „Ich möchte meinen beiden Söhnen ein guter Vater sein, ihnen eine Ausbildung oder ein Studium ermöglichen. Wie soll ich das denn stemmen?“

Rechtsanwalt kritisiert Stadtvertreter

Die Abfindung wurde ihm seinerzeit in Anwesenheit seines Anwalts von der Stadtspitze angeboten. Nachdem die Summe öffentlich wurde und die Staatsanwaltschaft ermittelte, hat Ünal aus seiner Sicht alles getan, um den Auflösungsvertrag rückabzuwickeln. „Ich wollte nicht als raffgierig dastehen und Schaden von meiner Familie fernhalten.“

Bereits 2019 habe er einen entsprechenden Rückabwicklungsvertrag unterschrieben, den die Stadt damals aber nicht gegenzeichnete. Wiederholt habe sein Mandant, so Rechtsanwalt Daniel Wüstrich, konstruktiv an Lösungsversuchen mitgewirkt. „Er hat in Gesprächen mit der Stadt immer wieder deutlich gemacht, dass er das Geld zurückzahlen wolle.“

Im vergangenen Sommer habe er gar angeboten, wieder bei der Stadt anzufangen. Auch dies sei verhindert worden, so Wüstrich, der Verlässlichkeit bei der Gegenseite vermisst. Im aktuellen Arbeitsgerichtsverfahren wirft er den Stadtvertretern gar „unredliches Verhalten“ vor.

Hoffnungen auf den neuen Bürgermeister gesetzt

Wüstrich spricht von einer Fehlerkette in der Verwaltung seit dem Abschluss des Auflösungsvertrages: „Es wird alles nur noch verschlimmbessert und kann durch mögliche Lohnfortzahlungsforderungen, Rückforderungsansprüche der Agentur für Arbeit und Schadenersatzklagen richtig teuer für die Stadt Iserlohn und den Steuerzahler werden.“

Große Hoffnungen setzte Ünal auf die Amtseinführung des neuen Bürgermeisters Michael Joithe im November. Er ist ein früherer Weggefährte in der Wählergemeinschaft GFI (Gemeinsam für Iserlohn). Ünal ist enttäuscht über Joithes Aussagen in der kürzlichen Pressemitteilung der Stadt rund um den laufenden Arbeitsgerichtsprozess.

Streitpunkt Steuerschaden

Der Bürgermeister sagt darin, dass man sich gefühlt „bereits auf der Zielgeraden zu einer Einigung“ befand, Ünal aber Zugeständnisse wieder zurückgezogen habe. Das will Ünal so nicht stehen lassen.

Joithe­ sei bekannt, dass er an die Netto-Abfindungssumme (177.000 Euro) nicht herankomme, weil diese nach wie vor von der Staatsanwaltschaft Hagen „unverhältnismäßig lange“ arrestiert sei. Und dass die Bruttosumme (89.000 Euro) von der Stadt beim Finanzamt abgeführt wurde. „Den entstandenen Steuerschaden im mittleren fünfstelligen Bereich soll ich nach dem Willen der Stadt zurückzahlen, obwohl ich nicht verantwortlich bin.“

Ein weiterer Nackenschlag

Ugur Ünal geht seit zwei Jahren „täglich durch die Hölle“, wie er sagt. Ende 2020 hatte das Landgericht Hagen die Anklage gegen ihn wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur Untreue nicht zugelassen. Ihm wäre ein Strafprozess erspart geblieben. Das Oberlandesgericht Hamm kippte die Entscheidung. Ein weiterer Nackenschlag für Ugur Ünal, der vermeiden möchte, dass seine Frau und seine Söhne noch mehr in die Sache mit hineingezogen werden. „Ich habe Existenzangst. Der Schrecken muss ein Ende haben.“

Keine weiteren Angaben von der Stadt Iserlohn

Diese Zeitung hätte gerne von Bürgermeister Joithe gewusst, wie er die Situation von Ugur Ünal einschätzt, ob die Stadt alles dafür getan hat, den Schaden in der Abfindungsaffäre so gering wie möglich zu halten und wieso der ehemalige Mitarbeiter nicht zumindest bis zum Beginn eines Strafprozesses wieder beschäftigt wird.

Eine Anfrage an den Bürgermeister beantwortete die Pressestelle. Sie verwies auf die jüngste Pressemitteilung zum Fall und darauf, dass man wegen des laufenden Verfahrens keine weiteren Angaben machen werde.