Iserlohn. Ugur Ünal (38) erhielt eine 250.000-Euro-Abfindung von der Stadt Iserlohn. Er wurde in der Rathausaffäre angeklagt. Jetzt spricht er.
Ugur Ünal, 38 Jahre alt und Gastarbeiterkind, ist in Iserlohn geboren und aufgewachsen. „Ich liebe meine Stadt“, sagt der zweifache Familienvater. Mit der Gegenliebe scheint es so eine Sache zu sein. Ünal ist eine Schlüsselfigur in der Iserlohner Abfindungsaffäre, über die der langjährige Bürgermeister Peter Paul Ahrens (SPD) stürzte.
Ünal, einst Verwaltungsangestellter im mittleren Dienst, erhielt Anfang 2019 eine Abfindung in Höhe von 250.000 Euro und wurde im Dezember von der Staatsanwaltschaft Hagen wegen Beihilfe zur Untreue angeklagt. Er habe wissen müssen, dass die Abfindungssumme aus einer Straftat stammt, werfen ihm die Strafverfolger vor.
Unabhängig von dem Strafverfahren verhandelt Ünal seit Monaten gemeinsam mit seinem Anwalt Daniel Wüstrich mit Stadtvertretern über die Rückabwicklung der Abfindung und des Aufhebungsvertrages. Ünal möchte das Geld zurückzahlen und wieder in der Verwaltung beschäftigt werden.
„Die Initiative ging von der Stadt aus, die Verhandlungen waren weit gediehen“, so Wüstrich, „mein Mandant hat im November die mit der Stadt ausgehandelte Rückabwicklungsvereinbarung unterschrieben – sie wurde allerdings bis heute nicht gegengezeichnet.“
Trotz Aufforderungen sei es bisher nicht zu einer finalen Einigung gekommen. Wüstrich: „Für mich ist das Verhalten unverständlich.“ Der Anwalt will über die Gründe nicht spekulieren. Die Stadt Iserlohn nimmt keine Stellung: „Wegen des laufenden Verfahrens“, so eine Sprecherin.
Ungeklärte Situation seit vielen Monaten
Ugur Ünal sitzt am Esszimmertisch in seinem Einfamilienhaus und schüttelt den Kopf: „Mir wurde mein Leben genommen.“ Erstmals seit dem Bekanntwerden der Abfindungsaffäre, in der neben Ex-Bürgermeister Ahrens und Ünal auch der ehemalige Personalchef angeklagt ist, spricht Ünal ausführlich mit unserer Zeitung über seine seit vielen Monaten ungeklärte Situation.
„Wenn ich die Tragweite nur ansatzweise erkannt hätte, hätte ich mich niemals darauf eingelassen“, sagt er. Aber kamen ihm 250.000 Euro Abfindung nicht unrealistisch hoch vor? Natürlich habe ihn die angebotene Geldsumme seinerzeit überrascht.
„Aber ich habe ja nicht mit Mafiabossen verhandelt, sondern mit offiziellen Vertretern der Stadt Iserlohn. Und auch mein Anwalt hatte keine Bedenken, das Abfindungsangebot anzunehmen.“ Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hätten Ünal 20.000 Euro als Abfindung zugestanden.
Wie auch immer. Anfang Januar 2019 wurde der 38-Jährige zu einem Personalgespräch eingeladen, an dem auch sein damaliger Anwalt Roland Pohlmann teilnahm. „Meinem Mandanten wurde mitgeteilt, dass man mit seiner Arbeitsleistung zwar zufrieden sei, sich aber gleichwohl von ihm trennen wolle“, so Pohlmanns Schilderung. Sein Mandant habe keine finanziellen Forderungen gestellt, beteuert der Anwalt.
Vielmehr sei von dem Stadtvertreter eine sechsstellige Abfindungssumme ins Spiel gebracht worden, so Pohlmann, der sich darüber wundert, dass er trotz der Teilnahme an dem Gespräch von den Ermittlungsbehörden nicht als Zeuge gehört wurde.
Chronologie der Iserlohner Rathausaffäre
Januar 2019: Die Stadt schließt einen Auflösungsvertrag mit Ünal. Darin geregelt: eine 250.000-Euro-Abfindung.
April 2019: Auf einem Termin der Fraktions-Chefs wird der Bürgermeister nach der Abfindung gefragt. Danach gelangt die Information in die Öffentlichkeit.
Ende April 2019: Ünal scheidet aus dem Dienst der Stadt aus.
September 2019: Bürgermeister Ahrens legt sein Amt nieder.
Dezember 2019: Die Staatsanwaltschaft Hagen erhebt Anklage gegen Ahrens und den ehemaligen Personaldezernten wegen Untreue, gegen Ünal wegen Beihilfe. Das Landgericht Hagen in einer Mitteilung: Die Motivation für die Abfindungssumme sei „durch die Ermittlungen“ nicht „erkennbar geworden“.
Wählergemeinschaft gegründet
Als ein schriftliches Abfindungsangebot in Höhe einer Viertelmillion Euro einging, willigte Ünal ein. „Ich habe gemerkt, dass ich in der Stadtverwaltung nicht mehr willkommen war“, sagt er. Der 38-Jährige war seit 2008 im mittleren Dienst beschäftigt, u.a. als Außendienst-Mitarbeiter des Ordnungsamtes.
In seiner Freizeit gründete er nach seinem Austritt aus der SPD mit Mitstreitern die Wählergemeinschaft GFI (Gemeinsam für Iserlohn), die auch die Verwaltung kritisch begleitete.
„Dass ich in der Verwaltung arbeite und gleichzeitig Politik mache, kam nicht bei allen im Rathaus oder bei den politischen Parteien gut an“, sagt Ünal, der auch persönliche Differenzen zu – wie er sagt – wenigen Kommunalpolitikern einräumt. Er sei kein geborener Diplomat, sagen Menschen, die ihn näher kennen.
Eben einer, der sein Herz auf der Zunge trage, der unbequem sein könne, wenn er etwas durchsetzen will. „Ugur Ünal ist ein Mensch, der seine Ansichten beharrlich vertreten kann“, fasst Anwalt Roland Pohlmann zusammen.
Staatsanwaltschaft ermittelt
Zurück ins Jahr 2019: Obwohl Ünal den Aufhebungsvertrag inklusive Verschwiegenheitsklausel unterschrieben hat, dringt die 250.000-Euro-Abfindungssumme in die Öffentlichkeit. Nach anonymen Anzeigen nimmt die Staatsanwaltschaft Hagen Ermittlungen auf, bei Durchsuchungsaktionen im Mai 2019 erhält auch Ünal Besuch von Beamten in seinem Haus.
Die Abfindungssumme wird eingefroren, Auto und Privatvermögen werden konfisziert. Ünals Beschwerde gegen den sogenannten Arrestbeschluss gegen sein Vermögen („er verstößt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“, so seine Begründung) wird zuletzt vom Oberlandesgericht Hamm abgeschmettert.
Der Beschluss hält bis heute an, bestätigt die Staatsanwaltschaft. „In den ersten Tagen wusste ich nicht, wie ich meine Familie ernähren sollte“, sagt Ünal, „ich habe sogar Flaschen eingesammelt, um durch das Pfand an Geld zu kommen.“ Dann lieh ihm ein Verwandter Geld.
Persönliche Anfeindungen
Die Öffentlichkeit hatte sich rasch ein Urteil gebildet. In den sozialen Netzwerken war die Häme groß – bis heute wird in Kommentaren gerne Bezug auf seine Herkunft genommen. „Ich war der kriminelle Türke, der sich auf Kosten der Steuerzahler die Taschen vollmacht.“
Die persönlichen Anfeindungen seien so weit gegangen, dass er im Beisein seiner Frau und seiner beiden Kinder auf dem Wochenmarkt bespuckt und beschimpft worden sei. „Mir wurde meine Würde genommen“, klagt Ünal, „ich bin auch mit Blick auf die Bürgermeisterwahl im kommenden September zum Spielball der Iserlohner Politik geworden.“
Anonyme Schreiben
Kurz nachdem Ünal eine neue Stelle in der Verwaltung einer Ruhrgebietsstadt angetreten hatte, gingen anonyme Schreiben dort ein. „Ich möchte Sie dringend vor Ihrem neuen Mitarbeiter warnen“, heißt es in einer Mail, „er hat in Iserlohn einige ,Dinger’ gedreht, beruflich wie privat.“
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Der neue Arbeitgeber trennte sich kurze Zeit später wieder von Ünal. Auf weitere aus seiner Sicht aussichtsreiche Stellenbewerbungen gab es Absagen. Ünal: „Meine berufliche Zukunftsperspektive ist düster.“
Dass er in sozialen Netzwerken gar in Zusammenhang mit Erpressungen gebracht wird, erschüttert den früheren Verwaltungsmitarbeiter. „Es gibt keine Leiche im Rathaus-Keller.“ Als rund um die Abfindungsaffäre Ünal zufolge bei Facebook Gerüchte aufkamen, er stehe in Zusammenhang mit Unregelmäßigkeiten bei der Bürgermeisterwahl 2015, wurde die Staatsschutz- Abteilung des Polizeipräsidiums Hagen eingeschaltet.
Es fanden sich keine Hinweise auf einen möglichen Wahlbetrug, das Verfahren wurde eingestellt.
Tiefe Spuren in der Politik
Jedenfalls hat die Affäre tiefe Spuren in der Iserlohner Politik hinterlassen. Erst wurden Forderungen laut, die Stadt müsse alles tun, um die 250.000-Euro-Abfindung zurückzubekommen. Jetzt, da entsprechende Gespräche stocken, zeigen sich Fraktionsvorsitzende auf Anfrage dieser Zeitung mit Hinweis auf das „laufende Verfahren“ wortkarg.
SPD-Fraktionschef Peter Leye verweist darüber hinaus darauf, „dass es sich um geheimhaltungspflichtige Personal- bzw. Vertragsangelegenheiten handelt, die weitgehend von der Verwaltungsspitze der Stadt Iserlohn zu verantworten sind“.
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Aus der Verwaltung und vonseiten des zwischenzeitlich zurückgetretenen Bürgermeisters indes keine Stellungnahme – wegen des „laufenden Verfahrens“. Nur Oliver Ruhnert, Fraktionschef der Linken, will sich äußern. Seine Fraktion sei es gewesen, die die Verwaltung aufgefordert habe, „möglichst zu versuchen, den Schaden, der der Stadt und somit dem Steuerzahler entstanden ist, zu heilen und eine Lösung zu finden, die nicht nachvollziehbare Höhe der Abfindung in die Stadtkasse zurückzuführen“.
Man hätte sich gewünscht, so Ruhnert weiter, „dass beide Parteien eine einvernehmliche Einigung erzielt hätten“. Man bleibe dennoch bei der Forderung, „weiterhin Möglichkeiten zu suchen, den Schaden zu heilen“.
Landgericht Hagen prüft die Anklage
Derweil prüft das Landgericht Hagen, ob die im Dezember 2019 eingegangene Anklageschrift zur Hauptverhandlung zugelassen wird. Man könne noch nicht sagen, wann ein möglicher Prozess startet, sagt ein Gerichtssprecher.
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Die Prozess-Angst sowie die ungewisse berufliche Zukunft setzen Ünal zu. Nachdem die Rückabwicklung seines Aufhebungsvertrages ins Stocken geraten ist („ich wollte der Öffentlichkeit zeigen, dass ich nicht raffgierig bin“), sitzt er weiter zu Hause und wartet. „Ich möchte wieder arbeiten und rehabilitiert werden“, sagt er, „ich will doch nur mein Leben zurück.“