Hagen. Was sorgt die Menschen in NRW mehr: Klimakrise oder Corona? Und wen wollen sie bei der Landtagswahl wählen? Die Ergebnisse unseres NRW-Checks.
Es sollte den Spitzen der Politik in NRW zu denken geben: Eine große Mehrheit der Bürger traut keiner der großen Parteien zu, mit den Problemen des Bundeslandes am besten fertig zu werden. Das ist ein Ergebnis des großen NRW-Checks, den die WESTFALENPOST und 38 andere regionale Tageszeitungen in Kooperation mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa erstellt haben.
Demnach messen fünf Monate vor der Landtagswahl 18 Prozent der Befragten der CDU die größte Problemlösungskompetenz zu, 13 Prozent der SPD, fünf Prozent den Grünen und nur vier Prozent der FDP. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) sagt jedoch, dass keine Partei in der Lage sei, die dicksten Brocken aus dem Weg zu räumen.
Für den NRW-Check befragte Forsa mehr als 2000 repräsentativ ausgesuchte Bürger. Die Resultate können auch regional ausgewertet werden, also beispielsweise gesondert für das Ruhrgebiet und für Südwestfalen. Bis zur Landtagswahl im Mai werden wir jeden Monat die Ergebnisse weiterer vier Befragungswellen veröffentlichen.
Die größten Sorgen bereitet den Menschen derzeit erwartungsgemäß die Corona-Krise. Sie überstrahlt alles andere. Knapp zwei Drittel der Befragten (64 Prozent) nannten die Pandemie als schwerwiegendstes Problem. Hinter der Bildung (14 Prozent) landete der Klima- und Umweltschutz überraschenderweise mit 13 Prozent erst auf dem dritten Platz. Mit 22 Prozent ist die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen bei diesem Punkt stärker vertreten.
Die Maßnahmen gegen Corona gehen der Mehrheit (63 Prozent) nicht weit genug. Nur 18 Prozent halten sie für angemessen. Ebenfalls rund zwei Drittel befürworten einen generellen Lockdown, sollten die Infektionszahlen weiter steigen. Die Menschen im Sauer- und Siegerland sehen das mehrheitlich auch so, dort sprechen sich aber nur 56 Prozent für das schärfste Schwert im Kampf gegen die Pandemie aus. NRW-weit entspricht das dem geringsten Lockdown-Zuspruch.
58 Prozent der Bürger in NRW sehen ihren Haushalt wegen der steigenden Energie- und Benzinpreise stark oder sogar sehr stark belastet. Im Sauer- und Siegerland ist diese Sorge deutlicher ausgeprägt als in anderen Regionen. Dort fürchten mehr als drei Viertel der Befragten (77 Prozent), dass sie die steigenden Energiepreise noch teuer zu stehen kommen. Das überrascht nicht: Die Menschen sind im ländlichen Raum doch mehr auf das eigene Auto angewiesen als die Bürger in Ballungsräumen.
Ein genauerer Blick auf die einzelnen Themenfelder:
>> STICHWORT: Politik
Ein gutes Zeugnis ist das nicht gerade. Nur 31 Prozent der Wahlberechtigten an Rhein und Ruhr sind aktuell mit der Arbeit der schwarz-gelben Landesregierung zufrieden. Zwei von drei Befragten sind unserem NRW-Check zufolge weniger oder gar nicht mit ihr zufrieden. Die Region Sauer- und Siegerland, die eigentlich als Hochburg der Konservativen gilt, liegt mit ebenfalls 31 Prozent genau im Landestrend.
Fünf Monate vor der Landtagswahl deutet sich bei der sogenannten Sonntagsfrage ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die politische Macht in NRW an: Könnten die Bürger schon jetzt ihre Stimme abgeben, kämen sowohl die CDU als auch die SPD auf 27 Prozent Zustimmung. Da die FDP zwölf Prozent erreichen würde, wäre die aktuelle Landesregierung am Ende. Keine Mehrheit hätte auch eine rot-grüne Koalition mit 44 Prozent. Bleiben möglich: eine große Koalition aus CDU und SPD sowie Dreierbündnisse aus CDU, Grünen und FDP (zusammen 56 Prozent) oder aus SPD, Grünen und FDP (ebenfalls 56 Prozent).
Zum neuen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) haben sich bislang viele Bürger offenbar noch keine Meinung gebildet – oder sie kennen ihn gar nicht. 31 Prozent der Befragten meinen, er mache seine Arbeit gut, 40 Prozent sind aber nicht zufrieden (im Sauer- und Siegerland sogar 41 Prozent). Bleiben 29 Prozent, die kein Urteil über den Regierungschef abgeben wollen oder können.
Überraschend: Nur vier von zehn FDP-Anhängern (39 Prozent) finden die Arbeit der Koalition in Düsseldorf gut – und das, obwohl die Liberalen dort als Partner der CDU Politik gestalten. Bei den Christdemokraten ist die Zustimmung mit 73 Prozent deutlich höher.
Weniger als ein halbes Jahr vor der Entscheidung über eine neue Regierung müssen die beiden Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten offenbar noch stark an ihrem Profil arbeiten. Könnten die NRW-Bürger den Regierungschef direkt wählen, würde sich die Mehrheit (64 Prozent) nämlich weder für Hendrik Wüst noch für Thomas Kutschaty von der SPD entscheiden. Wüst wählen würden immerhin mit 24 Prozent doppelt so viele wie Kutschaty. Wüst regiert erst seit Ende Oktober, einen Amtsbonus konnte er sich offenbar bisher nicht erarbeiten.
>> STICHWORT: Energiepreise
In keiner Region Nordrhein-Westfalens fühlen sich die Menschen durch steigende Energie- und Benzinpreise so belastet wie im Sauerland und in Siegen-Wittgenstein. 77 Prozent geben an, sie seien stark oder sehr stark belastet. Das sind immerhin zwölf Prozentpunkte mehr als in den ebenfalls in weiten Teilen ländlich geprägten Regionen Bergisches Land oder Linker Niederrhein. Auch wenn bei der Frage sowohl die Benzin- als auch die Strom- und Heizkosten inbegriffen sind: Die Ergebnisse geben sicherlich einen Hinweis, wie sehr man im weitläufigen Sauer- und Siegerland weiterhin auf den eigenen Pkw angewiesen ist. Denn die Umfrage zeigt für ganz NRW auch, dass die Betroffenheit bei den steigenden Energie- und Benzinpreisen in den großen Städten viel weniger ausgeprägt ist. Das gilt vor allem für das Ruhrgebiet, zu dem auch Hagen und der Ennepe-Ruhr-Kreis gehören, und die Rheinschiene. Und: Arbeiter (73 Prozent) fühlen sich weitaus häufiger stark betroffen als etwa Beamte (56 Prozent).
Interessant auch die Antworten auf die Frage, in welchen Bereichen sich die Menschen einschränken müssen, die durch die steigenden Energiepreise etwas oder auch stark betroffen sind. Ein knappes Viertel will beim Heizen sparen, ein knappes Fünftel weniger Auto fahren. Etwa jeder Zehnte spart beim Strom oder bei Ausgaben des täglichen Bedarfs.
Der Klimaschutz ist für eine große Mehrheit aktuell nicht das wichtigste Problem: NRW-weit ist das nur für 19 Prozent der Fall, 79 Prozent sehen aber andere Probleme, die genauso wichtig oder auch wichtiger sind. Im Sauer- und Siegerland sehen 17 Prozent der Befragten den Klimaschutz als wichtigstes Problem an, im Ruhrgebiet sind es immerhin 21 Prozent. Schaut man auf die Altersgruppen, dann sind es die jungen Menschen von 18 bis 29 Jahren, die ein wenig hervorstechen: 31 Prozent sehen im Klimaschutz das Problem Nummer eins.
>> STICHWORT: Corona-Schutzmaßnahmen
Hier tickt Nordrhein-Westfalen in weiten Teilen gleich: In allen Regionen ist eine Mehrheit der Befragten der Meinung, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie nicht weit genug gehen. Im NRW-Schnitt sind es 63 Prozent, im Sauer- und Siegerland (65 Prozent) sind es etwas mehr und im Ruhrgebiet (62 Prozent), zu dem auch Hagen und der Ennepe-Ruhr-Kreis gehören, sind es etwas weniger. Die Unterschiede sind aber eher marginal.
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Das gilt auch, wenn man auf die Größe der Städte blickt, in denen die Befragten wohnen. Die einzige Auffälligkeit: Je größer die Stadt desto größer der Anteil der Menschen, der die Corona-Schutzmaßnahmen als zu weitreichend bewertet. Das sind aber auch in den Metropolen maximal 18 Prozent der Menschen. Weitere Erkenntnisse: Vor allem den Über-60-Jährigen (74 Prozent) gehen die die Maßnahmen nicht weit genug. Schaut man auf die Parteipräferenz, dann stechen vor allem die AfD-Anhänger heraus, die zu 67 Prozent die Schutzmaßnahmen als zu weitreichend beurteilen; vor allem SPD-Anhängern gehen sie dagegen nicht weit genug (79 Prozent).
>> STICHWORT: Maskenpflicht im Unterricht
Ein klares Meinungsbild auch bei der Frage, ob die (inzwischen wieder zurückgenommene) Aufhebung der Maskenpflicht im Unterricht richtig war: Gut zwei Drittel der Befragten in NRW sind der Meinung, dass dies falsch war. Kleine Auffälligkeit: Im Sauer- und Siegerland bewerten die Menschen den Schritt mit 33 Prozent Zustimmung etwas positiver als in Rest-NRW, im Ruhrgebiet ist man in etwa auf Landesschnitt. Beim Blick auf die Parteipräferenz zeigt sich: Nur die AfD-Anhänger halten die Abschaffung der Maskenpflicht im Unterricht mehrheitlich (60 Prozent) für richtig. Bei den Anhängern der FDP, die in NRW die Schulministerin stellt, sind es immerhin 39 Prozent.
>> STICHWORT: Impfpflicht für alle
Es gibt eine breite Mehrheit für eine allgemeine Impfpflicht in Nordrhein-Westfalen: Fast drei Viertel der Menschen (73 Prozent) befürworten sie. Auch wenn man auf die einzelnen Regionen schaut, gibt es keine gravierenden Unterschiede. Lediglich das Münsterland sticht mit „nur“ 65 Prozent ein wenig heraus. Auch im Sauer- und Siegerland ist die Zustimmung mit 71 Prozent ein wenig geringer als im Landesdurchschnitt, im Ruhrgebiet, zu dem Hagen und der Ennepe-Ruhr-Kreis gehören, liegt sie bei 74 %. Und auch bei allen anderen Unterscheidungs-Kriterien gibt es eine Impfpflicht-Mehrheit.
Etwa in den Altersgruppen: Insbesondere die Über-60-Jährigen wollen eine allgemeine Impfpflicht – sogar zu 87 Prozent. Bei den 18- bis 59-Jährigen sind es aber auch noch 65 bis 66 Prozent. Schaut man auf die Berufe, dann sind die Selbstständigen (60 Prozent) und die Arbeiter (61 Prozent) noch am skeptischsten, bei den Beamten liegt die Zustimmung dagegen bei 79 Prozent. Der einzige Ausreißer sind die AfD-Anhänger: Hier kehrt sich das allgemeine NRW-Ergebnis um: 74 Prozent sind gegen eine allgemeine Impfpflicht. Bei den Anhängern von SPD (88%), CDU (87%), FDP (78 %) und Linke (72%) überwiegen dagegen die Befürworter.
>> STICHWORT: Strukturwandel und Kohleausstieg
Eine Mehrheit der NRW-Bürger ist skeptisch, ob der nun bereits für das Jahr 2030 vorgesehene Kohleausstieg tatsächlich gelingen kann: 63 Prozent bezweifeln das, im Ruhrgebiet selbst ist die Skepsis noch ein wenig größer (65%), im Sauer- und Siegerland dafür ein wenig kleiner (60 %). Verhalten optimistisch sind die Bürger dagegen, wenn es um die Frage geht, was das für den Arbeitsmarkt bedeutet. Eine Mehrheit von 54 Prozent, sagt, dass im Zuge der Energiewende letztlich in etwa gleich viele Arbeitsplätze in NRW bleiben werden, nur zehn Prozent erwarten mehr Stellen. Im Sauer- und Siegerland ist man noch etwas optimistischer: Sogar 62 Prozent erwarten unterm Strich keine Arbeitsplatzverluste, im Ruhrgebiet sind es nur 53 Prozent. Aber wie wird der Strukturwandel generell gesehen? Schafft es NRW, in den nächsten Jahren genug neue Unternehmen anzulocken, um die wegfallenden Arbeitsplätze im Bergbau und in der Stahlindustrie zu kompensieren? Die Stimmungslage ist in NRW nicht eindeutig: 36 Prozent der Menschen sagen Ja, 45 Prozent Nein. Im besonders betroffenen Ruhrgebiet (41 % Ja) ist man noch am optimistischsten, im Sauer- und Siegerland (35 % Ja) ist man da skeptischer.