Hagen. Wenn Kunst das Auge hinters Licht führen will: Das Emil-Schumacher-Museum Hagen zeigt konkrete und kinetische Positionen

Ein Anti-Labyrinth aus blauen Nylonfäden, 4,50 Meter breit, 10 Meter lang und 3,65 Meter hoch, bildet das faszinierendste begehbare Gemälde der Welt. Sotos „Pénétrable BBL Bleu“ ist Kunst zum Entdecken, Kunst, welche die Augen überlistet und die Sinneswahrnehmungen austrickst: kinetische Kunst. Im Hagener Emil-Schumacher-Museum ist das Meisterstück nun anlässlich der Ausstellung „Konkret! Eine Hommage an Ulrich Schumacher. Die Sammlung des Josef Albers Museums Quadrat“ zu entdecken.

Die Fäden laufen in Hagen zusammen. Das ist nicht nur bildlich gesagt. Der Kunsthistoriker und Museums-Stifter Ulrich Schumacher wurde am 3. September 1941 als Sohn des Malers Emil Schumacher an der Volme geboren. Der 18-jährige Künstler Josef Albers begegnete im Hagener Museum Folkwang 1908 erstmals den Arbeiten von Paul Cézanne und Henri Matisse und studierte später am Bauhaus zusammen mit dem Hagener Experimentalkünstler Heinrich Brocksieper.

Gründungsdirektor in Bottrop

Ulrich Schumacher wiederum baute von 1976 bis 2003 als Kurator und Gründungsdirektor das Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop zu einer ersten Adresse auf und trug eine Sammlung mit mehr als 200 Werken zusammen. 2009 beschenkte er seine Heimatstadt Hagen mit einer Sammlung von Bildern seines Vaters Emil Schumacher, welche die Neuentstehung eines Museumsensembles erst möglich machte; Josef Albers wiederum hat dem heutigen Osthaus-Museum in Anerkennung seiner Bedeutung Werke überlassen. Der leidenschaftliche Kunsthistoriker Ulrich Schumacher starb am 15. April 2021. Das Emil-Schumacher-Museum ehrt ihn mit einer Wiederentdeckung seines kuratorischen Wirkens im Museum Quadrat Bottrop.

Über 50 Werke sind in der Ausstellung zu sehen von Josef Albers bis Bridget Riley und von Adolf Luther bis Victor Vasarely. Das sind die Künstlerinnen und Künstler, die mit der Farbe selbst experimentieren und mit dem Licht, die erforschen, wie Wahrnehmung funktioniert. Zu sehen ist Kunst, die wie Wissenschaft funktioniert, also so ziemlich das genaue Gegenteil des abstrakten Expressionismus mit der spontanen Geste der Hand in den Arbeiten von Emil Schumacher. „Beim Gros der Künstlerinnen und Künstler handelt es sich um Zeitgenossen Ulrich Schumachers“, so Museumsdirektor Rouven Lotz, der die Ausstellung kuratiert hat. „Die Sammlung des Bottroper Quadrats ist bis 2003 letztlich auch die berufliche Biografie von Ulrich Schumacher.“

Das Unsichtbare erkunden

Das Sichtbare zu hinterfragen und das Unsichtbare zu erkunden, ist das Ziel der Konkreten und Kinetischen Kunst. Solche Arbeiten sind streng berechnet. Doch die Rezeption verändert sich in der Rückschau. Aus der Seherfahrung der vergangenen Jahrzehnte betrachtet, gewinnt die Konkrete Kunst heute durchaus eine verspielte Dimension hinzu. So visualisiert Jakob Weder in seiner Farbsymphonie „Der Frühlingsglaube“ von 1986 musikalische Frequenzen mit synästhetischen Farbverläufen. Karl Gerstner konzentriert in „Synchromie 50 – Altar“ von 2001 die Funktion eines Flügelaltars oder Orgelprospektes auf Formen, die sich je nach Standpunkt des Betrachters verändern. Und die wunderbaren Spiegelobjekte von Adolf Luther wirken in der Rückschau nicht mehr wie technische Grüße aus dem Raumfahrtzeitalter, sondern bergen als Geheimnis eine spirituelle Komponente des immateriellen Lichts.

Nur acht Exemplare weltweit

Jesus Rafael Soto ist ein Meister des Vexierspiels, der mit seinen kinetischen Arbeiten die Brechung von Licht und die Effekte von Bewegung auslotet. Dabei geht es nicht darum, was auf Bildträger oder in Gestalt von Skulptur zu sehen ist, sondern, was diese Kunst mit den Augen und dem Gehirn des Publikums macht. In Sotos Pénétrables wird der Betrachter schließlich zum Teil des Kunstwerks selbst; er kann die Raumarchitektur aus farbigen Nylonfäden wie eine Wunderkammer begehen und erforschen, wie sich sein Auge zu den Linien verhält. Diese Kunst gewordene Bewegungswahrnehmung gibt es weltweit nur in acht Exemplaren. Rouven Lotz ist zurecht stolz, dass die Foundation Louis Vuitton das Pénétrable BBL Bleue von 1999 aus dem Nachlass Soto für die Ausstellung in Hagen ausgeliehen hat. Für die Begehung selbst gibt es strenge konservatorische Bedingungen. Maximal zehn Personen dürfen gleichzeitig das Objekt durchqueren.