Hagen. Dass der Wald zuletzt aus den Schlagzeilen verschwunden ist, darf nicht als Zeichen der Entwarnung gewertet werden. Im Gegenteil.

Das große Fichten-Sterben im Sauer- und Siegerland setzt sich unvermindert fort. Trotz des relativ feuchten ersten Halbjahres hat der Borkenkäfer bereits 44 Prozent des gesamten Bestandes in NRW zur Strecke gebracht. Experten gehen davon aus, dass bis zum Ende des Jahres jede zweite Fichte dem Schädling zum Opfer gefallen sein wird. Einhellige Meinung: Die Baumart hat hierzulande nur noch auf besonderen Standorten eine Zukunft, weil sie dem Klimawandel nicht gewachsen ist.

Die gesamte Schadholz-Menge in NRW ist seit 2018 – dem ersten trockenen Extremwetterjahr – auf rund 35 Millionen Festmeter gestiegen. In diesem Jahr wird mit acht Millionen Festmetern gerechnet. Neun Millionen Festmeter sind noch nicht aufgearbeitet, stehen also noch in den Wäldern.

18,8 Millionen Festmeter Fichte gerettet

„Durch alle Aufarbeitungsmaßnahmen haben wir in NRW bis zu 18,8 Millionen Festmeter Fichte vor einem Befall durch Borkenkäfer geschützt“, sagte Hubert Kaiser, Leiter der Landesforstbehörde, dieser Zeitung. Rein rechnerisch seien mehr als 72 Milliarden Käfer in NRW unschädlich gemacht worden.

Obwohl der Käfer-Flug in diesem Frühling witterungsbedingt vier bis fünf Wochen später eingesetzt hat als in den vergangenen Jahren und nicht mehr mit einer dritten Generation des Insekts zu rechnen ist, können Waldbauern und Forstwissenschaftler keine Entwarnung geben. Im Gegenteil: Vor rund zehn Jahren lag der Fichtenvorrat in NRW noch bei 79 Millionen Festmetern – mehr als die Hälfte davon in Südwestfalen. Vor allem dort sind nun große Brachflächen entstanden, die das Landschaftsbild nachhaltig verändern.

Im Sauerland versuchen der Landesbetrieb Wald und Holz sowie Waldbauern in einem Pilotprojekt zu retten, was zu retten ist. Dort wurden mit Hilfe von Satellitendaten größere noch intakte Fichtenbestände in höheren Lagen ermittelt, wo sie eine bessere Überlebenschance haben. Ziel ist es, „vor den Borkenkäfer zu kommen“, das heißt, befallene Bäume so schnell wie möglich aus dem Wald zu entfernen und das gefräßige Insekt in Fallen zu locken, damit es sich nicht weiter ausbreiten kann. Zudem werden die Waldeigentümer dort intensiv beraten. Das Land hat dafür rund 20 Borkenkäfer-Helfer zur Verfügung gestellt. „Alle Beteiligten machen gut mit, auch wenn der erste starke Käferflug im Frühsommer ein kleiner Rückschlag war“, sagte Kaiser.

Buchen auch betroffen

Während die Fichte in NRW vielerorts als abgeschrieben gilt, rücken nun auch andere Baumarten in den Blickpunkt. Der Landesbetrieb hat die Waldbauern jüngst gebeten, Schäden an den Buchen zu melden. Der Waldbauernverband NRW warnt bereits: Es sei nicht mehr auszuschließen, dass auch bisher intakte Buchenbestände zerfallen und auch hier ein Hilfsprogramm des Landes erforderlich ist“.

Es gibt aber zum Glück nicht nur schlechte Nachrichten beim Thema Wald: Bisher hat es in diesem Jahr so viel geregnet wie schon lange nicht mehr. Auch untere Bodenschichten sind jetzt nicht mehr knochentrocken, sondern gut durchfeuchtet. Das hilft vor allem Bäumen mit tiefen Wurzeln. Viel Flüssigkeit macht sie widerstandsfähiger. Das Wetter hat zudem den Borkenkäfer lange in Trägheit versetzt; er kommt erst bei Temperaturen über 16 Grad aus den Socken. Darüber hinaus sind starke Stürme in diesem Jahr bisher ausgeblieben.

Vielen Fichten hilft das indes nicht mehr. Sie sind nicht klimaresistent. In wenigen Monaten dürfte die Hälfte des gesamten Bestandes in Nordrhein-Westfalen dem Käfer zum Opfer gefallen sein. Gut neun Millionen Festmeter Schadholz stehen noch in den nordrhein-westfälischen Wäldern. Sie sind nicht mehr zu retten, sind aber auch noch nicht für den Transport aufgearbeitet. Die Kapazitäten fehlen. So mancher private Waldbesitzer wird sie wohl auch einfach stehen lassen, weil die Verwertung je nach Zustand der Bäume unwirtschaftlich ist.

Verkaufspreis auf hohem Niveau

Eigentlich bewegt sich der Verkaufspreis des Holzes – und damit sind wir bei der zweiten guten Nachricht aus Sicht der Waldbauern – wegen des weltweiten Baubooms seit Monaten auf einem hohen Niveau. In schlechten Zeiten kassierten die Forstbesitzer 20 Euro für einen Festmeter; jetzt werden gut 70 Euro und mehr fällig, je nach Qualität. Das mindert aktuell die wirtschaftlichen Einbußen, ist aber auf lange Sicht keine Lösung. Denn bis die neuen Bäume, die jetzt schrittweise auf den noch freien Fichten-Flächen angepflanzt werden, groß genug sind, vergehen mehrere Jahrzehnte.

Gefällte Bäume in großen Folienlager zu konservieren, um sie dann in ein paar Jahren verwerten zu können, gilt als vielversprechende Lösung – womit wir bei der dritten guten Nachricht wären. Derzeit sind die Sägewerke zum Teil nicht in der Lage, das anfallende Holz sofort zu verarbeiten. Es droht zu verrotten.

Am Zentrum Wald und Holzwirtschaft NRW in Arnsberg werden Folienlager getestet. Jüngstes Ergebnis: nach 26 Monaten Konservierung war das Holz noch in einem sehr guten Zustand.

„Innerhalb weniger Tage ist sämtlicher Sauerstoff unter den Folien verbraucht“, sagt Dr. Bertram Leder, Leiter des Zentrums. „Holz zerstörende Pilze und Insekten können sich unter diesen Bedingungen nicht weiterentwickeln und sterben ab. Verrottungsprozesse werden gestoppt und die für die Weiterverarbeitung wichtige Holzfeuchtigkeit bleibt erhalten.“

Wie frisch gefällt

Im Mai 2019 haben die Fachleute von Wald und Holz NRW zehn Folien-Testlager mit je rund 300 Kubikmeter Borkenkäfer-Fichtenholz angelegt. „Top-Qualität, wie frisch gefällt“, jubelte Leder, als er das dritte Lager nach mehr als zwei Jahren öffnete. Die weiteren Lager werden im Sechs-Monate-Rhythmus geöffnet. Bei Kosten von etwa 12 bis 18 Euro pro Festmeter lohne sich die aufwendige Folienkonservierung allerdings nur bei guten Holzqualitäten. Voraussetzung: Die Lager müssen dicht bleiben. Fressen sich Mäuse oder andere Tier durch die Folie, ist das Holz nicht mehr zu retten.

Irgendwann sind die Fichten weg und die Lager leer. Spätestens dann müssen sich die Branche und die Politik Gedanken darüber machen, woher der nachhaltige Baustoff Holz noch kommen soll.

Und was passiert, wenn ab Herbst wieder die Stürme durch die Wälder fegen, wenn das kommende Jahr erneut sehr trocken wird und der Borkenkäfer ein Revival feiert, möchten sich derzeit lieber niemand ausmalen.

Das wären dann auch alles andere als gute Nachrichten.