Hagen. Der Mythos vom versteckten Nazigold beschäftigt Schatzjäger und Raubgräber bis heute. Auf welche Realitäten gehen die Legenden im Kern zurück?

Ganze Berge voller Edelmetall, dazu Edelsteine, Pelze, Gemälde, das meiste geraubt. Um das verschollene Nazigold ranken sich bis heute Mythen, Spekulationen, aber auch wissenschaftliche Forschungen. Die verschwundenen Schätze sind Thema von Thrillern und Filmen, sie feuern Verschwörungsmythen und Raubgräber an. George Clooney rettet via Hollywood die versteckte Karlskrone in Siegen. Neuen Auftrieb erhält das weltweite Interesse an den verschwundenen Nazischätzen durch einen vermeintlichen Sensationsfund in Hagen. Die Flut hatte am 14. Juli eine Hauswand im Stadtteil Eckesey beschädigt und brachte einen vergessenen Hohlraum zum Vorschein. Darin fand Hausbesitzer Sebastian Yurtseven Dokumente, originalverpackte Gasmasken, Trillerpfeifen und weitere Relikte der Nazizeit.

„Das ist kein Schatz“

„Das ist kein Schatz“, konstatiert der Hagener Historiker Dr. Ralf Blank entschieden. Blank ist auch studierter Archäologe, er leitet die Hagener Geschichtsmuseen und das Stadtarchiv, nun untersucht er den Fund. „Das ist im Grunde nur ein Haufen Papier und einige Naziobjekte, mehr ist das nicht. Es stört mich, wenn das jetzt als Schatz bezeichnet wird. Denn wichtig sind die Geschichten, die dahinterstecken.“ Doch die Phantasie kennt kein Halten, und zwar international. Vermutlich jede Zeitung und jedes Medium in Deutschland hat über das Hagener Naziversteck berichtet; Ralf Blank erhält Interviewanfragen sogar aus Argentinien und Japan.

Woher kommen die Legenden von den Nazischätzen? Sie haben tatsächlich einen bitteren Kern. Die Nationalsozialisten raubten den von ihnen ermordeten Menschen Vermögen, Schmuck und Goldzähne, den Bürgern, welche den Krankenmorden zum Opfer fielen, den Juden, Roma, Homosexuellen und Kommunisten, die im Konzentrationslager getötet wurden. Jüdische Vermögen wurden beschlagnahmt, die Goldreserven der Nationalbanken von überfallenen Ländern wie Belgien wurden geplündert.

Der Goldzug von Polen

Diese Werte wollten die Nazis in Sicherheit bringen, als die alliierten Truppen vorrückten. Im Frühjahr 1945 stellte die US-Armee Hunderte von Tonnen Nazi-Gold sicher. Die Soldaten fanden es in zugemauerten Stollen der Kaligrube im thüringischen Merkers, später auch in Verstecken in Bayern. Ein Goldzug mit Vermögenswerten ungarischer Juden sowie weiteren ungarischen Artefakten erreichte am 11. Mai 1945 die amerikanische Besatzungszone. Ein weiterer Goldzug soll bis heute im polnischen Walbrzych verborgen sein. Es müssen also noch haufenweise Schätze versteckt sein. Aber wo? Kein Wunder, dass der Fund in Hagen den Puls der internationalen Raubgräbergemeinde höher schlagen lässt.

„Der Hagener Fund hat den Nimbus des Verborgenen. Man weiß nicht, was darin steckt, das ist das Geheimnis“, analysiert Ralf Blank. „Teile kenne ich jetzt schon. Das sind hauptsächlich Verwaltungsakten. Wer hat etwas für das Winterhilfswerk gespendet? Aufzeichnungen über schwangere Frauen. Es ist wichtig, dass das nicht in private Hände kommt, sondern in wissenschaftliche. Die Geschichtswissenschaft kann diese Funde deuten.“ Historisch unbedarfte Privatleute könnten aus den Unterlagen über schwangere Mütter interpretieren, dass das Nazisystem um Fürsorge bemüht gewesen sei. „Tatsächlich waren solche Aufzeichnungen aber verbunden mit den Themen Eugenik und der Rassenfrage. Kranke Kinder wurden aus den Familien herausgenommen und zur ,Euthanasie’ geführt.“

Grauenvolle Beiklänge

Ähnlich grauenvolle Beiklänge haften auch Alltagsobjekten wie Gasmasken an. Wofür brauchte man diese? Weil Krieg war. Und wer hat den Krieg verursacht? Blank: „Wenn solche Objekte aus ihrem Kontext gelöst und als Relikte einer vermeintlich guten alten Zeit präsentiert werden, dann werden sie fast schon sakral überhöht. Im Endeffekt bedient man damit den Nazimythos von der Opferrolle der Deutschen: Die bösen Alliierten sind grundlos über uns gekommen. Wenn man solche Funde in diese Mär einbettet, hat man die Goeb- belspropaganda­ von der Schicksalsgemeinschaft der Deutschen.“ Bis zu 70 Millionen Menschen, Soldaten und Zivilisten, sind durch den von Deutschland vom Zaun gebrochenen Zweiten Weltkrieg zu Tode gekommen. Sechs Millionen Juden sowie Hunderttausende Sinti und Roma wurden im industriellen Massenmord des Holocausts getötet.

Unersetzliche Kunstschätze bedroht

Als deutlich wurde, dass der Krieg verloren war, sollte nichts in die Hände der Alliierten fallen, was ihnen nützen könnte, keine Akten, keine Werte und schon gar keine Nationalheiligtümer wie die Aachener Karlskrone oder Rembrandts „Mann mit dem Goldhelm“. Die unersetzlichen Kunstschätze der Rheinprovinz verschleppten die Nazis in einen Siegener Stollen. Kurz vor Eintreffen der Amerikaner in Siegen wollte die SS den Stollen sprengen. Wie die Karlskrone gerettet und nach Aachen zurückgegeben wird, das beschreibt der Hollywoodfilm „Monuments Men“ mit George Clooney in der Rolle eines Kunstschutzoffiziers.

Immer noch sind Raubgräber auf der Suche nach Nazi-Schätzen unterwegs, auch in Südwestfalen. „Angeblich soll in unserer Region in einem zugeschütteten Tunnel noch eine Eisenbahn-Flakbatterie stehen. Ich halte das für Spinnerei“, sagt Ralf Blank. Den Wissenschaftler besorgt die zunehmende Ent­historisierung und Verklärung von Nazi-Objekten. „Wenn man sich die Kommentare zum Fund unter verschiedenen Facebook-Artikeln ansieht, das ist teilweise haarsträubend.“