Schmallenberg. Haus Schulz in Schmallenberg kommt fast ohne Möbel aus und ganz ohne Nippes. Dafür verbindet die visionäre Architektur Drinnen und Draußen
Schon als junges Paar wussten Gabriele und Dr. Dieter Schulz, was sie nicht wollen: in einem klassischen Standardhaus mit kleinen Fenstern leben. Auf Anhieb verliebten sich die Sauerländer in die Ästhetik des visionären Tübinger Architekten Heinrich Johann Niemeyer (1936-2010). Nach intensiven Gesprächen entwarf er ihnen in Schmallenberg ein Heim, das die Natur nach innen holt und das Haus im Garten verankert, eine Architektur, die skulptural ist und doch mit der umgebenden Landschaft wie gewachsen verschmilzt, die offen ist und gleichzeitig mit Rückzugsräumen viel Geborgenheit vermittelt.
Heute, 47 Jahre später, ist die Familie Schulz immer noch glücklich mit ihrem Zuhause. „Wir waren beide wahnsinnig jung, als wir gebaut haben. Ich war erst 31, als wir hier eingezogen sind. Ich weiß nicht mehr, woher wir den Mut hatten“, erinnert sich Gabriele Schulz.
Meterweise Fensterflächen
Hausbesuch - Leben im Architektenhaus
Mitte der 1970er Jahre kannte noch niemand den Begriff Infinity-Fenster. Im Haus Schulz gibt es meterweise Fensterflächen ohne Rahmen, die teilweise nach außen geknickt sind. Haus und Garten bilden eine Einheit, in den Räumen sitzt man wie in der Natur; beschützt von Steinmauern, die sich innen wie außen immer wieder zu überraschenden Blickachsen öffnen.
Haus Schulz ist eine Wohnung ohne Nippes und fast ohne Möbel. Die Schränke sind eingebaut und damit unsichtbar. Dass hier die Geselligkeit eine Kultur ist, verraten Sessel und Sitzgruppen sowie Tische, alle sorgfältig ausgewählt. „Wir kaufen nichts, was uns nicht gefällt“, verrät Gabriele Schulz ein Lebensprinzip. „Wir haben fünf Jahre unter einer Kabellampe gegessen, weil wir einfach keine Leuchte für den Esstisch gefunden haben. Deswegen haben wir auch keine gekauft.“ Die Armaturen in den Badezimmern sind original 1970er Jahre und ebenfalls skulptural.
Herta Müller saß hier am Kamin
Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller hat in Haus Schulz bereits im Kaminzimmer entspannt. Rechtsanwalt Dieter Schulz ist seit 1987 für die Programmgestaltung des Kunstvereins Stadt Schmallenberg zuständig. Navid Kermani, Daniel Kehlmann, Erich Fried, Erich Loest, Lutz Seiler, Nora Bossong, sie alle haben in Schmallenberg gelesen und waren zu Gast im Heim der Familie Schulz. Literatur und Musik, gutes Kochen und gutes Essen, Gespräche und Geselligkeit finden an diesem Ort ein Zuhause. „Gäste gehören zu unserem Leben“, betont Gabriele Schulz, „ich lade mir die Leute hierhin ein, die ich mag.“
Vom Atelier im Garten aus hat man einen freien Blick auf den Wilzenberg, den Heiligen Berg des Sauerlandes. Bildhauerin Gabriele Schulz ist Mitglied des Hagenrings und der Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Künstlerinnen und Künstler. Sie gehört zu den angesehenen Künstlerpersönlichkeiten in NRW. Als Bildhauerin interessiert sie, wie sollte es anders sein, das Thema Haus. Aus Fredeburger Schiefer schichtet sie Hausskulpturen auf fragilen Stahlwinkeln. Es entstehen Raumkompositionen, die das Verhältnis von Innen und Außen untersuchen, die in den Raum hinein atmen, die im Stein nach geschichteter Zeit forschen.
Kunst aus Schiefer und Reisig
Andere Materialien sind Zeitungspapier, das sie zu Zellulose verarbeitet und daraus Objekte schafft und Reisig, den sie in den Schmallenberger Wäldern sammelt. „Unser Haus hat mich in meiner Formensprache entscheidend beeinflusst.“ Dieter Schulz hat seine Dissertation übrigens über den Architektenvertrag geschrieben. Die Tochter Simone hat Architektur studiert.
Architektenhäuser gelten oft als energetisch fragwürdig. Das ist beim Haus Schulz nicht der Fall. Die Wände bestehen aus Ibbenbürener Naturstein. „Das Haus ist doppelschalig aus Bruchsteinplatten gebaut, eine Außenmauer, eine Innenmauer, dazwischen gibt es einen isolierenden Hohlraum. Die Wärmedämmung an diesen Wänden ist fantastisch. Das kriegt man bei einem modernen Haus nicht besser hin“, schildert Dieter Schulz. Die Wände sind von Hand gemauert. „Die Maurer hatten viel Freude an den Flächen, die sie selbst gearbeitet haben. Sonntags sind sie mit ihren Familien auf die Baustelle gekommen, um ihnen ihre Arbeit zu zeigen“, erinnert sich der Hausherr. „Entgegen landläufiger Meinung war das Haus nicht so teuer, es ist nur so unglaublich raffiniert gebaut.“ Den parkähnlichen Garten haben die leidenschaftlichen Naturfreunde rund um das Haus selbst angelegt. Ein Mähroboter mit geländegängigen Rädern hilft bei der Rasenpflege.
Das Haus schwebt in der Natur
Die Verwandten und Freunde verstanden vor 47 Jahren das junge Paar nicht. Warum setzen sie sich nicht eins von den seinerzeit neu erfundenen Fertighäusern auf die Wiese und bauen dann später an? Aber natürlich hat auch ein Architektenhaus seine Tücken. Die nach außen geknickten Fenster im Esszimmer konnten zur Bauzeit technisch noch nicht mit Isolierglas gearbeitet werden. Doch das ist es mehr als wert, wenn Gabriele und Dieter Schulz im Winter im Esszimmer sitzen, das sich wie eine Insel ins Grüne schiebt. Wenn es dann dunkel wird und die integrierte Rundumbeleuchtung angeht. Wenn der Weihnachtsbaum im Garten erstrahlt und der Schnee leise fällt. Dann scheint das Haus regelrecht in der Natur zu schweben.