Bayreuth/Attendorn. Bass Georg Zeppenfeld gehört zu den Publikumslieblingen bei den Bayreuther Festspielen. Im Interview spricht er über den neuen „Holländer“

Ein Sauerländer gibt auf dem Grünen Hügel den Ton an. Georg Zeppenfeld (54) aus Attendorn prägt mit seiner Stimme zusammen mit anderen Solisten die Richard-Wagner-Festspiele. Nicht nur beim Publikum ist der Bass außerordentlich beliebt, auch die Fachwelt wertet seine Kunst mit vielen Superlativen. In dieser Spielzeit singt Zeppenfeld den Daland im „Fliegenden Holländer“, den Pogner in den „Meistersingern“ und in einer konzertanten Aufführung des „Parsifal“ den Gurnemanz. Im Interview verrät er unter anderem, warum er im „Holländer“ Erbsensuppe löffeln muss.

Frage: Der Daland wird in „Holländer“-Produktionen meistens als gemütliches Schlitzohr gezeigt. In der neuen Inszenierung von Dmitri Tcherniakov ist er jedoch eine eher unsympathische Figur, der seine Geliebte fallen lässt und damit eine tödliche Ereigniskette auslöst. Stört Sie das?

Georg Zeppenfeld: Man gewöhnt sich als Sänger daran, dass es eigenartige Sichtweisen auf Figuren gibt. Aber unsympathisch ist der Daland eigentlich nicht. Der Holländer will in der Bayreuther Neuinszenierung Weltgerechtigkeit herstellen, und Daland hat das Gefühl: Den kenne ich von irgendwoher, ich muss die Augen offenhalten. Jede katastrophale Handlung hat irgendwo einen Kern. Daland ist kein vorbildlicher Familienmensch, er ist ein Spießer, und wenn das so sein soll, dann spiele ich ihn so.

Kommunikation hinter der Kommunikation

Der Daland hat italienische, ariose Passagen zu singen. Die wirken nun wie Karikaturen.

Die Lust am schönen Singen, die ist ihm tatsächlich ein bisschen genommen. Aber ich verstehe das. Dem Regisseur liegt am Herzen, die Kommunikation hinter der Kommunikation zu zeigen, herauszuarbeiten, was zwischen Holländer und Daland jenseits der Worte vorgeht.

In der Schlüsselszene sitzen Sie mit Frau Mary und Ihrer Tochter Senta beim Essen, wozu auch der Holländer eingeladen ist. Die Szene wirkt bedrückend.

Das ist eine sehr gestelzte und unnatürliche Situation mit Suppenterrine und brennenden Kerzen. Die Eltern wollen beim ersten Treffen von Tochter und Schwiegersohn dabei sein, damit bei der Anbahnung der Liaison auch sicher nichts schiefgeht. Ein Albtraum, aber Daland will die beiden unbedingt zusammenbringen, um diesen mysteriösen Fremden familiär zu binden und so unter seine Kontrolle zu bringen. Außerdem verspricht er sich davon finanzielle Vorteile. Der Mutter schwant zusehends, dass sich da eine Katastrophe anbahnt, während der Vater seine Nervosität virtuos mit einigen Löffeln Erbsensuppe herunterwürgt.

Wie bitte? Sie löffeln auf der Bühne Erbsensuppe?

Jawohl. In der Suppenterrine befindet sich Erbsensuppe. Farblich abgestimmt auf meine hübsche grüne Strickweste. Erbsensuppe zu mögen, lernt man ja als Westfale von Kindesbeinen an.

Kommt die Suppe aus der Festspielkantine?

Nein, aus dem Schlauch, glaube ich. Es gibt keine Kantine unter Coronabedingungen. Wir haben nur ein Suppenmobil. Die Kantine ist normalerweise die soziale Mitte der Festspiele. Wenn man die verschiedenen Produktionsteams auseinanderhalten muss, darf man diesen Ort leider nicht betreiben.

Grüne Strickweste

Apropos grüne Strickweste. Ihre Strickweste hat viele lange Flusen. Das sieht kratzig aus.

Die Strickweste ist flauschig, sie wurde extra aufgeraut, damit sie abgetragen wirkt. Sie kratzt eigentlich nicht, aber ich könnte mir vorstellen, in luftigeren Kostümen aufzutreten.

Die erste „Meistersinger“-Vorstellung war von einem Schockmoment begleitet. Beckmesser Johannes Martin Kränzle musste kurz vor der Vorstellung wegen Problemen mit der Stimme absagen, er hat die Rolle stumm gespielt, während Bo Skovhus von der Seite gesungen hat. Wie geht man als Sänger mit so einer Situation um?

Am schlimmsten ist es, die Entscheidung zu treffen, ob man singen kann oder nicht. Als Sänger will man auftreten, solange es irgendwie möglich ist, und dem Opernhaus will man ja auch nicht die Umstände einer Umbesetzung zumuten, wenn es sich irgend vermeiden lässt. Aber es gibt einen Punkt, wo nichts mehr geht und bis man das entschieden hat, ist es für einen Sänger die Hölle. Die Kollegen Kränzle und Skovhus haben Großartiges geleistet. Es war schwer stumm zu spielen und die Lippen genau richtig zu bewegen, denn auf der Bühne hören wir kaum, was an der Seite gesungen wird, und als Einspringer ohne Probe so eine Rolle zu übernehmen, ist ein Ritt über den Bodensee. Auch der Sachs hat es schwer, denn vor allem am Ende des zweiten Aktes müssen sich Sachs und Beckmesser quasi die Bälle zuwerfen. Die Entscheidung, ob er singt oder nicht, muss in aller Regel der Künstler selbst treffen. Es ist ja nicht so einfach, Ersatz für Wagner-Partien zu beschaffen. Wir versuchen, die Partien innerhalb des Ensembles zu covern, so stehe ich parat für den Kollegen Groissböck als Landgraf im „Tannhäuser“ und für Dmitry Bellosselkiy als Hunding in der „Walküre“.

Ein Wotan ist schwer zu finden

Günther Groissböck hat vor wenigen Tagen für den Bayreuther Wotan abgesagt. Warum ist der Wotan so eine Hürde?

Der Wotan ist eine Figur, die in drei der vier „Ring“-Opern dabei sein muss. Und die Partie verlangt eine dramatische Stimme. Die wachsen nicht auf Bäumen, die müssen sich entwickeln können. Es haben immer nur wenige Sänger die Chance, dahin zu kommen. Viele versuchen es aber oder lassen sich dahin puschen, weil sie zu früh wollen oder sollen. Und dann wird so eine Entwicklung unterbunden. Deshalb sind dramatische Stimmen selten und umso schwieriger ist es, einen Wotan zu finden. Wenn Günther Groissböck sich veranlasst gesehen hat, die Partie unter den Nachwirkungen der Pandemie nicht zu singen, ist das sicher eine schwere und nicht leichtfertig getroffene Entscheidung gewesen, er weiß was er tut.

Sie singen im kommenden „Ring“ den Hunding in der „Walküre“. Genießen Sie es, auch mal richtig schwarze Farben zu malen?

Der Hunding ist eine Herausforderung, weil der Farben zeigen muss, die ich in gewissem Rahmen herstellen kann, aber sie sind von meiner natürlichen Klangfarbe relativ weit weg. Es ist eine interessante Aufgabe, aber ich möchte das nicht ausschließlich machen müssen. Die lyrischen Basspartien liegen mir eigentlich mehr. Außerdem singe ich nächstes Jahr den König Heinrich im „Lohengrin“ und wieder den Daland im „Holländer“, da bin ich reichlich versorgt mit Partien.

Meistersinger an der MET

Worauf freuen Sie sich nach Bayreuth?

Im Herbst bin ich voraussichtlich jenseits des Atlantiks beschäftigt, mit den „Meistersingern“ an der MET, wieder als Pogner. In Zürich wartet am 1. Dezember meine erste „Winterreise“ auf mich. Außerdem freue ich mich unter anderem auf den „Freischütz“ in München sowie „Tannhäuser“ und „Aida“ in Dresden, zudem steige ich in die „Zauberflöte“ in Dresden ein. Und dann der neue „Tannhäuser“ in Hamburg, und dann ist schon wieder das Jahr herum.

Wie sehr hat die Corona-Zwangspause Sie als Sänger getroffen?

In den vergangenen 16, 17 Monaten habe ich gelernt und geübt, dann kamen immer wieder Proben, und eine Woche vor der Premiere hieß es dann: Wir dürfen leider nur einmal spielen, ohne Publikum, nur für die Kamera. Wie sehr einen das mitnimmt, habe ich erst gemerkt, als ich in München das erste Mal wieder vor Publikum singen durfte. Die Münchner haben ihr Orchester mit Beifall im Stehen begrüßt, als die Musiker hereingekommen sind. Ich bin froh, dass ich das erlebt habe.