Woher kommt die Angst vorm Schwarzen Mann? Unser Text verrät es und untersucht, ob die Angst vor einer neuen Sprachpolizei berechtigt ist

Mehrere Verkehrsbetriebe in Deutschland streichen den Begriff Schwarzfahren aus ihrer Kommunikation, um Rassismusvorwürfen vorzubeugen. Der Aufschrei ist groß. Die Debatte wird so aufgeregt geführt, weil die Aktionen den Verdacht nähren, dass der Bürger in seiner eigenen Muttersprache nicht mehr sagen darf, was er will. Was ist dran an der Angst?

Grundsätzlich lässt sich jeder Begriff in jeder beliebigen Sprache diskriminierend verwenden. Denn Wörter sind mehr als eine Folge von Silben. Ein wichtiger Faktor zum Verständnis ist die Etymologie, also die Lehre von der Herkunft und Geschichte eines Wortes und seiner Bedeutung. Schwarzfahren etwa hat vermutlich nichts mit der Farbe zu tun, es kommt möglicherweise aus dem Jiddischen. „Shvarts“ heißt dort arm. Ein Schwarzfahrer ist ursprünglich eine Person, die nicht genug Geld hat, um sich eine Fahrkarte zu kaufen.

Diskriminierungsfreie Sprache

Auf der Suche nach einer diskriminierungsfreien Sprache geraten viele Wörter auf den Prüfstand. Das Problem: Die meisten von ihnen haben sprachhistorisch überhaupt keinen diskriminierenden Kontext. Eine sexistische oder rassistische Aufladung erfolgt erst in der jüngsten Gegenwart. Die neuen Sprachtabus wirken daher willkürlich und elitär von oben herab diktiert. Sprache ist aber das wichtigste Instrument der Selbstvergewisserung. Beraubt man einen Menschen seiner Sprache, beraubt man ihn seiner Identität. Sprachverbote werden in Diktaturen eingesetzt, um die Wirklichkeit zu verdrehen und um sich die Bevölkerung gefügig zu machen. Daher ist das Thema sensibel.

Kompliziert wird die Sache im konkreten Fall durch die vielfältige Bedeutung des Begriffs Schwarz im Deutschen. Schwarz ist nicht einfach eine Farbe, welche die Abwesenheit von Licht bezeichnet. „Schwarz ist auch verwandt mit lat. sordere, schmutzig sein“, schreibt der Etymologie-Duden. Im Christentum ist Schwarz die Farbe der Trauer. Viele Zusammenhänge sind heute nicht mehr geläufig: Darauf kannst Du warten, bis Du schwarz bist oder schwarz ärgern bedeutet: Darauf kannst Du warten, bis Du tot bist und deine Leiche schwärzlich verwest. Der Schwarze Mann ist der Tod. Der Begriff geht zurück auf die Pest um 1348, den Schwarzen Tod. Zu dieser Zeit kamen die Pest- oder Totentänze auf. So entstand das bis heute gebräuchliche Kinderspiel „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann“, das sinnfällig die Ansteckung symbolisiert. Jeder, der vom Schwarzen Mann berührt wird, fällt ihm anheim.

Negative Bedeutung von Schwarz

Es gibt also tatsächlich eine negative kulturelle Konnotation von Schwarz. Das ist kein Grund zur Panik, denn sie steht nicht in Verbindung zur Tatsache, dass es Schwarze Menschen gibt. Im Deutschen ist es nicht unüblich, dass Wörter unterschiedliche und sogar gegensätzliche Bedeutung haben können. Die Wissenschaft spricht von Janusworten wie zum Beispiel abdecken, ausbauen, übersehen.

Um die Verwirrung komplett zu machen, gibt es im Deutschen zusätzlich eine Etymologie des Begriffs Neger, die nichts mit dem rassistischen N-Wort zu tun hat, sondern aus dem Keltischen stammt. Die beiden Flüsse Neger im Sauerland sowie die Flüsse Neckar und Necker gehen vermutlich auf „nik“ zurück, das heftiger, schneller Fluss bedeutet. Wer dabei an Nixen denkt, liegt nicht falsch.

Unsagbare Wörter

Unsagbare Wörter gibt es seit der Frühzeit. Die damaligen Menschen glaubten, dass Namen Macht innewohnt und dass man mit der Hilfe von Sprache die Welt beeinflussen kann. Ein Namenszauber beruht auf der Überlegung, dass das Wort und das damit Bezeichnete identisch sind. Sagt man also Bär, wird der Bär herbeigerufen. Heute beziehen sich Sprachtabus vor allem auf intime körperliche Vorgänge. In den USA fragt man nicht nach dem Gästeklo, sondern, wo man sich die Hände waschen kann. Im viktorianischen England war das Wort Bein derartig sexualisiert und tabuisiert, dass sogar Tischbeine mit Decken verhüllt wurden.

Restriktive Sprachpolitik

Im Zusammenhang mit Sprachtabus und restriktiver Sprachpolitik gibt es eine weitere interessante Beobachtung. Bürger in Diktaturen, Bewohner einsamer Inseln und abgelegener Bergdörfer sowie Beschäftigte in manchen Firmen entwickeln spezielle ironische Sprachcodes, die einen gewaltfreien Alltag ermöglichen und trotzdem Dinge beim Namen nennen sollen. „Kollege Y ist so ein fleißiger Mitarbeiter“ oder „Was haben wir für eine gute Regierung“ kann in diesem Kontext das genaue Gegenteil bedeuten. Der Prozess lässt sich derzeit bei der Zigeunersauce beobachten. Deren Tabuisierung führt dazu, dass „Paprikasauce ungarische Art“ vielfach mit demonstrativen Gänsefüßchen ausgesprochen wird.

Unsägliche Begriffe

Sie existieren allerdings tatsächlich, die unsäglichen Begriffe, mit denen derartige Abscheulichkeiten verbunden sind, dass man sie nicht in den Mund nehmen möchte: Blut und Boden, Bombenwetter, Rassenhygiene, Entjudung und leider noch viele mehr.

Parallele Sprachwelten

In Diktaturen ist die Macht über die Sprache ein Herrschaftsinstrument. Wird die freie Rede unterdrückt, entstehen parallele Sprachwelten, die offizielle Sprache wird bedeutungsleer. „Wenn niemand mehr offen widersprechen kann und schließlich alle, die überlebt haben, nur noch sagen, was erlaubt ist, muss die okkupierte Macht mit sich und ihrem fortwährenden ,Getöse‘ alleine bleiben und ihre ganze Sinnlosigkeit offenbaren“, schrieb Burkhard Liebsch einst in der „Süddeutschen“.

In diesem Widerspruch liegt die Gefahr der gegenwärtigen Diskussionen. In Deutschland gibt es keine verbotenen Wörter. Lieschen Müller darf so oft Schwarzfahren oder Zigeunersoße sagen, wie sie möchte. Dennoch erwecken die Debatten den Eindruck, man dürfe in Deutschland nicht mehr frei sprechen, eine Sprachpolizei würde die Muttersprache kontrollieren.

Angst vor Identitätsverlust

Dabei gibt es bereits einen legitimierten restriktiven Umgang mit Wörtern, die nicht harmlos sind: den Straftatbestand der Beleidigung. Dass zusätzlich dazu eine nicht demokratisch legitimierte Metaebene eingeführt werden soll mit Begriffen, von denen der Großteil der Bevölkerung nicht versteht, was an ihnen negativ sein soll, erfüllt die Sprechenden mit großer Verunsicherung und Angst vor kulturellem Identitätsverlust.