Schmallenberg. Das wandernde und wachsende Altartuch der Textilkünstlerin Katharina Krenkel lockt in St. Alexander in Schmallenberg viele Besucher an
Wasser fasziniert Künstler seit Anbeginn. Die Textur, das Farbenspiel, die Spiegelungen, die Bewegung, die symbolischen Bedeutungen. Aber erst die Bildhauerin Katharina Krenkel ist auf die Idee gekommen, Wasser zu häkeln. Ihre Installation „Wasser – ein wanderndes und wachsendes Altartuch“ ist bis zum 14. Juli beim Festival Spiritueller Sommer in St. Alexander in Schmallenberg zu sehen.
Das über sieben Meter lange textile Objekt ergießt sich wie ein Fluss vom Altar des alten Chorraumes über die Stufen. Fixiert wird es oben mit einer aufgeschlagenen Bibel. Die Zielrichtung ist der Taufbrunnen am anderen Ende des Kirchenschiffs. Solche Symbolik freut Dechant Georg Schröder als Hausherrn von St. Alexander. „Bibel und Altar als Quelle für diesen Wasserfluss, den Gedanken hatte ich am Sonntag im Gottesdienst auch formuliert. Es waren viele Besucher da, die sonst nicht in der Kirche sind, die wegen des Altartuchs gekommen sind.“
Kunst als Türöffner
Zeitgenössische Kunst kann als Türöffner für die Beschäftigung mit religiösen Inhalten funktionieren. Für Susanne Falk, Projektleiterin des Spirituellen Sommers, ist der niederschwellige Zugang wichtig, den das Altartuch ermöglicht. „Es ist wirklich barrierefreie Kunst. Das Altartuch ist sehr nahbar. Es funktioniert auf vielen Ebenen, man kann es auch ohne religiösen Zusammenhang sehen.“
Die Besucher in St. Alexander fasziniert zuerst die virtuose Kunstfertigkeit, mit der Katharina Krenkel das Thema Wasser übersetzt. Es gibt viel zu entdecken, stilles Wasser, schäumende Stromschnellen, zerstörerische Tsunamis, lebensspendende Bubbel. Einige Muster wiederholen sich, ziehen sich wie Nervenbahnen durch das Objekt.
Mottenfreie Lagerung
Seit zehn Jahren arbeitet die 54-jährige Saarländerin an ihrem Tuch. Schmallenberg ist die 36. Station. Nach jedem Aufenthalt erweitert die Bildhauerin ihre Arbeit. „Das Tuch muss zwischen den Stationen staub- und mottenfrei gelagert werden. Dann lege ich es auf den Altar, dann rollt es sich ab und springt in den Raum und wird plötzlich lebendig. Dieser Prozess ist immer wieder anders und neu.“
Für viele Besucher bedeutet das Altartuch den Erstkontakt mit Gegenwartskunst überhaupt. „Zeitgenössische Kunst muss normalerweise eine Kluft überwinden“, weiß Katharina Krenkel, „aber das Altartuch berührt die Menschen unmittelbar, weil sie so unverhofft mit der Kunst in Kontakt kommen. Das hat etwas mit dem kirchlichen Raum zu tun. Darin herrscht bereits eine Stimmung von Spiritualität, und man fühlt sich nicht so unter Druck gesetzt, den Intellekt gleich so stark dazwischen zu schalten.“
Unerwartete Übersetzung
Soft Sculptures, so bezeichnet Katharina Krenkel ihre Häkelobjekte, etwa die Bakterien von „Mikromysterium“, die im Frühjahr in Schmallenberg zu sehen waren. Ihre Arbeiten sind konzeptuell und dennoch sinnlich, ja humorvoll. Das Häkeln als Medium einzusetzen, wurde nach dem Diplom an der Kunsthochschule schnell klar. „Ich kann es und ich habe festgestellt, dass ich in dieser bildnerischen Sprache alles ausdrücken kann, was ich möchte. Dazu kommt ein pragmatischer Aspekt. Ich bin Mutter von vier Kindern, ich kann nicht einfach sagen, ich gehe jetzt mal zehn Stunden ins Atelier. Meinen Handarbeitskorb hatte ich immer dabei.“
Doch die Technik alleine macht keine Kunst. Was Katharina Krenkels Skulpturen auszeichnet, ist die Übersetzung eines Themas mit singulären Mitteln in etwas unerwartet Neues. Beim Altartuch spielt nicht nur eine Rolle, wie Rauschen und Tröpfeln über die Nadel transzendiert werden, sondern auch, dass das Material Wolle sich gar nicht mit dem Element Wasser verträgt. Das Altartuch verbindet Unvereinbares und hat damit hohen Symbolwert. Dazu kommt der Zeitaspekt. Die Langsamkeit des Herstellungsprozesses ist werkimmanent und beinhaltet eine meditative Komponente. Er wird zum Gegenentwurf zur schnellen Digitalität.
Schmallenberger Spuren
Auch Schmallenberg hat bereits Spuren in dem Altartuch hinterlassen. Gezackte Ränder erinnern an die Geschichten, die Katharina Krenkel über die Farbe der Lenne gehört hat, die sich früher je nach Sockenproduktion änderte.
„Das Werk bekommt langsam eine Seele. Alles, was bei einer Ausstellung rundum passiert, das gibt so eine Aufladung“, stellt die Künstlerin fest. In Schmallenberg wächst derweil eine Sehnsucht. Susanne Falk: „Wir haben die Vorstellung, dass das Altartuch in 20 Jahren wieder zurückkommt.“