Hagen. Sie ist jung und natürlich kauft sie auch online ein. Warum für Annalena Neubert aus Hagen der Bummel in der Innenstadt trotzdem ein Muss ist.

Der Abgesang auf die Fußgängerzonen ist in vollem Gange. In der Pandemie hat sich das böse Wort von der „Verödung“ der Innenstädte noch mehr verbreitet. In Umfragen berichten junge Leute von langweiligen Einkaufsmeilen. Das macht alles andere als Mut für die Zukunft. Wenn da nicht Menschen wie Annalena Neubert wären.

Die 24-Jährige aus Hagen bummelt liebend gerne durch die gute Stube ihrer Heimatstadt. Sie sagt: „Als in den vergangenen Monaten die meisten Läden geschlossen waren, habe ich es so sehr vermisst, spontan und ungezwungen in die Stadt zu gehen. Jetzt ist endlich wieder Leben in der City.“

Die Lehramtsstudentin wird manches Mal von Gleichaltrigen gefragt, warum sie so häufig „in die Stadt geht“, wie sie es ausdrückt. Dann kommt sie immer wieder auf folgende drei Faktoren zu sprechen:

Faktor 1: Die Grenzen von Online

Das Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln hat jüngst die Ergebnisse einer Passanten-Befragung in Fußgängerzonen unter dem Titel „Vitale Innenstädte“ veröffentlicht. Demnach stieg das Durchschnittsalter der Innenstadtbesucher seit 2016 von 45,2 auf 47,5 Jahre. Waren 2016 noch 21 Prozent der Besucher 25 Jahre oder jünger, waren es im vergangenen Jahr nur noch 16 Prozent. Ein Grund: Die jungen Leute weiteten in der Pandemie den Einkauf bei Online-Händlern wie Amazon und Zalando stark aus.

Auch Annalena Neubert zählt zu der Generation der Online-Käufer. Doch sie sagt: „Das eine schließt ja das andere nicht aus.“ Wenn der Paketbote klingelt, erzählt sie, nimmt sie ihre Bestellung in Empfang und packt das Päckchen aus. „Dieser Vorgang ist aber mit dem Einkaufserlebnis in einem realen Laden überhaupt nicht zu vergleichen.“

Faktor 2: Der Reiz des Neuen

Bei der IFH-Studie kritisierten jüngere Verbraucher das in ihren Augen arg überschaubare Warenangebot auf den Einkaufsmeilen. Das sorge bei ihnen für Langeweile beim Stadtbummel. Annalena Neubert kann das aus Gesprächen nur unterstreichen: „Viele sagen, dass Fußgängerzonen austauschbar sind, weil überall die gleichen Modeketten und Schnellrestaurants zu finden sind.“ Es fehle das „Exotische“, das „Außergewöhnliche“.

Annalena Neubert ist immer mal wieder auch in anderen Einkaufsstädten als Hagen unterwegs. Ihr fallen dann sofort das neue Geschäft mit den besonderen Waffeln, der Laden mit den kreativen Säften oder das Second-Hand-Haus ins Auge. „Meine Generation achtet bei Einkäufen zunehmend auf Nachhaltigkeit. Und sie braucht den Reiz des Neuen, will beim Bummeln etwas entdecken.“

Faktor 3: Sehen und gesehen werden

Der Hamburger Design-Professor Friedrich von Borries hat davon gesprochen, dass niemand „Zweigstellen-Schaufenster“ in „gesichtslosen“ Fußgängerzonen benötige, „die sich um 17.30 Uhr verdunkeln“. Wegen des Online-Booms sei jetzt die Chance da, dass sich die Innenstädte nicht noch weiter „verähnlichen“, sondern ihren eigenen Charakter finden.

Experten sprechen von einem neuen sozialen Leben. Innenstädte sollen neben Einkaufs- noch viel mehr Orte der Begegnung werden. Mit Restaurants, Theatern, Kinos und Galerien. Annalena Neubert sieht die Fußgängerzone als Wohlfühlort, als Treffpunkt: „Es geht auch um das Sehen und Gesehen werden“, sagt sie.

Wenn die Hagenerin auf der Elberfelder Straße, der Haupteinkaufsstraße, oder in der Rathaus- oder Volme-Galerie bummeln geht, lässt sie sich treiben und erlebt das, was für den Menschen als soziales Wesen unverzichtbar ist – Kontakt zu anderen: „Man trifft andere Leute, verabredet sich auf eine Tasse Kaffee oder auf ein Eis. Man verlebt entspannte Stunden und kommt auf andere Gedanken.“ Dabei profitiert Annalena Neubert davon, dass sie sich selbst an einem stark frequentierten Samstag nicht im Gedränge von der Hektik anderer anstecken lässt.

Annalena Neubert will sich nicht an dem Abgesang auf die Innenstädte beteiligen. Sie glaubt fest an deren Zukunft. „Aber die reinen Einkaufsstädte werden sich wandeln müssen.“

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