Hagen. Das Theater Hagen startet mit genau dem richtigen Stück neu. Donizettis Liebestrank wird dabei zum heiteren Märchen. Und wie sind die Sänger?
Kammerton A. Das schönste Geräusch seit dem Lockdown. Wenn das Orchester Kammerton A anstimmt, ist es parat, und hinter dem geschlossenen Vorhang summt das ganze Haus vor Energie. Das Theater Hagen gehört zu den wenigen Bühnen, die vor der Sommerpause tatsächlich noch spielen. „Das liegt daran, dass wir wahnsinnig tolle Mitarbeiter haben“, lobt Intendant Francis Hüsers. So wird die Premiere von Gaetano Donizettis beliebtem „Liebestrank“ tatsächlich zur Liebeserklärung an Macht und Magie der Oper. Das begeisterte Publikum ruft Bravo.
Die Geschichte ist eigentlich aberwitzig. Ein armer Bauer liebt ein reiches Mädchen und kauft bei einem reisenden Quacksalber einen Liebestrank. Weil er das Prinzip nicht versteht, trinkt er das Elixier (Rotwein) selbst. Durch eine Verkettung bizarrer Umstände wird er anschließend tatsächlich zum begehrtesten Junggesellen des Dorfes. Aus diesem grotesken Libretto macht Gaetano Donizetti ein Märchen über die Macht des Träumens – und ein Karrieresprungbrett für lyrische Tenöre.
Eine schwule Lovestory
Francis Hüsers führt in Hagen selbst Regie. Er siedelt die Komödie in einer Musikhochschule an und sattelt noch eine schwule Annäherung zwischen dem Bariton und dem Bass drauf. Dadurch gewinnen auch die im Stück holzschnittartig angelegten Charaktere Soldat und Quacksalber ein kleines Schicksal.
Zusätzlich installiert Hüsers einen Störenfried: Der Professor, der mit seinen Studierenden den Liebestrank probt, unterbricht immer wieder das selbstvergessene Spiel. Repetitor Dan Kurland begleitet im ersten Akt auf der Bühne die Rezitative am Cembalo, im zweiten Akt besteht seine Funktion darin, nervös Sektgläser mit Wasser zu leeren.
Was aus der Versenkung kommt
Die Bühne von Alfred Peter ist reduziert, im ersten Akt ein geschlossener Saal in Form eines Vierecks, im zweiten dann eine Wanderbühne in der Tiefe des Schwarzraumes. Dieser und jenes kommt aus der Versenkung, einige Versatzstücke sorgen für Lacher. Der Hagener „Liebestrank“ besticht nicht durch eine besonders raffinierte Übersetzung der Handlung in Kulisse. Aber er bezaubert durch das frische junge Ensemble und das hochmotivierte Orchester unter Rodrigo Tomillo.
Intendant Hüsers hat wieder ein Hausensemble aufgebaut, das mit Donizetti die glänzendste Visitenkarte ablegt. Diese jungen Sängerinnen und Sänger gehen mit so viel Spaß an die Arbeit, sie agieren so harmonisch und fröhlich zusammen, dass der Funke in der ersten Minute überspringt. Bariton Kenneth Mattice stolziert als eitler Soldat Belcore mit testosterongeladenem Hüftschwung über die Bühne. Bass Insu Hwang kämpft noch ein bisschen mit Donizettis rasend schnellem Parlando, wenn er sich selbst stimmgewaltig als den großen Wunderheiler Dulcamara anpreist. Sopranistin Penny Sofroniadou ist eine emanzipierte Adina, die ihre Männer in den höchsten Tönen an der kurzen Leine führt und nicht nur Koloraturen und Verzierungen wie Sternenstaub parat hat, sondern auch gefühlvolle, anmutige Töne.
Eine verstohlene Träne
Wegen Nemorinos Romanze „Una furtiva lagrima“ (eine verstohlene Träne) gilt „Der Liebestrank“ als die Tenoroper. Das ist ein raffiniertes kleines Stück Musik, denn es beginnt mit düsteren Harfenakkorden, dann setzt die Melodie ungewöhnlicherweise im Fagott ein. Der russische Tenor Anton Kuzenok besticht durch die Schlichtheit und Wärme, mit der er die Liebeshymne anlegt, den unverkrampften Schmelz und das feine Timbre seiner Stimme. Penny Sofroniadou und Anton Kuzenok kommen direkt vom Opernstudio ans Theater Hagen.
Achtung, das Orchester
Natürlich muss „Der Liebestrank“ wegen Corona abstandssicher eingerichtet werden. Daher sind nur acht Chorsänger auf der Bühne, und der erste Kapellmeister Rodrigo Tomillo hat eine Orchesterversion für 20 Musiker erstellt. Diese Bearbeitung und ihre musikalische Umsetzung werden zur funkensprühenden Basis des „Liebestranks“, die ganze Atmosphäre, der Esprit, die Balance zwischen Komik und Gefühl entfalten sich aus der Partitur heraus in wunderbar bildstarken und großartig ausgehörten Klängen.
Das Orchester spielt mit kammermusikalischer Präsenz und feinen solistischen Lichtern. Rodrigo Tomillo legt die Partitur flott an, mit sensiblen Abstufungen. Die großen Ensembles zu den Szenenschlüssen werden zu den Kraftquellen des Stücks, angetrieben von den dynamischen Basszügen im Orchestergraben. Man hört: Musik ist das mächtigste aller Liebeselixiere.