Wir können nicht an die Zeit vor Corona anknüpfen. Und alles Aufholen wird auch nicht funktionieren.
Die Amsel ist meine beste Freundin im Lockdown. Seit ich im März 2020 einen Blumenuntersetzer mit Wasser und einigen Kieseln gefüllt und vor das Esstisch-Fenster gestellt habe, kommt sie täglich mehrfach vorbei. Was als improvisierte Tränke für Hummeln und Bienenköniginnen gedacht war, ist zum beliebten Vogelbad geworden. Corona hat meine Welt reduziert, im Prinzip auf den Blick aus dem Fenster. Den habe ich neu schätzen gelernt in den vergangenen 15 Monaten. Geschellt hat außer dem Paketboten in dieser Zeit niemand. Die Amsel und ich, wir haben uns in der Isolation eingegroovt.
Jetzt geht alles wieder auf, und die Leute fühlen sich erlöst. Mir allerdings ist gar nicht nach Erlösung zumute. Ich sehe mich noch nicht im Außencafé sitzen. Und im Kaufhof sowieso nicht, weil ich mein Geld zukünftig vermutlich für Sprit und Heizöl brauchen werde.
Zu viel ist passiert
Mein Leben nahtlos wieder in den Vor-Corona-Modus zu schalten, wird nicht gelingen. Zu viel ist passiert. Ich bin nicht mehr die Frau vom März 2020. So durfte ich mich während der Pandemie in eine Gärtnerin verwandeln, und das tut mir gut. Die Frage, wie man am besten mit Schafwolle mulcht und aggressive Topinamburs wieder loswird, liegt mir im Moment näher am Herzen als der Wunsch nach einem Aperol Spritz und Bussi-Bussi.
Außerdem fürchtet die neue Pessimistin in mir, dass das dicke Ende erst kommt. Wir waren anderthalb Jahre aufs Überleben fokussiert. Nun stellen wir fest, dass die alten Probleme immer noch da sind. Die zahlreichen Babyboomer zum Beispiel haben 40 Jahre lang nach Herzenslust in die Rentenkasse eingezahlt und gehen jetzt selber in den Ruhestand. Es ist aber nichts übrig geblieben. So dass die nachfolgenden Jahrgänge noch länger arbeiten sollen. Nettes Problem. Wer hätte das kommen sehen? (Achtung, Ironie) Der Klimawandel ist ebenfalls noch da, die Wohnungsnot in den Städten und die Zwietracht sowieso.
Noch nicht mal mehr Krimis
Corona hat mich insofern verändert, als dass ich inzwischen ausgesprochen empfindlich bei Streit bin. Ich mag noch nicht einmal mehr Krimis lesen. Auf das rituelle Polit-Gezänk reagiere ich allergisch. Reißt Euch doch am Riemen, möchte ich den Strategen gerne zurufen, das mussten wir in unseren kleinen Lockdown-Welten ja auch. Hat geklappt, weil es keine Alternative zum Klappen gab.
Manchmal, so nachts zwischen Drei und Vier, beschleicht mich Angst. Komme ich im Kopf je wieder aus dem Lockdown heraus?