Hagen. Der Hagener Kunstsammler Karl Ernst Osthaus sammelt als erster Weltkunst und moderne Malerei parallel. Heute untersuchen die Museen die Herkunft
Das weltweit erste Museum für zeitgenössische Kunst öffnet 1902 in Hagen seine Türen. Der Kunstmäzen Karl Ernst Osthaus begeistert sich jedoch nicht nur für die jungen Wilden aus den Pariser Ateliers. In seinem Folkwang-Museum sammelt er auch außereuropäische Kunst und stellt sie zusammen mit den Bildern von Kirchner und Nolde in Hagen aus. Das hat die Welt noch nicht gesehen. August Macke beschreibt 1908, wie revolutionär die Gegenüberstellung wirkt: „Er hat nicht nur die besten Modernen, auch alte Sachen, viel Ägyptisches, Griechisches, Indisches, Gotisches und Italienisches. Wir waren ganz jeck, wie man hier sagt.“
Heute kann die Leidenschaft für Weltkunst zum Problemfall werden. Die deutschen Museen erforschen derzeit die Herkunft ihrer afrikanischen Masken und asiatischen Götterstatuen. Das Stichwort lautet kolonial belastete Kunst. Dr. Birgit Schulte, Kustodin des Osthaus-Museums Hagen, erläutert, was damit gemeint ist: „Kolonial belastete Kunst ist der Oberbegriff für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Das kann man ein wenig vergleichen mit der NS-Raubkunst. Wegen der Forschungen zu diesem Thema sind die Museen überhaupt so sensibilisiert für das Thema unrechtmäßig angeeigneter Kunst.“
Herkunftsländer fordern Rückgabe
Die Benin-Bronzen sind das bekannteste Beispiel für kolonial belastete Kunst. Die Artefakte wurden 1897 als Beutekunst nach Europa und USA geschafft. Alleine in deutschen Museen gibt es mehr als 1000 Objekte. Die nigerianische Regierung fordert nun die Rückgabe.
Museumsmitarbeiter in ganz Europa untersuchen daher ihre Sammlungen, um festzustellen, ob sich kolonial belastete Kunst in ihrem Besitz befindet und woher diese stammt. „Es ist schon einiges passiert, um Transparenz zu schaffen“, so Birgit Schulte. „Angedockt bei der Kulturstiftung der Länder wird es eine Kontaktstelle für die Museen geben. Das ist ein Pilotprojekt. Alle Museen, die koloniale Kunst haben, sollen ihre Bestände digitalisieren und in einer zentralen Datenbank bündeln.“
Osthaus‘ ethnographische Sammlung ist mit dem Museum Folkwang 1922 von Hagen nach Essen gegangen. In Hagen gibt es aber noch das Osthaus-Archiv mit über 100.000 Dokumenten, anhand derer sich die Herkunft der Objekte nachvollziehen lässt. „Das extrem Spannende ist, dass Osthaus der erste war, der solche Objekte in seine Sammlung integriert hat“, unterstreicht Birgit Schulte. „Das war damals so aufregend, dass andere davon gesprochen habe, zum Beispiel eben Macke. Osthaus wollte eine Begegnung von klassischer europäischer Kunst und außereuropäischem Kulturgut sichtbar machen. Es ist weltweit wahrgenommen worden, dass er in einem Kunstmuseum Weltkunstobjekte ausstellte. Die Intention war aufklärerisch.“
Die Sehnsucht mach dem Exotischen
Warum sammelt Osthaus diese Objekte? Die sogenannte „primitive“ oder exotische Kunst ist die große Hoffnung der Künstler und Sammler nach der Jahrhundertwende. Denn die Stilmittel des Historismus und Neoklassizismus scheinen ausgereizt. Der technische Fortschritt durch die rasante Industrialisierung führt einerseits dazu, dass die Kontinente Afrika, Asien und Ozeanien näher rücken, gleichzeitig aber geheimnisvoll bleiben. Angesichts der explodierenden Industriestädte sehnt man sich nach dem Ursprünglichen, nach dem unverbrauchten Formenrepertoire der sogenannten Stammeskunst. Karl Ernst Osthaus will mit seiner neuartigen Gegenüberstellung Stilverwandtschaften zwischen Weltkunst und moderner Kunst aufzeigen.
Austausch auf Augenhöhe
„1898 reiste Osthaus nach Nordafrika und begegnete der islamischen Kunst und der islamischen Baukunst. Das war sein Erweckungserlebnis. Da hat er beschlossen, sein Museum anders zu gestalten und nicht im historistischen Stil“, berichtet Birgit Schulte. In der Folge wird Henry van de Velde mit der Innenausstattung des Museums Folkwang beauftragt, eine Entscheidung, welche die Kunstgeschichte nachhaltig verändert. Osthaus’ Sammlungsgebiet weitet sich global aus, nachdem 1909 in Paris die Galerie Joseph Brummer mit Weltkunst öffnet. Auf welchem Wege diese Objekte in den Handel kommen, darüber denkt man damals nicht nach, ob sie in den Kolonien gekauft oder geraubt oder aus heiligen Stätten verschleppt werden.
Das zu recherchieren und gegebenenfalls in Kontakt mit den Herkunftsländern zu treten, obliegt der Verantwortung heutiger Museen. Birgit Schulte: „Das ist nicht nur juristisch zu bewerten, sondern auch moralisch-ethisch. Wir müssen unsere Sicht auf die Herkunftsländer ändern. Wenn wir die Beninbronzen betrachten, sehen wir eine Hochkultur. Das muss ein Austausch auf Augenhöhe sein, und dieser Weg wird hoffentlich zu einem für beide Seiten zukunftsfähigen Ziel führen.“