Hagen. Die Dörken-Stiftung ermöglicht es dem Lutz des Theaters Hagen, in die Stadtteile zu gehen. Dort warten Talente wie Mohammad auf Entdeckung

Mo tanzt. Das war ein langer Weg, nicht nur im Wortsinn. In Syrien zerstörten Assads Bomben vor neun Jahren das Bein von Mohammad Al Haji. Da war er 20. In Athen wollten die Ärzte die brandigen Knochen amputieren. Auf Krücken hat Mo es schließlich bis nach Hagen geschafft. Und weil diese Geschichte von Mut und Willen handelt, dürfen auch Wunder nicht fehlen. Über ein Projekt der Markusgemeinde Altenhagen ist der Junge mit dem zerfetzten Bein mit dem Kultopia in Kontakt gekommen und mit Anja Schöne, der Leiterin der Jungen Bühne des Theaters Hagen. Dort tritt er jetzt auf. „Ich habe so gekämpft, damit ich am Leben bleibe“, sagt Mo.

Die Kinder und Jugendlichen aus Altenhagen oder Wehringhausen stehen selten im Rampenlicht. Sie kommen nur in die Schlagzeilen, wenn das Etikett „Problem“ Konjunktur hat: Integrationsprobleme, Armutsprobleme, Sprachprobleme. Das Hagener Lutz ist seit seiner Gründung ein Ort, wo diese jungen Menschen eine Rolle spielen können. Nun fördert die Dörken-Stiftung die integrative und inklusive Theater-Arbeit des Lutz in den Stadtteilen projektbezogen mit 250.000 Euro über fünf Jahre lang.

Von anderen Kulturen lernen

„In Hagen kann man Leute aus verschiedenen Ländern treffen, aber alle sprechen die gleiche Sprache, das finde ich krass cool“, sagt Mo. „Ich mag es, von anderen Kulturen zu lernen. Ich habe noch nie so viele Leute aus anderen Kulturen getroffen wie hier.“

Mo ist ein B-Boy, ein Breakdancer. In Damaskus hat er Breakdance und Hip Hop trainiert und später unterrichtet. „Mein Vater wollte das zunächst nicht, der hielt tanzende Männer für lächerlich. Aber ich bin nicht schwul geworden durch das Tanzen. Ich hatte Kollegen, die waren Schwule, und ich habe gemerkt, dass das ganz normale Menschen waren, die waren einfach Freunde.“

Sein Englisch hat er in den Discos von Damaskus gelernt, wo es vor dem Krieg internationale Gäste gab. Mohammad wollte Jura studieren. Dann wurde er zur Armee eingezogen, desertierte und landete in einem der eingeschlossenen Dörfer an der Peripherie der Hauptstadt. „Die Armee hatte alles dicht gemacht. Es gab keinen Strom, kein Wasser, nichts zu Essen.“ Mo meldete sich für die Aufgabe, bei Luftangriffen die Zivilbevölkerung in Schutzräume zu geleiten.

Ausbildung zum Krankenpfleger

In Hagen holt der 29-Jährige derzeit am Käthe-Kollwitz-Kolleg seinen Hauptschulabschluss nach. Er verpasst keine Stunde, jüngst hatte er in Deutsch eine Zwei. Mo will eine Ausbildung zum Krankenpfleger beginnen. Die Lehrer hätten gerne, dass er weitermacht. „Ich habe Bock auf Lernen, ich habe gute Noten. Aber ich muss eine Ausbildung machen, damit ich meine Familie in Syrien besser unterstützen kann. Alles ist so schlimm geworden dort. Ich will Krankenpfleger werden, weil ich weiß, wie es ist, wenn jemand Schmerzen hat. Ich mag Leute, die helfen. Ich hatte eine Zeit, da konnte ich mich nicht bewegen, da haben mir immer Leute geholfen.“

Ab Sonntag spielt Mohammad in dem Stück „Stadt der Kinder“ im Lutz mit. Darin geht es um Kinderrechte, den Status quo und Wünsche für die Zukunft. Mo tanzt außerdem bei „IMove Hagen“ und leitet im Kultopia Tanzworkshops mit Jugendlichen aus vielen Ländern. „Es gibt auch viele falsche Gedanken, aber die Syrer hören mir zu. Wir versuchen nicht nur, dass sie das Schauspielern lernen, sie lernen auch, wie das Leben hier funktioniert, zum Beispiel, dass die Frauen das Recht haben, zu machen, was sie wollen.“

Mo ist kein Politiker. Er will leben und er will, dass andere leben. „Ich bin nur gegen Waffen und gegen Armeen. Wenn ich ein Flugzeug höre, bekomme ich immer noch Angst. Ich habe gesehen, wie ein Flugzeug gekommen ist, und dann war eine Straße komplett weg. Ich habe viel gesehen, ich habe Leute ohne Beine gesehen und tote Eltern mit Kindern, um die sich keiner mehr kümmert. Mein kaputtgeschossenes Bein konnte nicht medizinisch versorgt werden. Ich hatte eine OP ohne Betäubung; sie haben versucht, die Splitter rauszunehmen, und sie haben ohne Betäubung genäht.“

Auf zu neuen Welten

Mo hat sich auf Krücken aufgemacht, eine bessere Zukunft zu suchen. Immer, wenn es ganz schlimm wurde, die Schmerzen, die Angst, die Hoffnungslosigkeit, hat er getanzt. Meistens im Kopf, manchmal auf den Krücken. Erst über das Projekt der Markusgemeinde fand er den Mut, sich wieder zu zeigen. Mit der Orthese. Dieser Moment hat alles verändert. „Ich hatte ein Solo, und die Zuschauer sind aufgestanden und haben für mich geklatscht. Da hatte ich so ein gutes Gefühl.“

Die Dörken-Stiftung macht nun möglich, dass das Lutz junge Leute wie Mohammad ermutigt, mit den Mitteln des Theaters und der Literatur ihre Isolation zu verlassen und den Aufbruch in neue Welten zu wagen. Mo kennt ihre Situation: „Es gibt zu viele Jugendliche, die mögen nicht, wie ihr Leben ist, die sagen: Ich bin hässlich, ich kann das nicht schaffen, die gehen nicht zur Schule. Und ich sage: Guckt, was ich geschafft habe. Ich habe Kollegen aus Syrien, die studieren jetzt. Wir haben etwas geschafft!“

Das Stück „Stadt der Kinder“ feiert am Sonntag, 13. Juni, um 15 Uhr im Lutz des Theater Hagen Premiere. www.theaterhagen.de