Hagen. Corona-Check: Bürger bewerten das Krisenmanagement von Bund und Land schlecht. Ist so die nächste Wahl schon entschieden? Das sagt die Expertin.
Die Bürger haben gesprochen und ihr Urteil fällt wenig schmeichelhaft aus: Eher schlechte Noten erhalten Land und Bund für das Management der Corona-Krise. Für die Politikwissenschaftlerin Dr. Sonja Blum von der Fernuni Hagen keine Überraschung. Eine gute Erzählung habe in der zweiten Welle gefehlt.
Hatte die Politik angesichts der Dimension der Krise überhaupt eine Chance, besser abzuschneiden?
Dr. Sonja Blum: Das ist schwierig. Politik muss handeln, muss entscheiden – auch unter großer Unsicherheit, die es ja in der Corona-Krise zum Teil gab. Und wenn das über so eine lange Zeit in solch einer großen Krise geschieht, dann kommt es auch zu Fehlentscheidungen. Oder besser gesagt: Zu Entscheidungen, die man im Nachhinein als Fehler erkennt. Aber man hat in dieser Pandemie ja auch gesehen, wie es Politik schafft, Menschen zu überzeugen.
Was meinen Sie?
In der ersten Welle gab es eine überzeugende Erzählung, die den Menschen transportiert werden konnte: Der Slogan „Flatten the curve“, die Kurve des exponentiellen Anstiegs gemeinsam zu stoppen, gehörte dazu. Auch das Wohlstandsversprechen, dass die wirtschaftlichen Folgen für besonders Betroffene abgefedert werden. Da ist ein Ziel formuliert worden, hinter dem sich ganz viele versammeln konnten. Besonders in dieser ersten Phase, als es noch wenig sonstige Mittel oder gar eine Impfung gab, war der Staat ja darauf angewiesen, dass die Menschen mitmachen. Und das ist gelungen, weil es eben diese überzeugende Erzählung gab, die Sie in jeder Krise benötigen.
Wann ist die verloren gegangen?
Ab der zweiten Welle im Herbst gab es diese Erzählung mit einem klaren Ziel nicht mehr. Auch die zeitliche Perspektive für die Menschen fehlte, denn es wurden immer wieder Lockerungen in Aussicht gestellt, die am Ende nicht eingehalten werden konnten. Zum Teil waren die Entscheidungen auch nicht genügend auf wissenschaftlichen Empfehlungen basiert. Das hat über die Zeit zu einer Zermürbung in der Gesellschaft geführt.
Das Krisenmanagement des Landes schneidet im Corona-Check noch schlechter ab als das des Bundes. Ist das erklärbar?
Meine Vermutung ist, dass das stark mit dem Bild zu tun hat, das in der zweiten und dritten Welle dieser Pandemie vom Föderalismus entstanden ist. Bei den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern konnte so der Eindruck entstehen, dass durch die vielen Länder und ihrer unterschiedlichen Positionierungen keine einheitlichen Lösungen zustande kommen, dass nicht die Problemlösung im Vordergrund steht.
Es gibt viele Abgeordnete in Bundes- und Landtag in der Region: Hätten sie dazu beitragen können, eine überzeugendere Erzählung in die Bevölkerung zu vermitteln?
Die Corona-Krise, wie auch andere große Krisen, gelten ja als „Stunde der Exekutive“. Die Regierung rückte ins Zentrum. Aber es setzte sich ja auch mit der Zeit in der Diskussion durch, dass der Bundestag wieder stärker einbezogen werden muss. Ich denke, dass die Rolle der Abgeordneten vor Ort jetzt im Vorlauf der Bundestagswahl ganz wichtig ist, gerade wenn vielleicht der Sommer auch wieder mehr direkte Kommunikation ermöglicht, die in der Pandemie so nicht möglich war.
Werden diese schlechten Noten der Bürger für das Krisenmanagement Auswirkungen auf die Bundestagswahl haben?
Wichtig zur Einordnung ist zunächst einmal, wann die Daten – wie im Corona-Check – erhoben wurden. Antworten sind ja im hohen Maße abhängig von der Stimmung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Würden Sie jetzt fragen, wo die Impfungen einen größeren Fortschritt machen und Lockerungen anstehen, können die Ergebnisse anders ausfallen als noch vor ein paar Wochen. Die Wahrnehmung ändert sich, je nachdem, welches Thema im Vordergrund steht.
Auch interessant
Wie meinen Sie das?
Nun, wir haben ja verschiedene Phasen in dieser Pandemie. Es gibt da die Phase des Containments, der Eindämmung der Pandemie. Hier geht es um aktuelle Maßnahmen, etwa die Kontaktbeschränkungen. In Richtung der Bundestagswahl wird es aber auch verstärkt um die Bewältigung der Folgen der Pandemie gehen. Der Corona-Check zeigt ja auch sehr deutlich, dass Menschen unterschiedlich stark betroffen sind, etwa mit Blick auf Einkommensverluste oder gar Arbeitsplatzverlust. Da wird es darauf ankommen, wer die besten Antworten hat, wie diese Spaltung überwunden werden kann. Ein weiterer Punkt wird die Beurteilung durch die Bürger sein, wie Belastungen und Förderungen verteilt werden. Ihre Befragung zeigt ja auch, dass die Maßnahmen im Bereich Bildung und Betreuung schlecht beurteilt werden. Dass gerade Familien eine hohe Belastung stemmen mussten. Bei den Schülern und Schülerinnen sind zum Teil große Lernrückstände entstanden, es drohen sich auch soziale Bildungsungleichheiten zu verschärfen. Das rückt Fragen sozialer Gerechtigkeit in den Fokus.
Bei der Wahl wird es also mehr um die Zukunft gehen als um die Bewertung des Krisenmanagements?
Die Corona-Krise hat ja gezeigt, dass Probleme, die schon vorher existiert haben, nun wie unter einem Brennglas viel deutlicher werden und massiver zutage treten. Nehmen Sie den Bereich Bildung und Digitalisierung oder auch – das ist ja auch ein Ergebnis des Corona-Checks – die Sorge der Bürger um die Verödung der Innenstädte. Diese Themen gab es ja auch schon vor Corona. Sie sind jetzt noch dringlicher und deshalb müssen darauf Antworten gefunden werden.
>> HINTERGRUND: Rund 12.000 Menschen befragt
- Dr. Sonja Blum ist Politikwissenschaftlerin an der Fernuniversität in Hagen. Sie forscht aktuell zu Politik und Krisenreaktionen in der Corona-Pandemie, insbesondere zu politischen Narrativen sowie den Kita- und Schulschließungen.
- Rund 12.000 Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts in Südwestfalen haben am Corona-Check teilgenommen und einen Katalog von Fragen zu ihren persönlichen Folgen der Pandemie beantwortet.
- Mehr zu den wissenschaftlich belastbaren Daten gibt es unter wp.de/datencenter