Arnsberg/Schmallenberg. Regelbetrieb in der Praxis, zu wenig Impfstoff, aggressive Patienten: In den Hausarztpraxen steigt der Druck so sehr, dass manche resignieren.
Wenn Patienten anfangen, sich um das Personal in einer Arztpraxis zu sorgen, dann ist das zumindest ungewöhnlich. „Ich hatte heute Morgen einen Patienten zum EKG da, der nachher sagte: Bitte verlieren Sie Ihr Lächeln nicht“, berichtet Carina Meinhardt. Die 27-Jährige arbeitet Vollzeit in der Hausarzt-Praxis von Dr. Christoph Bauer in Arnsberg an der Anmeldung.
Unaufhörlich klingelt dort das Telefon. „Wenn es mal nicht schellt, wissen wir direkt, dass etwas mit der Anlage nicht stimmt.“ Und das sei kein Witz, betont sie.
Verband: „Corona-Impfungen belasten die Hausarztpraxen enorm“
Zum normalen Stress sind die Fragen der Patienten nach einer Impfung gegen das Coronavirus hinzugekommen. Bei den Hausärzten stapeln sich die Wünsche, die wegen mangelnder Impfstoffmengen nicht erfüllt werden können, was wiederum zu Unmut bei Patienten führt und sich auf das Personal übertragen kann. Eine Spirale des Frusts. „Das belastet die Abläufe in den Praxen natürlich enorm und der Druck auf die Praxisteams nimmt zu“, weiß Anke Richter-Scheer, 1. Vorsitzende des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe. Es gäbe sogar Kollegen, „die damit drohen, das Impfen in ihrer Praxis zu beenden“. Das zeigt: Der Ton wird rauer, die Umstände schwieriger.
Für diese Woche hatte die Praxis Dr. Bauer in Arnsberg 236 Impfdosen versprochen bekommen. Die Termine zur Impfung waren ausgemacht. Ein Großteil aber wurde vorab schon wieder gestrichen. 58 Dosen sind in der Praxis gelandet. Sonia Büttner (34), eine Kollegin von Carina Meinhardt, die sich um die Organisation der Impfungen kümmert, sagte mehr als 100 Patienten ab. „Da schlägt einem verständlicherweise auch Unmut entgegen, der eine oder andere schimpft auch. Wir sind immer der Prellbock.“
Versprechungen der Politik sind eine „bodenlose Unverschämtheit“
Unter dem Aufwand, den die Impfungen fordern, droht der Regelbetrieb in den Praxen zu leiden. „Wir bemühen uns, dass auch die anderen Patienten eine gerechte Behandlung erfahren“, sagt Büttner. Dr. Bauer schaltete daraufhin eine Zeitungsanzeige, in der er die haltlosen Versprechungen der Politik als eine „bodenlose Unverschämtheit“ bezeichnete.
Andere Praxis, gleiche Sorgen. Als „heilloses Durcheinander“ beschreibt Hausärztin Katja Köhler die Impfstofflieferung. Aktuelles Beispiel: 116 Dosen Biontech waren für diese Woche zugesagt, alle Termine bereits vergeben. Donnerstag: Mitteilung vom Apotheker, dass der Großhändler nur 35 liefern könne. „Eine Medizinische Fachangestellte war zwei Tage damit beschäftigt, 81 alles andere als erfreute Patienten anzurufen“, sagt Köhler.
Mitarbeiter kündigen wegen unhaltbarer Zustände
Montagabend: Der Apotheker steht vor der Tür – mit den ursprünglich bestellten 116 Impfdosen. Sie waren plötzlich doch lieferbar. Es fehlte aber das Zubehör wie Kanülen, die der Apotheker mit Mühe nachlieferte. „Meine Mitarbeiterinnen und ich konnten nur schwer die Fassung bewahren. Die 81 Patienten mussten wieder – diesmal wegen eines neuen Termins – angerufen werden.“
Das macht etwas mit dem Personal – und den Patienten. „Mit dieser fehlenden Planungssicherheit kann man nicht arbeiten“, sagt Köhler. „Auf das ständige Hin und Her reagieren die Patienten auf der einen Seite verständnisvoll, zum Teil aber auch sehr aggressiv.“ Ihre Mitarbeiterinnen seien „an ihrer maximalen Belastungsgrenze“. Das sei andernorts ebenso. „Ich habe schon von Kollegen gehört, dass Angestellte wegen der unhaltbaren Zustände gekündigt haben.“ Sie kenne auch Hausärzte, die wegen der fehlenden Planungssicherheit nicht mehr impften. „Sie haben auch vor dem Hintergrund resigniert, dass die vergüteten 20 Euro pro Impfung lediglich die Unkosten decken.“
Seit dem 1. April impfen die Hausärzte mit, seitdem steigen die Quoten signifikant. „Insgesamt bin ich der Meinung, dass die Impfungen von den Hausarztpraxen ohne Probleme gemanagt werden könnten, wenn Planungssicherheit und ein geordnetes Agieren gewährleistet wären“, sagt Katja Köhler: Das sei aber nicht der Fall – „und so langsam geht uns allen die Puste aus“.
Im Team hilft man sich
Carina Meinhardt und Sonia Büttner fühlen sich manchmal ähnlich. „Wir sind alle ausgelaugt und manchmal auch deprimiert, weil die Pandemie schon so lange anhält und uns auf verschiedenen Ebenen fordert“, sagt Meinhardt. „Wenn jemand mal richtig fertig ist, dann sind die Kollegen da, die einen auffangen“, sagt Büttner. Durch nette Worte, eine Umarmung, einen frisch gebrühten Kaffee mit Kakaopulver. Man kennt sich eben. „Wenn wir alle zusammen nicht ein so gutes Team wären, könnten wir das hier nicht leisten.“
Sonia Büttner hat zwei Kinder im Kindergartenalter. Ihre Stundenzahl in der Praxis hat sie erhöht von 20 auf 24 Stunden. „Wir alle müssen derzeit für Mehrarbeit bereit sein, sonst ginge es nicht“, sagt sie. Sie und all die anderen versuchen, ihr Lächeln nicht zu verlieren.