Meschede. Werden Impfungen durch Corona populärer? Das hofft das Kreisgesundheitsamt des Hochsauerlandkreises in Meschede - und nennt Kritik „irrational“.

Alles dreht sich in der Corona-Krise aktuell um Impfungen. Dr. Peter Kleeschulte, Leiter des Kreisgesundheitsamtes des Hochsauerlandkreises in Meschede, hat die Hoffnung, dass daraus auch Impulse für die Zeit nach der Corona-Pandemie entstehen.

„Die wesentlichste Präventivmaßnahme in der Medizin“

Wir haben unsere Leser befragt, für wie wichtig sie eine Impfung im Kampf gegen die Pandemie halten. Ergeben hat sich eine überdurchschnittlich hohe Zustimmung: Impfungen werden als sehr wichtig erachtet. Überrascht Sie das?

Dr. Peter Kleeschulte: Nein, das überrascht mich momentan nicht. Ich glaube, Corona verhilft generell dazu, Impfungen populärer zu machen: Denn der Einzelne setzt sich aktuell mehr mit dem Prinzip von Impfungen auseinander.

Frauen bewerten in unserer Befragung die Bedeutung von Impfungen noch einmal etwas höher als Männer. Gibt es dafür eine Erklärung?

Nein! Aber vielleicht als Annäherung an eine Erklärung: Frauen nutzen auch häufiger als Männer die Vorsorgeuntersuchungen. Die Akzeptanz für gesundheitliche Themen scheint bei Frauen wahrscheinlicher höher zu sein.

Unabhängig von der Pandemie: Wie wichtig sind Impfungen generell?

Impfungen sind die wesentlichste Präventivmaßnahme, die wir in der Medizin haben. Wenn wir über Infektionsschutz reden, dann meinen wir ja Krankheiten, die übertragbar sind. Wir sprechen von Krankheiten, die lebensbedrohend sein können und jegliche Altersgruppe treffen kann. Präventiv haben wir hier nur die gezielten Impfungen etwa gegen Masern oder Röteln. Alles andere, die Hygieneregeln zum Beispiel, sind ja Dinge, die dabei nicht kausal greifen.

Masern: Ungeschützt - dann ist man fast sicher auch infiziert

Zu welchen Impfungen raten Sie dringend? Welche werden häufig vergessen?

Ich orientiere mich an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut. Die erstellt jährlich einen so genannten Impfkalender. Aus dem geht dann hervor, welche Impfungen offiziell empfohlen werden. Momentan sind das 16 Erkrankungen, zu denen Impfungen empfohlen werden.

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Dabei beschäftigen die Masern die Arbeit im Kreisgesundheitsamt am stärksten?

Ja, wir achten da besonders drauf: Masern sind eine ganz gefährliche Erkrankung und keineswegs harmlos! Die Infektiosität ist sehr, sehr hoch – die Masern sind also sehr ansteckend, ansteckender als das Coronavirus.

Dr. Peter Kleeschulte, Leiter des Kreisgesundheitsamtes in Meschede, hier mit Ulrike Mikitta, die sich in der Corona-Krise beim Hochsauerlandkreis um die Nachverfolgung von Kontaktpersonen kümmert.
Dr. Peter Kleeschulte, Leiter des Kreisgesundheitsamtes in Meschede, hier mit Ulrike Mikitta, die sich in der Corona-Krise beim Hochsauerlandkreis um die Nachverfolgung von Kontaktpersonen kümmert. © Jürgen Kortmann

Wenn Sie ungeschützt mit einem Masernkranken in einem Raum sind, dann sind Sie nachher zu fast 100 Prozent auch infiziert. Der Krankheitsverlauf kann sehr schwer sein - und er kann sich mit allen möglichen Komplikationen verlängern, die danach noch auftreten: Etwa eine bakterielle Lungenentzündung, eine schwere Mittelohrentzündung und mehrere Monate danach ist eine Enzephalitis, also eine Gehirnentzündung, mit schwersten Folgen möglich – in einem von 1000 Fällen, das ist also nicht selten.

Viel höhere Sterberate durch Grippe

Wie geschützt sind denn unsere Kinder?

Wir haben hier beim Masernschutz eine Grund-Immunisierung unserer Schüler erreicht, die bei fast 93 Prozent liegt – von Kindern, die auch zweimal geimpft sind. Die Weltgesundheitsorganisation will Masern durch Impfungen auch ausrotten. Bisher hat man das nur bei einer Erkrankung geschafft – wie wir es in Meschede ja besonders wissen: Bei den Pocken! Versucht wird das auch bei der Kinderlähmung: Europa ist schon Polio-frei, aber es gibt diese Krankheit noch vereinzelt in Ostasien.

Stichwort Grippe: Raten Sie dazu, sich vorbeugend impfen zu lassen?

Ja, auf jeden Fall! Besonders für ältere Menschen und chronisch Kranke! Das Grippevirus ist vergleichbar mit dem Coronavirus – und mindestens genauso gefährlich. Wenn man sich die Sterbefälle in der Vergangenheit anschaut, dann sieht man bei Grippewellen auch eine Übersterblichkeit, also eine viel höhere Sterberate. Die haben wir bei Corona bisher im HSK nicht. Die Grippe schlägt massiv zu! Aber Influenza ist eine impfpräventable Erkrankung, wie wir sagen: Man kann sich dagegen impfen lassen!

Man hört häufig: Wozu eine Impfung? Der Körper müsse schließlich selbst mit Erkrankungen klarkommen. Was antworten Sie darauf?

Das ist völliger Schwachsinn! Warum soll sich der Körper damit selbst auseinandersetzen und mögliche schwere Komplikationen in Kauf nehmen?

Ist das rational? Wenn man an Impfungen denkt, hat man häufig als erstes mögliche Nebenwirkungen vor Augen. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Die Kritik an Impfungen ist völlig irrational. Sie entbehrt jeglicher Begründung. Die empfohlenen Impfungen sind alle wissenschaftlich aufbereitet und bis zum letzten Detail untersucht. Das ist eine völlig emotionale Diskussion von Seiten der Impfgegner.

„Mein Gott, wie kann man das zulassen?“

Haben Sie Verständnis für Impfgegner?

Ich habe keinerlei Verständnis! Man kann medizinisch und wissenschaftlich nicht gegen Impfungen argumentieren. Millionen Kinder sind zum Beispiel durch das erfolgreiche Programm gegen Polio gerettet worden – wo es schwerste neurologische Beeinträchtigungen geben kann: Wenn das nicht überzeugt! Oder man fragt sich, wenn man ein zwei oder drei Jahre altes schwer erkranktes Masernkind sieht: Mein Gott, wie kann man das zulassen?


Glauben Sie, Corona bringt jetzt einen Schub auch bei anderen Impfungen – frischt vielleicht manch einer auch andere Impfungen auf?

Ich hoffe es. Ich kann mir das gut vorstellen, dass die Akzeptanz der anderen Impfungen deutlich erhöht wird.

Sind Sie selbst schon gegen Covid-19 geimpft? Wie haben Sie das erlebt?

Ich bin geimpft im Rahmen unserer Berufsausübung. Ich habe mich zwei Tage nicht so ganz wohl gefühlt: Es war eine deutliche, typische Immunreaktion – aber daran merkt man erst, dass die Impfung wirkt. Diese Immunreaktion will man ja erreichen, damit Antikörper gebildet werden! Mir gibt das ein sicheres Gefühl.

>>>HINTERGRUND<<<

Eines der Vorurteile gegen Impfungen lautet: Sie fördern angeblich Allergien.

Das Robert-Koch-Institut verweist auf eine Analyse von Rotterdamer Ärzten zu dazu veröffentlichten Fachartikeln: Insbesondere in methodisch zuverlässigeren Untersuchungen ließ sich kein erhöhtes Allergierisiko finden.

Es zeigte sich vielmehr, dass Impfungen das Risiko für die Allergie-Entwicklung verringern können.

In der DDR, wo eine gesetzliche Impfpflicht bestand und fast alle Kinder geimpft wurden, gab es kaum Allergien. Diese nahmen in Ostdeutschland erst nach der Wende zu – während gleichzeitig die Impfquoten sanken.