Hagen. Ob Alt oder Jung: In Hagen wird in sozialen Brennpunkten vor Ort geimpft. Wie das möglich ist und was der NRW-Gesundheitsminister plant.
Auch zwei Stunden nach dem Start stehen sie noch immer Schlange: Alte Menschen, junge Menschen, Männer und Frauen, deutsche Staatsbürger und solche ohne deutschen Pass. Sie alle wollen geimpft werden, sich schützen vor den Gefahren des Coroanavirus. Gefahren, die sich hier in Wehringhausen im Zweifel noch schneller verbreiten können. Einem Viertel in Hagen, das in Teilen als das gilt, was man „sozialer Brennpunkt“ nennt.
Der Bodelschwinghplatz, auf dem das Impf-Mobil steht, ist zwar frisch saniert, einige der Altbauen drumherum werden auch renoviert. Es soll aufwärts gehen. Doch noch wird das Viertel dominiert von oft armen Zuwanderern aus Südosteuropa, von der Drogen- und Alkoholikerszene und von vielen anderen Anwohnern, die in der vom Strukturwandel geprägten Stadt zu den armen Menschen gehören.
Handzettel in acht Sprachen verteilt
Die Stadt hat am Mittwoch hier erstmals das Impf-Mobil eingesetzt, um Menschen zu impfen, die oftmals nicht erreicht werden mit Pressemitteilungen und öffentlichen Aufrufen. Die nicht wissen, wann sie dran sind in der Impfreihenfolge. Diese Reihenfolge spielt hier am Bodelschwinghplatz keine Rolle. Geimpft wird, wer in der Schlange steht. Einen Nachweis, dass man tatsächlich in prekären, in beengten Wohnverhältnissen lebt, ist nicht nötig. Vielen sieht man aber auch so an, dass sie kein leichtes Leben führen. Streetworker und Sprachmittlern haben zuvor viele Menschen gezielt angesprochen und Handzettel in acht Sprachen verteilt.
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Hier haben die Menschen nun die Chance, eine Dosis des Impfstoffs von Johnson&Johnson zu bekommen, von dem man nur eine Spritze braucht, um den vollen Schutz zu erhalten. Er gilt gerade für dieses Klientel als perfekter Impfstoff, weil somit kein zweiter Impftermin Wochen später vereinbart werden muss.
Laumann will 100.000 Dosen zur Verfügung stellen
Hagen ist nach Köln mit seinem Problem-Bezirk Chorweiler eine der ersten Städte in NRW, die mit speziellen Impfungen in Problemvierteln dem dort oft besonders grassierenden Coronavirus Einhalt gebieten will. Aber wenn es nach Landes-Gesundheitsminister Kar-Josef Laumann (CDU) geht, dann können es noch deutlich mehr werden. Er hat gestern die Unterstützung des Landes für Impfaktionen in sozial benachteiligten Stadtteilen mit besonders hohen Inzidenzwerten angekündigt.
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100.000 Impfdosen (davon 70.000 Dosen des Herstellers „Johnson & Johnson“) sollen kurzfristig zur Verfügung gestellt werden. „Wenn in einem Stadtteil die Inzidenzwerte hoch bleiben, hat das Auswirkungen auf die ganze Stadt“, erklärt Laumann. Wichtig sei im nächsten Schritt vor allem ein Gesamtkonzept, das in Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen entstehen soll, um die Aufteilung der 100.000 Impfdosen zu regeln. Grundlage dafür könnten neben Inzidenzwerten etwa Arbeitslosenzahlen sein, aber auch die Erfahrungen der ersten aufsuchenden Impfangebote in Köln-Chorweiler oder auch Hagen.
Dortmund sieht „keinen Anlass“ für Aktion
Städte im Ruhrgebiet, die auch besonders hohe Inzidenzwerte haben, stehen schon in den Startlöchern. In Duisburg etwa gibt es bereits konkrete Pläne für ein aufsuchendes Impfangebot in sozial benachteiligten Vierteln. Hierfür habe die Stadt bereits lokale Institutionen um Unterstützung gebeten. Als mögliche Standorte nennt die Stadt die DITIB-Moschee in Marxloh und Vereine. Für die Stadt Dortmund sind mobile Impfteams zwar denkbar, allerdings erst dann, wenn die Impfpriorisierung aufgehoben werde. Das Infektionsgeschehen sei nicht auf einzelne Stadtteile begrenzt. „Aktuell gibt es für solche Planungen keinen Anlass“, sagt eine Sprecherin. Stattdessen setze man auf mehrsprachige Informationen und das Test- und Impfangebot.
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In Hagen kann man derweil ein positives Fazit nach der ersten Brennpunkt-Impfaktion ziehen: 160 Menschen haben die erste Spritze erhalten. Heute geht es in Altenhagen weiter, noch ein sozialer Brennpunkt in Hagen.
>> HINTERGRUND: In den Landkreisen der Region noch kein Thema
- Im Hochsauerlandkreis, im Kreis Olpe und im Märkischen Kreis sind Sonder-Impfaktionen wie in Hagen noch kein Thema. Hier gebe es keine vergleichbaren sozialen Brennpunkte wie in den Großstädten Hagen oder Köln, so die Kreisverwaltungen auf Anfrage unserer Zeitung.
- Auch der Kreis Siegen-Wittgenstein sieht derzeit keine vergleichbaren Problemviertel. Dort will man aber prüfen, ob der neue Erlass, Chancen für weitere Impf-Möglichkeiten enthält. Der Ennepe-Ruhr-Kreis beginnt nun mit dem Impfen in Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften.