Hagen/Dortmund. Sie kommen mit der künstlichen Lunge angeflogen, wenn selbst Beatmungsgeräte für Covid-Patienten nicht mehr helfen: die ECMO-Spezialteams.
Vorherzusagen, wem die Therapie wirklich hilft, das hat sich Dr. Björn Elger (48) – wie er selbst sagt – abgewöhnt. „Wir werden immer wieder überrascht, wer überlebt und wer nicht.“ Klar ist nur: Wenn der Dortmunder Intensivmediziner mit seinem Team angeflogen kommt, aus dem engen Hubschrauber steigt und die künstliche Lunge im Gepäck hat, die dafür sorgt, dass das Blut ausgetauscht und mit Sauerstoff versorgt wird, dann ist es ernst, sehr ernst sogar für die Patienten.
Solche Einsätze, so Björn Ellger, seien selbst für hartgesottene Intensivmediziner eine Herausforderung: „Wenn wir einen Patienten abholen und wir wissen, dass wir eine junge Frau mit ihren drei Kindern zurücklassen, kann das sehr bedrückend sein.“ Vor allem weil sie nur Hoffnung, aber kein Versprechen auf Heilung abgeben könnten.
Oft im Sauerland unterwegs
Ellger ist Direktor der Kliniken für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie im Knappschaftskrankenhaus in Dortmund-Brackel. Und er ist Teil eines Spezial-Teams, das die künstliche Lunge, eine sogenannte ECMO, in den ländlichen Raum bringt. Diese fliegenden Teams sind die letzte Rettung für schwer erkrankte Covid-19-Patienten, deren Sauerstoffgehalt im Blut trotz Beatmung auf der Intensivstation zu schnell sinkt.
In NRW gibt es ein gutes Dutzend dieser Teams. Und Björn Ellger sowie ein weiterer Intensivmediziner starten immer öfter mit einem Hubschrauber voller medizinischer Spitzentechnologie von einem der beiden Standorte des Klinikums Westfalens aus, um Leben zu retten. Ihr Ziel: Kliniken in der Region, die mit der komplizierten Herz-Lungen-Technik weniger gut ausgestattet sind und um Hilfe rufen.
Komplizierte Technik
„Die ECMO-Therapie ist das allerletzte Mittel im Kampf gegen Covid-19“, erklärt Ellger, der gemeinsam mit Dr. Daniel Oswald, Leiter der Intensivtherapie im Knappschaftskrankenhaus, und Oberarzt Christian Taubenberger rund um die Uhr bereit steht, um die lebensrettende ECMO-Therapie zum Patienten zu bringen.
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Bei der extrakorporalen Membranoxygenisierung (ECMO) übernimmt vorübergehend eine Maschine die Funktion der Lunge und versorgt den Körper mit Sauerstoff. Eineinhalb bis sechs Liter sauerstoffarmes, kohlendioxidreiches Blut können bei diesem Verfahren pro Minute aus dem Körper in das Gerät gepumpt werden. Je nach Bedarf. Das Blut wird vom Kohlendioxid befreit und mit Sauerstoff angereichert. Anschließend wird es in den Körper zurückgeleitet. Durch diese Entlastung hat die Lunge die Möglichkeit, sich wieder zu erholen. Jedes einzelne Gerät kostet bis zu 60.000 Euro und verschlingt pro Einsatztag weitere 3000 Euro.
Patienten werden immer jünger
Parallel zur sich auftürmenden dritten Corona-Welle steigt die Zahl der Anfragen aus Krankenhäusern kontinuierlich. Drei- bis viermal im Monat steigt der Mediziner aus Dortmund mit seinem Team in den Helikopter. Meistens gehe es in ländliche Gebiete wie das Sauerland, so der Ellger. „Seit Ostern waren es zehn Einsätze mit dem Hubschrauber.“ Tendenz steigend.
„Covid-19 ist einfach eine Sch…-Krankheit“, sagt der Dortmunder, der Vater dreier Kinder ist. „Die von schwerer Krankheit gezeichneten Patienten werden immer jünger und die Krankheitsverläufe immer schwerer.“ Das Alter bei den an ECMO-Geräten angeschlossenen Patienten liege mittlerweile durchschnittlich bei 40. „Eine der Firmen, die die speziellen Maschinen herstellen, hat bereits Probleme, Ersatzteile zu produzieren“, erzählt Ellger. Das Unternehmen empfiehlt, sorgsam mit den Ressourcen umzugehen, sonst drohe ein Engpass.
Eine Herzensangelegenheit
Ellger und die anderen Mediziner leisten diesen Einsatz oft zusätzlich zu ihren sonstigen Diensten. „Das ist schon eine Herzensangelegenheit sämtlicher Beteiligter und verlangt auch den Partnerinnen und Partnern daheim einiges ab“, sagt Oberarzt Christian Taubenberger. Auch der Flug selbst sei nicht jedermanns Sache: „Für Patient, Technik und zwei Ärzte bieten die Rettungshubschrauber nicht viel Platz.“
Wird das Dortmunder Team gerufen, ist Eile geboten. Innerhalb weniger Minuten diskutieren die Ärzte den Fall und arbeiten gegebenenfalls eine individuelle Strategie aus. Voraussetzung ist allerdings, dass eine Perspektive für den Patienten besteht. „Sonst wäre die hohe Belastung von Transport und weiteren intensivmedizinischen Maßnahmen keinem zuzumuten. Weder dem Patienten noch den Ärzten und Pflegern“, so Ellger.
Der lange Weg zurück ins Leben
Vier bis fünf Stunden dauert es, bis die Mediziner um Ellger wieder im Dortmunder Knappschaftskrankenhaus zurückgekehrt sind. Die Patienten müssen dann schnell stabilisiert werden. Der Umgang mit der hochkomplexen Technik erfordert dabei von allen Beteiligten höchste Konzentration.
Der Kampf um das Leben der Patienten sei ein „langen Weg“ , sobald sie im Dortmunder ECMO-Zentrum angekommen seien, berichtet Björn Ellger: „Es dauert meist 50 bis 70 Tage, bis sich die Lunge ausreichend erholt hat.“ Es folge erst die Entwöhnung von der ECMO, danach die Entwöhnung von der künstlichen Beatmung.
Überlebensrate ist gering
Während der Einsatz von ECMO die Überlebenschance von Nicht-Covid-Patienten einer Studie der Universitätskliniken im Wiener AKH zufolge um bis zu 75 Prozent verbessert, sieht es bei Covid-Patienten nicht so gut aus: „Da liegt die Überlebensrate gerade einmal bei 10 bis 20 Prozent“, sagt Björn Ellger. Das sei oft frustrierend. Aber: „Diese 10 bis 20 Prozent würden ohne den Einsatz der ECMO-Teams nicht überleben.“