Hagen. Jürgen Breuer leitet das Kulturzentrum Pelmke in Hagen. Er beobachtet, dass Corona Menschen in prekären Verhältnissen besonders hart trifft.
Neulich hatte Jürgen Breuer einen Alptraum. Darin hat er Anträge vergeigt, und das Geld kam nicht. Jürgen Breuer ist Geschäftsführer des Kulturzentrums Pelmke in Hagen, das zu den innovativsten Kulturzentren in NRW gehört. Sein Team und er selbst sind durch Kurzarbeitergeld überwiegend abgesichert. Aber die Künstler nicht. Und die 450-Euro-Kräfte erst recht nicht.
Die Geigerin Anne-Sophie Mutter tritt nicht in der Pelmke in Hagen auf. Die Kultur, die hier gemacht wird, heißt Kleinkunst, und die Künstler, die hier unterwegs sind, stehen nicht im Licht. „Unsere Künstler und unsere Techniker sind alle Freiberufler. Für die Künstler gibt es Stipendien vom Land, für die Techniker nicht“, schildert Breuer die Situation und ergänzt: „Am schlimmsten trifft es die 450-Euro-Kräfte, davon haben wir elf. Ein Teil ist vielleicht im Einzelhandel untergekommen, Regale auffüllen, die schlagen sich anders durch. Es gibt Leute, die haben Kinder, wenn die ihre Unterstützung mit 450-Euro-Jobs in Kultur oder Gastronomie aufgestockt haben, sind sie jetzt gekniffen. Die Menschen, die ohnehin prekär unterwegs sind, fallen durch alle Raster.“
Anträge über Anträge
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Das Kulturzentrum Pelmke versucht, durch digitale Angebote die freien Künstler wenigstens ein bisschen zu unterstützen. „Bei Lesungen, Poetry Slam, allem was wir mit Literatur machen, können wir den Künstlern dank des Programms Neustart Kultur 500 Euro Honorar zahlen, egal ob live oder digital. Wir gucken, wie wir ein Programm machen können, um den Künstlern etwas zukommen zu lassen.“ Dafür studiert Jürgen Breuer Förderrichtlinien und schreibt Anträge, führt unzählige Telefonate mit Berlin, denn die meisten Fördertöpfe sind Bundesmittel - und schläft nicht gut.
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„Die Frage ist doch, wie sich das langfristig entwickeln wird“, sagt er. „Manche Band war seit einem Dreivierteljahr nicht im Proberaum. Kommen die wieder auf die Füße? Die alten Gleise wird es vermutlich nicht mehr geben. Es ist schwierig, ohne Publikum kreativ zu sein. Es kommen viele Veränderungen auf uns zu, auch hinsichtlich der Finanzierung.“ Die funktioniert noch. Die Pelmke ist in den Kulturstärkungspakt des Landes NRW aufgenommen worden, die Stadt Hagen als Trägerin hat nicht verwendete Veranstaltungsmittel freigegeben, um das Defizit durch Einnahmeausfälle aufzufangen. „Noch geht es. Aber die Angst, die kommen wird, ist, dass dem Staat das Geld ausgeht. Es wird ja auch eine ganze Zeit dauern, bis das Publikum wiederkommt. Wenn wir demnächst was machen dürfen, dann dürfen 10 Besucher ins Kino oder 20 in den Veranstaltungssaal, das ist weit von kostendeckend entfernt, davor graut mir. Die Kommunen sind eh pleite, die werden Begehrlichkeiten entwickeln, da sind Bund und Länder gefordert.“
Antworten auf Corona
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Jürgen Breuer ist überzeugt, dass die Kultur künstlerische Antworten auf Corona finden sollte, dass sie künftig die Kulturstätten verlassen muss, um auf die Straße zu gehen. Dafür entwickelt die Pelmke derzeit Ideen. „Das Projekt heißt Kunstverortungen. Das Geld kommt vom Land zur Konzeptförderung soziokultureller Zentren. Da sind wir für drei Jahre drin. Künstlerinnen und Künstler erarbeiten Programme und gehen damit in die Stadtteile, in Hinterhöfe, leerstehende Geschäfte, mit Poetry Slam, Bildender Kunst, Musik, Performance. Das entwickelt sich gerade.“
Kunst auf die Straße bringen
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Die Kunst müsse der Pandemie einen Schritt vorauskommen. „Wir müssen zu den Leuten gehen. Welche Formate kann es geben, Kultur interdisziplinär auf die Straße zu bringen, um zu zeigen, was so eine Kunstszene kann? Wir müssen in die Welt gehen und den Leuten nach Corona zeigen, dass es noch was anderes gibt als Netflix.“
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Corona habe gezeigt, dass die Idee eines Grundeinkommens für Künstler so verkehrt nicht sei. „Die ganzen Künstlerinnen und Künstler in Hartz 4 zu schicken, da sind wir wieder bei der mangelnden Wertschätzung. Kultur ist systemrelevant. Theater, freie Kultur sind demokratierelevant. Für eine gesellschaftliche Diskussion ist der Kulturbetrieb wichtig.“