Hagen. Die Lage in den Gesundheitsämtern spitzt sich zu, die Kliniken rüsten sich für Corona-Patienten – und die Bürger sind in Lager gespalten.

Der Kalender hat keine Ahnung vom Coronavirus. Er zeigt den 28. Oktober an. Herbst 2020. Das Jahr, das als das Corona-Jahr traurige und andauernde Berühmtheit erlangen wird. Es ist die viel zitierte zweite Welle, die gerade durch das Land rollt. Überall in NRW steigen die Zahlen, wächst die Sorge. Nicht umsonst hat Bundeskanzlerin Angela Merkel das Treffen mit den Ministerpräsidenten auf Mittwoch vorgezogen. Der Bund will mit drastischen Kontaktbeschränkungen noch vor Weihnachten die massiv steigenden Corona-Infektionszahlen in den Griff bekommen. Bundesweit sollen Freizeiteinrichtungen und Gastronomie geschlossen, Unterhaltungsveranstaltungen verboten und Kontakte in der Öffentlichkeit sowie Feiern auf Plätzen und in Wohnungen eingeschränkt werden.

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„Wir sind – wie andere Kreise auch – an der Grenze – und zum Teil darüber hinaus“, gibt Volker Schmidt, Fachbereichsleiter für Gesundheit und Soziales sowie Mitglied im Krisenstab des Märkischen Kreises, einen Einblick in die tägliche Arbeit des Gesundheitsamtes. Dramatisch seien die Fallzahlen gestiegen. 183 gemeldete neue Fälle waren es allein am vergangenen Wochenende. Dann beginnt die Arbeit der Gesundheitsämter mit einem Anruf bei der infizierten Person, um die Kontakte zu ermitteln. So ein Gespräch dauert, weil sich nicht jeder gleich gut erinnert.

Manchmal ist eine Schule betroffen, manchmal eine Kita: mehr als 100 Kontaktpersonen sind dann möglich. Aber selbst wenn jeder der 183 Fälle nur fünf Kontakte hatte, sind das fast 1000 Anrufe, die die Mitarbeiter erledigen müssen. Die Sieben-Tages-Inzidenz lag am Dienstagmorgen knapp unter 100.

Volker Schmidt, Mitglied des Krisenstabes im Märkischen Kreis.
Volker Schmidt, Mitglied des Krisenstabes im Märkischen Kreis. © Privat

60 Personen arbeiten mittlerweile im Gesundheitsamt als Corona-Detektive. „Wir können im Moment nicht sicherstellen, dass wir infizierten Personen noch am gleichen Tag Bescheid geben können“, sagt Schmidt. Besserung? Nicht in Sicht. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich die Situation noch weiter zuspitzt. Wir haben noch einige harte Monate vor uns.“

Neues Personal müsste her, aber interne Rochaden sind ausgeschöpft. Externes Personal ist kaum zu kriegen, „weil alle gerade suchen“, sagt Schmidt. In Hagen und im Kreis Olpe hilft zum Beispiel die Bundeswehr bei der Kontaktnachverfolgung. „Wir planen das auch und haben bereits Kontakt“, sagt Schmidt. „Aber die brauchen auch ein paar Wochen Vorlaufzeit.“

Aber selbst wenn neues Personal gefunden würde, nimmt ein neues Problem Konturen an. „Wo setzen wir die Leute hin“, fragt Schmidt. Die Sitzungsräume im Verwaltungsgebäude in Lüdenscheid seien bereits belegt. Zusätzliche Immobilien müssten angemietet und mit der entsprechenden Technik für die zentrale Datenerfassung versehen werden. Ein Traumjob ist das ohnehin auch nicht immer: Oft bekommen die Mitarbeiter die Wut der Bürger ab.

Die Mehrheit reagiere zwar weiterhin besonnen auf die Maßnahmen des Kreises, aber „im Frühjahr war das Verständnis größer, diese Dinge mitzutragen“, sagt Schmidt: „Es ist ein Problem, dass unsere Mitarbeiter, die eh schon am Limit arbeiten, auch noch beschimpft und persönlich beleidigt werden.“

… die Kliniken:

Das Klinikum Hochsauerland rüstete sich im Frühjahr zur Corona-Klinik noch. Der Verbund aus vier Standorten zog das Marien-Hospital in Arnsberg fast leer, um auf eine mögliche Welle an Covid19-Patienten vorbereitet zu sein. Die blieb aber aus. Jetzt löst der Verbund dies anders. „Wir wollen temporär einzelne Abteilungen umziehen lassen, um schrittweise Kapazitäten zu schaffen“, sagt Geschäftsführer Werner Kemper. Weil die Mediziner von weiter steigenden Zahlen ausgehen, ist die Urologie bereits an den Standort Hüsten verlegt worden, dafür ist in Arnsberg eine zweite Infektionsstation installiert worden: Zu den bestehenden 14 Betten kommen 20 weitere. Die Kapazitäten an Intensivbetten im Klinikum Hochsauerland „reichen derzeit mehr als aus“, heißt es von der Klinik.

… die Gastronomen:

Endlich Gewissheit zu haben wäre schon gut, sagt Martin Brinkmann. Als Geschäftsführer des Cafés und Restaurants Panorama in Winterberg ist auch er besonders gespannt, ob es zu einem „Lockdown light“ kommen wird. Dass dann aber womöglich ausgerechnet Restaurants wieder schließen müssten, dafür habe er kein Verständnis: „Ich finde das unverhältnismäßig“, sagt er.

Immerhin seien Restaurants keine Treiber der Pandemie, ganz anders als etwa private Feiern. Gastronomen hätten sich in den vergangenen Monaten viel Mühe gegeben, Hygienekonzepte entwickelt und seien zig Maßnahmen nachgekommen. „Ein Besuch im Restaurant ist nicht gefährlich“, sagt Brinkmann. Dagegen könnte eine längere Schließung durchaus gefährlich fürs Geschäft werden: „Wir hätten jetzt sogar noch Glück – in Winterberg ist die Hauptsaison gerade vorbei, viele – auch wir – werden jetzt ohnehin Betriebsferien machen, die könnte man notfalls verlängern.“

Im Dezember dagegen wäre die Zwangsschließung eine Katastrophe, sagt er. Denn dann sind Winterferien, eine der Hauptgeschäftszeiten für den Gastronomen. „Wir haben es noch ganz gut, weil wir saisonalen Betrieb haben. In anderen Städten sieht das ganz anders aus.“ Für viele Restaurants könnte das ein herber Schlag werden, ist er sicher. Nichtsdestotrotz: Grundsätzlich sei es wichtig für alle, endlich Gewissheit zu haben, sagt Brinkmann. „Und je kürzer der Lockdown ausfallen wird, desto besser wäre das für uns alle.“

… die Bürger:

„Wir brauchen keinen Lockdown light. (...) Wir können nicht eine Branche und viele Existenzen in den Abgrund stoßen, ohne einen wirklich erkennbaren Sinn“, schreibt lja Keller aus Arnsberg bei Facebook und argumentiert, dass Gastronomien bislang zumindest nicht als Multiplikatoren der Infektionszahlen ausgemacht werden konnten. Florian Giseler aus dem Wittgensteiner Land sieht das anders: Es brauche weitere Maßnahmen, „weil sich niemand vernünftig verhält. Wer das nicht versteht, kann sich mal gegenüber der beiden großen Siegener Innenstadt-Cafés setzen und die Gäste im Außenbereich beobachten. Für viele Menschen bedeutet ,Maske ab’ gleich auch: Jede Corona-Regel und jede Corona-Vernunft außer Kraft.“

Sabrina Rimbach aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis sieht andere Ansatzpunkte: „Solange Kitas und Schulen offen bleiben, ist fast alles ok“, meint sie. Auch Kerstin Schaefer aus Hagen würde empfände eine erneute Schließung von gastronomischen Betrieben als „eine Katastrophe. (...) Man sollte lieber den Leuten, die sich nicht an Auflagen halten, extreme Geldstrafen aufbrummen (...) und nicht die Leute bestrafen, die sich an Abstand und Hygieneregeln halten.“