Hagen/Sauerland. Kontakte von Corona-Infizierten zu verfolgen – das ist extrem wichtig. Aber haben die Gesundheitsämter genug Personal? Eine Stadt sagt: Nein.
Die Pressestelle des Hochsauerlandkreises gilt in Journalistenkreise als sehr schnell. Medienanfragen werden in der Regel zügig beantwortet. Am Dienstag aber musste Sprecher Jürgen Uhl passen. Die richtigen Ansprechpartner im Gesundheitsamt hatten keine Zeit, um Fragen zu Personalkapazitäten zu beantworten. Zu sehr sind sie derzeit damit beschäftigt, die vielen Kontaktpersonen einer Corona-Infizierten am Gymnasium Winterberg zu kontaktieren und sie gegebenenfalls in Quarantäne zu schicken.
Das alles ist ein plastisches Beispiel, wie schnell auch nur wenige Corona-Infektionen die Gesundheitsämter fordern oder auch schnell an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringen können. Im Hochsauerlandkreis gibt es aktuell zwar noch keine Überforderung – die spätere Antwort auf eine Presseanfrage ist verkraftbar. Allerdings ist dort generell die Dynamik der Corona-Neuinfektionen auch gering.
Bundeswehr hilft in Remscheid
Bei einem Wert von 4,6 liegt die so genannte Sieben-Tages-Inzidenz (Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen) aktuell im Hochsauerlandkreis laut Robert-Koch-Institut (RKI) – nach dem Kreis Paderborn (4,2) der zweitniedrigste Wert in ganz Nordrhein-Westfalen. Im derzeit mit Neuinfektionen arg gebeutelten Remscheid dagegen (Sieben-Tages-Inzidenz bei 65,8) werden jetzt Kräfte der Bundeswehr eingesetzt, um alle Kontakte von Infizierten nachverfolgen zu können.
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Denn genau das ist das oberste Ziel aller Rechenspiele: Das Infektionsgeschehen soll – notfalls auch durch neue lokale Einschränkungen des öffentlichen Lebens – so weit nach unten gedrückt werden, dass es auf keinen Fall mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen gibt – besser noch: nicht mehr als 35.
Denn bei diesen Werten haben die Behörden noch die Chance, die Wege nachzuverfolgen und Kontaktpersonen in Quarantäne zu schicken. Zumindest, wenn die andere Seite des Rechenmodells auch eingehalten wird: Die Gesundheitsämter sollen pro 20.000 Einwohner fünf geschulte Mitarbeiter vorhalten, um genug Personal zu haben, um bis zu einem Sieben-Tages-Wert von 50 die Wege zu verfolgen.
Doch das, so das Ergebnis einer Recherche von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung soll in größeren Teilen Deutschlands nicht der Fall sein. Die Behörden erfüllten oftmals die Anforderungen nicht, obwohl dies schon im April von Bund und Ländern besprochen worden sei. Doch wie sieht die Lage in der Region aus?
Robert-Koch-Institut schickt Scouts
Die Stadt Hagen mit gut 190.000 Einwohnern müsste 47 Mitarbeiter in der Kontaktpersonen-Nachverfolgung vorhalten. „Diese Vorgabe wird von der Stadt Hagen aber nicht erfüllt“, räumt Sprecher Michael Kaub ein. Obwohl nicht nur die Gesundheitsamts-Mitarbeiter, sondern auch Beamte und Angestellte aus anderen Fachbereichen der Verwaltung hinzugezogen worden sind. Die Schulung der Mitarbeiter für diese Aufgaben sei allerdings auch aufwendig: „Das dauert mehrere Tage: Neue Mitarbeiter für diese Aufgabe werden von den erfahreneren Kollegen im Sinne von ,Learning by Doing’ an aktuellen Fällen eingearbeitet – auch in die ganzen administrativen Tätigkeiten.“
Bislang musste die Stadt Hagen, die zeitweise bundesweit die zweithöchste Dynamik bei Corona-Neuinfektionen aufgewiesen hatte, noch keine externen Kräfte anfordern. Für den Herbst, so Stadtsprecher Kaub, habe das RKI aber die Entsendung eines Scouts zugesagt. Dabei handelt es sich meist um Medizinstudenten, die die Arbeit unterstützen.
Der Kreis Olpe, der insbesondere zu Beginn der Pandemie zu den am stärksten betroffenen Gebieten in ganz NRW gehörte, erfüllt den geforderten Personalschlüssel: 33 geschulte Mitarbeiter zur Kontakt-Nachverfolgung müssen gemäß der Einwohnerzahl gestellt werden. Die kann der Kreis Olpe bei Bedarf auch aus verschiedenen Fachbereichen zusammenziehen. Externe Hilfe musste bislang noch nicht angefordert werden, ab Mitte Oktober soll aber auch hier ein Scout des RKI unterstützen.
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75 Mitarbeiter muss der Kreis Soest stellen. Auch er erfüllt die Anforderungen, allerdings wurden auch drei Ärzte mit befristeten Verträgen eingestellt – und im Oktober sollen zwei RKI-Scouts kommen.
Auch der Kreis Siegen-Wittgenstein kann die nach der Vorgabe nötigen 70 geschulten Mitarbeiter zur Kontaktnachverfolgung stellen. „Bislang haben wir diese Zahl aber noch nie ausschöpfen müssen“, so Behördensprecher Torsten Manges. Also auch nicht in den vergangen Tagen, als Siegen-Wittgenstein mit einer Sieben-Tages-Inzidenz von etwa 30 nach Hamm den zweithöchsten Wert im Regierungsbezirk Arnsberg hatte. Der ist inzwischen auf 23,7 gefallen und Torsten Manges hofft, dass er in den nächsten Tagen weiter sinken wird. „Wir haben aktuell nur sehr wenige Neu-Infektioen.“ Der Märkische Kreis und der Ennepe-Ruhr-Kreis konnten die Anfrage noch nicht beantworten.
>> HINTERGRUND: Falsches Test-Ergebnis mitgeteilt
- Fehler sind bei der Arbeit nicht ausgeschlossen: So hatte das Gesundheitsamt Siegen-Wittgenstein einem Mitarbeiter der Erndtebrücker Eisenwerke mitgeteilt, dass sein Test ergeben hatte, dass er nicht mit dem Coronavirus infiziert sei. Er ging wieder zur Arbeit und auch als Zuschauer zum Fußballplatz. Bis ein Anruf des Hausarztes die Situation auf den Kopf stellte: Denn tatsächlich hatte sich der Mann infiziert. Das Gesundheitsamt hat sich inzwischen bei ihm entschuldigt.
- Bei den Erndtebrücker Eisenwerken gibt es neben den fünf bekannten Infektionen sieben weitere Corona-Infizierte. Das ist das Ergebnis einer Massentestung. 50 Mitarbeiter sind derzeit in Quarantäne, weitere Maßnahmen, so das Gesundheitsamt, seien daher nicht nötig.