Hagen. Wie wird gefastet? Fühlt man sich besser? Und warum handeln viele religiöser als sie sind. Die Fernuni Hagen hat das erstmals erforscht.
Eine echte Pflicht ist es in einer zunehmend kirchenfernen Gesellschaft wie der unseren schon lange nicht mehr. Doch das Fasten, der freiwillige Verzicht, ist zunehmend populär. Und dabei handeln viele Menschen weitaus religiöser als es ihnen vielleicht selbst bewusst ist. Das ist ein Ergebnis einer Studie zum Fasten des Hagener Religionssoziologen Dr. Patrick Heiser.
Das eigentlich Überraschende daran: Der Wissenschaftler der Fernuni Hagen hat damit Neuland betreten. Denn obwohl Fasten eine viele Jahrhunderte alte Tradition hat und heute „in“ ist, gab es bislang keine validen Daten zur Motivation von Fastenden. Das ändert sich nun mit den Ergebnissen der „Studie zur spätmodernen Fastenzeit“.
Wer fastet?
Es ist nicht immer leicht für Wissenschaftler, genug Teilnehmer bei Befragungen zu bekommen. Im Fall der Fasten-Studie war das nicht so. Mehr als 1900 Frauen und Männer nahmen an der online-basierten, intensiven Befragung teil. Gut 72 Prozent der Befragten verfügen über Fastenerfahrungen, fast 59 Prozent haben bereits mehrfach in ihrem Leben gefastet, knapp 17 Prozent der Befragten haben zwar noch nie gefastet, zeigen aber Interesse. Und nur knapp 11 Prozent der Befragten haben weder Fastenerfahrung noch Fasteninteresse.
Ergebnisse, die sich auf die Gesamtgesellschaft übertragen lassen: Fasten ist demnach ein Massenphänomen. Und für den Soziologen Patrick Heiser eine sehr wichtige Erkenntnis: „Es wird in allen sozialen Schichten, Religionen und Altersgruppen gefastet.“
Was wird gefastet?
Die Bandbreite ist theoretisch groß: Von Alkohol über Süßigkeiten bis Fleisch, Medienkonsum oder Autofahren – alles kann gefastet beziehungsweise auf alles kann verzichtet werden. Aber dennoch gibt es klare Favoriten: „Die Studie zeigt, dass mit Abstand am meisten auf Genussmittel, vorwiegend auf Alkohol und Süßigkeiten, verzichtet wird“, sagt Patrick Heiser. „Egal ob Mann oder Frau oder wie religiös jemand ist.“
Wobei der Süßigkeitenverzicht offensichtlich schwerer durchzuhalten ist als der auf Alkohol. Ein Unterschied ist aber beim Alter festzustellen: Jüngere Menschen verzichten öfter als ältere auf Medienkonsum („Datenfasten“) oder Autofahren. „Das könnte ein Hinweis auf eine künftige Entwicklung oder Schwerpunktverschiebung sein“, sagt Patrick Heiser. Ohnehin werde zunehmend auf das verzichtet, was in der Gesellschaft kritisch diskutiert werde.
Wann wird gefastet?
Fasten kann man eigentlich immer, zu jeder Jahreszeit. Aber dennoch richtet sich die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen, die fastet, an die traditionellen Zeiten zwischen Aschermittwoch und Ostern beziehungsweise bei den Muslimen an Ramadan. Die Jüngeren unter 30 Jahren tun das mit knapp 75 Prozent sogar noch häufiger als die Über-30-Jährigen mit etwa 65 Prozent. Und selbst die Hälfte der Konfessionslosen hält sich beim Fasten an den traditionellen religiösen Zeitrahmen.
Warum ist das so? „So ganz im luftleeren Raum zu fasten, ist offensichtlich schwerer,“, sagt Patrick Heiser. „Deshalb hält man sich an die traditionellen Fastenzeiten. Es gibt da durchaus Parallelen zum Pilgern, das ja auch beliebter geworden ist. Selbst Menschen, die sich als nicht religiös bezeichnen würden, pilgern in Lebenskrisen oder bei biografischen Umbrüchen auf einem ursprünglich religiösen Weg. So ist es auch beim Fasten: Die Menschen praktizieren Religion, auch wenn sie ihr Handeln selbst nicht als religiös bezeichnen würden.“ Denn selbst bei aktuellen Trends wie dem Intervall-Fasten könne man das grundsätzliche Bedürfnis sehen: „Das ist mit dem traditionellen Fasten allenfalls verwandt, spricht es die Menschen doch auf einer anderen Ebene an: Wellness und Gesundheit stehen im Vordergrund“, so Patrick Heiser. „Aber dennoch muss man ja nur in die entsprechenden Bücher schauen, dass diese meist eine esoterischen Einschlag haben, ohne die Sinnsuche also auch nicht auskommen.“
Ist Fasten erfolgreich?
Eine Erkenntnis über alle Altersgruppen, soziale Schichten und Religionen hinweg zeigt die Studie der Fernuni Hagen ebenfalls: Menschen fasten, um das körperliche oder seelische Wohlbefinden zu steigern. Und das scheint auch zu funktionieren. Fast 65 Prozent der Befragten haben demnach ihr körperliches Wohlbefinden gesteigert, knapp 58 das seelische Wohlbefinden. Und gut 27 Prozent sagen, dass sie in der Fastenzeit religiöser waren. Dass sie häufiger Gottesdienste besucht, häufiger gebetet oder sich Gott näher gefühlt haben.
Ist das Fasten nur ein Trend?
Wie gesagt: Es gab bislang noch keine soziologischen Studien zum Fasten. Dementsprechend, so Patrick Heiser, fehlten auch Langzeitbetrachtungen, belegbare Zahlen. „Aber in der Geschichte gibt es eine erstaunliche Kontinuität. Schon in der Antike wurde gefastet. Ich glaube daher, es sich bei der gegenwärtigen Popularität des Fastens nur zum Teil um eine Mode handelt. Entscheidender ist wohl, dass die Suche nach dem Seelenheil in der Natur des Menschen liegt. Und das Fasten ist für viele eine Möglichkeit, ihm näher zu kommen.“
>> ZUR PERSON
- Dr. Patrick Heiser ist gelernter Journalist. Dann aber schlug er die wissenschaftliche Laufbahn ein. Seit 2010 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fernuniversität Hagen.
- Die Forschungsschwerpunkte liegen in der Religionssoziologie.