Hagen. Warum lebt wer in welchem Hagener Stadtteil. Professor Frank Hillebrandt, Soziologe an der Fernuni Hagen, liefert Antworten.
Starten wir mal mit einer provokanten Frage: Was bitte finden die Leute an diesem Volmetal nur so gut? Warum geben die Menschen ausgerechnet diesem Quartier so gute Noten? Und wenn man sie dann noch fragt, wie gerne sie auf einer Notenskala von ein bis sechs in Ambrock, Dahl, Priorei oder Rummenohl leben, dann kommt auch noch der für Hagen hervorragende Wert von 1,87 dabei heraus.
Eine Antwort liefert Sarah Weymann: „Aufgewachsen in Rummenohl, dann Priorei, jetzt Dahl“, schreibt die Volmetalerin auf unserer Facebook-Seite, „nie möchte ich hier weg. Dorf, Natur – besser geht es einfach nicht.“
Schlechte Noten für Altenhagen und Wehringhausen
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Wenn es im Volmetal aber so toll ist, dann kann es doch nur eine Konsequenz geben: Alle verlassen ihr Viertel und ziehen dorthin. Erst recht, wenn sie in Altenhagen oder Wehringhausen wohnen. Da wiederum liegt nämlich die Antwort auf die Frage „Wie gerne leben Sie in ihrem Viertel?“ nur bei 3,77 bzw. bei 3,13.
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„Eine wirkliche Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Quartieren hat man nur ab der Mittelschicht aufwärts“, erklärt Prof. Frank Hillebrandt, Soziologe an der Fernuniversität Hagen, und verweist darauf, dass Identifikation eben nicht immer rational zu erklären sei, sondern vor allem emotional.
„Der Begriff Heimat, den ich selbst eigentlich gar nicht so toll finde, umschreibt das ganz gut“, so Frank Hillebrandt, „die Umgebung prägt Menschen sehr stark. Das merkt man auch daran, dass viele eine sehr starke Bindung an ihren Geburtsort haben. Die werden sie zeitlebens nicht los. Vertrautheit in die Umgebung spielt eine große Rolle.“
Menschen sind weniger mobil als gedacht
Was ist der Heimat-Check?
15.453 Menschen aus 40 Städten und Gemeinden in Südwestfalen haben ihren Heimatkommunen ein Zeugnis ausgestellt.
Die Umfrage haben wir geplant, als von der Corona-Krise noch nichts zu spüren war. Ganz bewusst haben wir uns dazu entschlossen, trotzdem die Möglichkeit zu geben, ihr Wohnumfeld zu benoten.
In unserer Serie schauen wir uns diese Ergebnisse an und kommen mit Akteuren vor Ort ins Gespräch.
Alle Ergebnisse und Folgen gibt es im Internet auf
heimatcheck-hagen
Aber der Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie an der Fernuniversität meint auch: „Sobald sich das Einkommen von Menschen steigert und sie eine Wahlmöglichkeit haben, nutzen sie diese auch und ziehen weg.“ Allerdings: „Die Menschen sind weit weniger mobil als man gemeinhin glauben mag. Rund 90 Prozent leben nicht mehr als 20 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt.“
Und mit Blick auf die Ergebnisse des Heimat-Checks in Hagen sagt Hillebrandt weiter: „An den Werten wird das sichtbar, was wir als Segregation bezeichnen.“ Das ist die Trennung von Menschen in Wohngebieten nach ihrem sozialen Status. Dort, wo es in der Tabelle grün wird, leben tendenziell wohlhabendere Bevölkerungsgruppen.“
Verdrängung in den angesagten Stadtteilen
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Das wiederum, so sieht es der Soziologe, wird für unattraktive Stadtteile zu einem Problem: „Wer mehr verdient, zieht weg“, so Frank Hillebrandt, „Folge: Die unattraktiven Stadtteile werden nicht attraktiver. Dort gibt es zum Teil nicht einmal ein Vereinsleben, das im traditionellen Sinne viele Defizite kompensieren kann.“ In bestimmten Stadtteilen lebe vor allem eine Schicht. Ein Teufelskreis...
Einer allerdings, der von Zeit zu Zeit doch auf eine gewisse Art durchbrochen werden kann. Beispiel Wehringhausen im Hagener Westen. „Dieser Stadtteil ist doch ein interessantes Phänomen“, sagt Frank Hillebrandt und blickt rund 40 Jahre zurück. „Da hat sich in diesem Stadtteil eine interessante Kulturszene entwickelt, aus der schließlich die Neue Deutsche Welle hervorgegangen ist.“
Auch heute gebe es Stadtteile in Metropolen, die plötzlich „hip“ würden. „Wohlhabendere Menschen siedeln sich dort an“, sagt der Professor, „die ursprüngliche Bevölkerung wird dann oft zurückgedrängt.“