Hagen. Hagen hat eine der schönsten Expressionisten-Sammlungen. Jahrelang waren die Kirchners, Noldes und Mackes auf Tournee. Jetzt sind sie Zuhause
Die Barbarenfürstin ist wieder Zuhause in Hagen. In echt. Jungfrau ist sie ebenfalls noch, dafür verbürgen sich die Restauratorinnen Martina Kerkhoff und Diana Vogel. Sie haben das Mädchen, das Alexej von Jawlensky im Jahr 1912 malte, und dessen Tross auf einer mehrjährigen Europa-Tournee begleitet. Nun sind die Hagener Expressionisten zurück im Osthaus-Museum, vollständig und Direktor Dr. Tayfun Belgin zufolge unbeschädigt. Ab 2. Februar werden die 110 Meisterwerke von Ernst Ludwig Kirchner, August Macke, Franz Marc, Gabriele Münter, Emil Nolde, Max Pechstein, Christian Rohlfs, Karl Schmidt-Rottluff und anderen in einer großen Ausstellung gezeigt. Anschließend erfreuen die Solitäre wieder das Auge in der Dauerausstellung.
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Expressionisten sind Besuchermagneten. Überall. Alleine 89.000 Kunstfreunde haben die Hagener Bilder im Leopold-Museum in Wien bewundert, 250.000 Besucher waren es insgesamt zwischen Klagenfurt, Aarau, Sardinien, Lidingö, Ville d’Evian, Hamburg und weiteren Stationen. Das Tübinger Institut für Kulturaustausch hat die Gastspiele organisiert.
Angst vor Kunstverlust in Hagen
Von derartigen Besucherzahlen kann Tayfun Belgin in Hagen nur träumen. Er hat seine Expressionisten bis zur Tournee im Altbau in der Dauerausstellung gezeigt. „Ich würde das Museum gerne international ausrichten und bekannt machen“, begründet er die Zwangsverschickung seiner besten Stücke. Für selbst kuratierte Expressionisten-Projekte habe das von enormen Sparzwängen eingeengte Haus kein Geld. „Da sind Sie schnell bei einer halben Million Euro Kosten für Versicherungen und Transport.“
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Rund 20.000 Euro hat das Osthaus-Museum pro Station als Aufwandsentschädigung erhalten; welche Leihgebühren das Institut für Kulturaustausch von den Ausstellungsnehmern verlangt hat, kann Belgin nicht sagen. Branchenkenner schätzen, dass der Leihgeber mit zehn Prozent beteiligt wird. Mit seinem Bestand selbst zu arbeiten, dafür hat Belgin kein Personal, „dafür bräuchte ich drei Leute im Hintergrund“.
Sammlung ist ein Vermächtnis
Über die Versicherungssumme der 110 Hagener Meisterwerke schweigt sich der Museumsdirektor aus; Kulturdezernentin Margarita Kaufmann gibt ebenfalls keine Auskunft. Das kommt nicht von ungefähr. Die Expressionisten-Reise soll um keinen Preis in den Verdacht geraten, eine Abschiedstournee der wertvollsten Bilder Hagens zu werden. Kunstverlust und Kunstverkauf sind historische Traumata der westfälischen Stadt. Immer wieder geraten die Kunstschätze ins Visier von Lokalpolitikern, die das Osthaus-Museum entsammeln wollen, um mit dem Erlös das chronische Loch des kommunalen Haushalts zu stopfen.
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Belgins Vorgänger brachte seinerzeit das „Seestück“ von Gerhard Richter für 4,3 Millionen DM abzüglich Gebühren unter den Hammer. Heute wäre das Bild mehr als das Zwanzigfache wert. Im Jahr 2011 wollte der damalige Oberbürgermeister Ferdinand Hodlers Gemälde „Der Auserwählte“ versteigern lassen. „Immer, wenn es der Stadt schlecht geht, kommt das Thema auf den Tisch“, ärgert sich die Kulturdezernentin. „Ein städtischer Haushalt ist so konjunkturabhängig, die Lücken kann man gar nicht mit Kunst stopfen. Diese Sammlung ist ein Legat, eine Bildungsressource, die wir erhalten haben, um sie für unsere Nachkommen zu bewahren.“
Beste Sammlung ihrer Art
Tayfun Belgin leidet übrigens bis heute unter dem Richter-Verkauf von 1998. Denn das Osthaus-Museum hat kein Geld, selbst Bilder zu erwerben, es ist auf Schenkungen oder Dauerleihgaben angewiesen. „Mögliche Donatoren ziehen sich zurück, weil sie fürchten: Ihr verkauft die Sachen dann ja sowieso.“
Die Hagener Expressionisten zählen zu den besten Sammlungen ihrer Art in Deutschland. Sie sind aber auch ein geradezu erschütternder Beleg dafür, wie ein Museum allen Katastrophen zum Trotz immer wieder aus der Asche auferstehen kann. Denn es handelt sich bereits um die dritte Sammlung des ehrwürdigen, 1902 als weltweit erstes Museum für moderne Kunst gegründeten Hauses. Das von Karl Ernst Osthaus begründete Museum Folkwang, unbestritten das schönste Museum der Welt, ging nach dem Tod des Kunstpioniers nach Essen. Die zweite Sammlung wurde wenige Jahre später gleich zweimal von den Nationalsozialisten im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ geplündert. Rund 500 Werke von Feininger, Kollwitz, Nolde, Schiele und vor allem Christian Rohlfs wurden zerstört.
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Museumsdirektorin Herta Hesse-Frielinghaus gelang es nach 1945, eine neue Sammlung aufzubauen. In den 1950ern waren Expressionisten noch günstig zu haben. Aber auch sie musste dafür Kunst verkaufen, Edouard Vuillards Gemälde „Herbst vor Paris“ aus dem Hohenhof. Das Gemälde hängt heute im Los Angeles County Museum.
Bilder werden auf Schäden geprüft
Kunstwerke auf Reisen zu schicken, kann gefährlich sein. So sind seit dem Sommer 342 Arbeiten von Anselm Kiefer, Markus Lüpertz und Renate Graf in China verschollen. Wie sichert sich das Osthaus-Museum gegen solche Fälle ab? Tayfun Belgin: „Ein Kurier übergibt die Kisten offiziell, macht sie auf und vergleicht. Das hat drei Tage gedauert, so etwas muss man langsam angehen.“ Die Bochumer Restauratorinnen Martina Kerkhoff und Diana Vogel haben die Barbarenfürstin und ihren Tross Station für Station begleitet. „Man kann ausschließen, dass diese Werke auf der Tournee gegen Fälschungen ausgetauscht werden“, sagt Belgin. Die Restauratorinnen prüfen derzeit jedes einzelne der 30 Gemälde und 80 Papierarbeiten Millimeter für Millimeter mit Lupe und Ultraschallgerät auf Beschädigungen. Auf den empfindlichen Grafiken liegt für die nächsten zwei bis fünf Jahre ein Ausleih-Tabu.
Der Schatz von Hagen passt in 13 Kisten. Zwei davon sind Klima-Sammelkisten für Gemälde. Die Graphiken wurden hintereinander aufgestellt, die Ölbilder durch Trennwände voneinander separiert. Nur die Maler zicken mal wieder herum. Ernst Ludwig Kirchners „Künstlergruppe“ von 1913 brauchte eine Extra-Kiste für die Heimreise.
Wertvolle Meisterwerke kehren nach Hagen zurück