Essen. Leons Traum war es, Lehrer zu werden. Doch dann hat er sein Referendariat abgebrochen – schon nach einem Jahr. Warum er damit nicht alleine ist.
Immer, wenn Leon Schmitt vor der Klasse stand, fühlte er sich wie auf einem sinkenden Schiff. Hier ging es nicht mehr ums Steuern, sondern darum, den Kopf über Wasser zu halten. Jeden Morgen spürte er diese Enge in der Brust. In seinem Kopf die Frage, wie er den Tag bloß überstehen sollte. So beschreibt der 29-Jährige die Zeit in seinem Referendariat. Leon Schmitt, der seinen richtigen Namen nicht öffentlich lesen möchte, hat in NRW Grundschullehramt studiert – und sein Referendariat nach einem Jahr abgebrochen.
„Ich habe die Dauerbelastung irgendwann nicht mehr ausgehalten“, sagt Leon Schmitt. Damit ist er nicht allein. Viele Referendarinnen und Referendare in Nordrhein-Westfalen berichten unserer Redaktion von Prüfungssituationen, die nichts mit der Realität in der Schule zu tun hätten, schlechter Bezahlung, hoher Arbeitsbelastung bis ins Wochenende hinein und davon, dass der Ausbildungserfolg oft von den Mentoren und Ausbildern abhänge.
Ehemaliger Referendar: „Es steht und fällt mit den Fachleitungen“
„Das wirklich Belastende am Referendariat ist die permanente Drucksituation, ständig wird man in allem bewertet“, sagt ein ehemaliger Referendar. Und eine junge Referendarin erzählt: „Die Abschlussprüfung, die einen großen Teil der Gesamtbeurteilung ausmacht, entspricht nicht der Realität im Schulalltag. Die Note erzeugt unnötigen Druck.“ Ein Dritter, der schon seit ein paar Jahren als Lehrer arbeitet, findet: „Es steht und fällt mit den Fachleitungen. Ich musste den Unterricht damals genauso machen, wie der Ausbilder es wollte.“
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Im vergangenen Jahr haben in NRW 413 von insgesamt 6946 Lehramtsanwärtern ihr Referendariat vorzeitig beendet. Damit ist die Abbrecherquote laut dem NRW-Schulministerium im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. 2022 waren es noch 450 von 7401 jungen Menschen. Ein Abbruch sei aber nicht grundsätzlich mit Überforderung und Unzufriedenheit gleichzusetzen, heißt es vom Ministerium.
Referendariat abgebrochen: „Zeit für Privates hatte ich nicht mehr“
Leon Schmitt hat die Belastung „krank gemacht“. So sehr, dass er sich psychologische Hilfe suchte und schließlich in eine Klinik eingewiesen wurde. Als er wieder rauskam, stand seine Entscheidung fest. „Denn für das, was ich in der Schule erlebt habe, bin ich nicht angetreten“, sagt er. Er habe mit zu vielen Kindern in zu großen Klassen gearbeitet. Bis spätabends und am Wochenende habe er am Schreibtisch gesessen, den Unterricht vorbereitet. Dabei wurde er nur für seine Arbeit vor Ort in der Schule bezahlt.
„Zeit für Privates hatte ich nicht mehr“, erzählt Leon Schmitt. „Und dann war da noch das Gefühl, den Kindern und ihren Bedürfnissen nicht gerecht zu werden.“ In seiner Schule hatten einige Kinder einen Förderbedarf, viele sprachen zudem kein Deutsch. „Ich war nur noch dabei, Inhalte aufzuarbeiten, anstatt sie zu bearbeiten.“
Umfragen zeigen auch: Viele lernen im Referendariat am meisten für ihren Beruf als Lehrer
Für Ingo Thiele vom Netzwerk „Fachleiter*innen“ in NRW sind Abbrecher und Unzufriedene eher Einzelfälle. Im Regierungsbezirk Köln etwa, in dem er selbst als Fachleiter tätig ist, schließen in der Regel 90 Prozent ihr Referendariat ab. „Umfragen unter den Referendarinnen und Referendaren haben außerdem gezeigt, dass viele in der Zeit ihrer Ausbildung am meisten für ihren späteren Beruf als Lehrkraft lernen“, sagt Thiele. „Dennoch kommen auf die Schulen und damit auch auf die Referendarinnen und Referendare immer mehr Aufgaben zu – etwa Inklusion, individuelle Förderung, Digitalisierung. Das sorgt auch für mehr Stress in der Ausbildung.“
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Als Fachleiter berät Ingo Thiele Menschen in ihrer Lehrerausbildung, besucht sie im Unterricht und führt auch die Abschlussprüfungen durch. „Uns ist es wichtig, nicht nur Inhalte abzufragen, sondern auch die Menschen dahinter zu sehen und zu fördern.“ Seit ein paar Jahren ist deshalb auch ein persönliches Coaching in der Lehrerausbildung verpflichtend. Aber auch Lehrkräfte, die die Referendare als Mentoren in den Schulen begleiten, seien in Zeiten des Lehrermangels zunehmend belastet, erklärt Thiele. „Ihr Entlastungsbudget deckt sich nicht mit den Arbeitsstunden, die sie für die Referendare investieren. Hier braucht es mehr Entlastungsstunden für die Schulen.“
VBE NRW: Studierende sind nicht dazu da, um Löcher zu stopfen
Durch den Mangel an Lehrkräften könnten Studierende in ihrer Praxisphase nicht immer so betreut, begleitet und angeleitet werden, wie es sinnvoll wäre, sagt Daniel Weber, Sprecher des Jungen Verbandes Bildung und Erziehung in NRW. „Aber den Kolleginnen und Kollegen in den Schulen fehlt die Zeit, auch wenn sie das Bestmögliche versuchen. Und deswegen ist es auch wichtig, dass die Ausbildungszeit als Ausbildungszeit genutzt wird und Studierende nicht dazu dienen, Löcher zu stopfen, die sie noch gar nicht adäquat stopfen können“, so Weber. Deshalb brauche es Zeit für Hospitationen, Beratung und Ausprobieren, „wenn wir wollen, dass aus Lehramtsstudierenden professionelle Lehrkräfte werden.“
Leon Schmitt arbeitet heute als Vertretungslehrer an einer Förderschule. „Hier erlebe ich das, was Kinder in einer Regelschule brauchen. Kleine Klassen, moderne Räume, entschleunigtes Lernen und mehr Personal.“ In seinem Referendariat habe er das Ruder auf dem sinkenden Schiff nicht rumreißen können, sagt er. Aber seinem Wunsch, Kindern zu helfen, kommt er trotzdem näher. Bald möchte er sich zum Sonderpädagogen ausbilden lassen.
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