Essen. Immer öfter werden Studierende als Vertretungslehrer an NRW-Schulen eingesetzt. Warum das für die Schulen nicht immer eine Entlastung ist.
Manchmal werden sie ins kalte Wasser geworfen und sind mit der Situation im Klassenzimmer völlig überfordert. Angesichts des dramatischen Lehrermangels werden immer mehr Studierende als Vertretungslehrkräfte an Schulen eingesetzt.
Für ausgedünnte Kollegien ist dies eine willkommene Entlastung, doch nicht immer wird daraus für alle Seiten eine gute Erfahrung. „Viele wissen nicht, wie so ein Unterricht abläuft. Sie haben dann mit Schülern zu tun, die ein Riesen-Chaos veranstalten“, berichtet eine Duisburger Realschullehrerin. „Sie wissen oft nicht, worauf es ankommt.“
Der Bedarf an Lehrkräften ist riesig. An den Schulen in NRW fehlt derzeit Personal im Umfang von 6700 Vollzeitstellen. Da ist jede Hilfe willkommen. Häufig wird daher auf Lehramtsstudierende zurückgegriffen. Diese dürfen zwar nicht alle Aufgaben übernehmen, stopfen aber so manches Loch im Stundenplan. Unumstritten ist diese Praxis aber nicht.
Lehrermangel: Vermehrt Studierende in Schulklassen eingesetzt
Wie viele Studierende als Vertretungslehrkräfte an den Schulen des Landes eingesetzt werden, ist unklar. Auf Nachfrage bei den zuständigen Bezirksregierungen und beim NRW-Schulministerium hieß es: Uns liegen keine Daten vor. Mancher Schulleiter findet dieses Versäumnis mindestens bemerkenswert. Nach Einschätzung der Bezirksregierung Düsseldorf und der Schulleitungsvereinigung NRW (SLV) nimmt der Einsatz von Studierenden indes deutlich zu.
Die Erfahrungen in Schulen unterscheiden ich: Lesen Sie hier die persönlichen Protokolle einer vollausgebildeten Lehrerin und einer jungen Studentin, die als Vertretungslehrerin im Brennpunkt arbeitet:
- Duisburger Lehrerin: Vertretungslehrer sind oft überfordert
- Studentin (22): Ich unterrichte wie eine Vollzeit-Lehrkraft
Zwar bestand schon immer die Möglichkeit, Lehramtsstudierende als Vertretungskräfte an allen Schulformen einzusetzen. „Es wird jedoch in Zeiten des Lehrermangels, in denen ausgebildete Lehrkräfte nur im geringen Ausmaß zur Verfügung stehen, vermehrt davon Gebrauch gemacht“, so eine Sprecherin der Bezirksregierung. Das betreffe alle Städte und Kreise. Das Auswahlverfahren übernehme dann die einzelne Schule. Eingestellt werden die Kräfte im Grundschulbereich durch die kommunalen Schulämter, für alle anderen Schulformen sind die Bezirksregierungen zuständig.
Kommen mit dem Unterricht nicht klar, haben die Klasse nicht im Griff
Nach Beobachtung der Schulleiter in NRW werden vor allem an Grundschulen zunehmend Studierende eingesetzt. An manchen Schulen würden Vertretungsstellen fast ausschließlich mit Studierenden besetzt, so die SLV. Die Erfahrungen, die Schulleiter im Alltag machen, sind dabei durchaus unterschiedlich.
Es gebe Situationen, in denen die jungen Kräfte eher eine Belastung für die Schulleitungen sind als eine Entlastung. Sie kommen mit dem Unterricht nicht klar, haben die Klasse nicht im Griff oder Eltern beschweren sich über die Notenvergabe. Dann müsse die Schulleitung eingreifen.
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„Als Unterstützung sind die Studierenden sicherlich gut, damit das System läuft und angehende Lehrkräfte Erfahrungen sammeln“, berichtet Burkhard Mielke, ehemaliger Gesamtschulleiter und Geschäftsführer der SLV. „Aber eigentlich ist das ein Verbrennen junger Menschen, die nicht ausgebildet den vollen Job einer Lehrkraft übernehmen.“ Je weniger Unterricht von Studierenden erteilt werden müsse, desto besser.
Studentin unterrichtet an Brennpunktschule: „Genau das möchte ich machen“
Andere sehen das positiver. „Nach unseren Erfahrungen ist der Einsatz nur in seltenen Fällen bedenklich, eher bereichernd“, berichtet SLV-Vorsitzender Harald Willert über die Erlebnisse einiger Kollegen. „Natürlich wünschen wir uns voll ausgebildete Lehrkräfte. Doch viele Studierende sehen in einer Vertretungsstelle eine große Chance, Praxiserfahrungen zu sammeln.“ Dabei komme es aber auch auf die jeweilige Schule an. „Arbeitet eine Schule in Teams, die gemeinsam den Unterricht vorbereiten, sind die Studierenden gut aufgefangen und vorbereitet.“
Die Lehramtsstudentin Aylin, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, ist jedenfalls froh über die Chance, an einer Duisburger Gesamtschule frühzeitig praktische Erfahrungen sammeln zu können. „Als Vertretungslehrerin an einer Brennpunkt-Schule weiß ich jetzt: Genau das möchte ich machen“, sagt die 22-Jährige. „Hier sammle ich so viele Erfahrungen, dass ich mich bestens auf das Referendariat vorbereitet fühle.“
NRW ist Schlusslicht bei den Ausgaben für Bildung
Der steigende Einsatz von Studierenden als Vertretungslehrkräfte kann auch als Symptom eines insgesamt aus den Fugen geratenen Bildungssystems in NRW gelesen werden. Der „Bildungsmonitor 2023“ des Instituts der deutschen Wirtschaft legte jüngst erneut den Finger in die Wunden. Danach liegt NRW bei den Betreuungsbedingungen, bei den Bildungsausgaben sowie im Kampf um die Bildungsarmut im Ländervergleich nur auf Rang 13 von 16.
An den Grundschulen und in der Sekundarstufe 1 (ohne Gymnasium) weist NRW sogar die größten Klassen aller Bundesländer auf. Auch bei den Bildungsausgaben ist NRW demnach Schlusslicht. Mit 7000 Euro pro Jahr und Grundschüler liegt das Land etwa 1000 Euro unter dem Bundesdurchschnitt.
Studierende sind eine Chance für „herausfordernde Mangelsituation“
NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) ist die Lage klar. „Unser Schulsystem hat große Herausforderungen zu bewältigen. Das größte Problem ist fraglos der Lehrkräftemangel“, sagte sie jüngst. Mit dem „Handlungskonzept Unterrichtsversorgung“ will die Ministerin gegensteuern.
Im Mittelpunkt stehen ein leichterer Seiteneinstieg, Abordnungen von Pädagogen an Schulen mit Lehrermangel, die Einschränkung von Teilzeitarbeit sowie der verstärkte Einsatz von „Alltagshelfern“. Zudem soll die Zahl der Studienplätze für das Lehramt um mehr als 1000 steigen.
Das alles wirkt nicht so rasch, wie es angesichts der Bildungskrise in NRW nötig wäre. Zwar sieht auch die Bildungsgewerkschaft GEW angesichts einer „herausfordernden Mangelsituation“ in dem Einsatz von Studierenden eine Chance. NRW-Vorsitzende Ayla Celik sagt aber auch: „Hier gilt es, über entsprechende Konzepte dafür zu sorgen, dass Studierende als Lehrkräfte-Ersatz nicht verheizt werden.“