Essen. Studie sieht schon in wenigen Jahren einen Überschuss an Lehrpersonal an Grundschulen. Ministerium und Lehrerverband: In NRW trifft das nicht zu.
Laut einer neuen Studie der Bertelsmann Stiftung könnte sich der Lehrkräftemangel an Grundschulen in Deutschland in den nächsten Jahren deutlich entschärfen. Schon ab nächstem Jahr gebe es voraussichtlich deutlich mehr ausgebildete Lehrkräfte im Grundschulbereich als zu besetzende Stellen. Ursache sei vor allem die seit 2022 wieder sinkende Geburtenzahl.
Nach der Untersuchung des Essener Bildungsforschers Klaus Klemm und des Bertelsmann-Bildungsexperten Dirk Zorn würden zwischen 2023 und 2035 rund 96.200 Lehrerinnen und Lehrer an die Grundschulen drängen. Dem stehe aber nur ein Bedarf von gut 50.000 Lehrkräften gegenüber. Ursachen für die Entwicklung seien laut Klemm der Ausbau des Grundschullehramts und die Aufnahme vieler Quereinsteiger. „Neu ist, dass wir in den letzten zwei Jahren überraschend viele Geburtenrückgänge hatten, mehr als bisher prognostiziert“, sagte Klemm dieser Redaktion.
Lesen Sie hier das Interview mit Studienverfasser Klaus Klemm: Lehrermangel an NRW-Grundschulen bald kein Thema mehr
Während die Studienautoren angesichts der schlechten Ergebnisse der jüngsten Schulleistungsuntersuchungen von einem „eindeutigen Lichtblick“ sprechen, gibt es in Nordrhein-Westfalen erhebliche Zweifel an einer schnellen Verbesserung. Mit einer Trendwende an Grundschulen in NRW rechnet der Verband Bildung und Erziehung (VBE) erst Mitte des nächsten Jahrzehnts.
Demnach liege das Lehrkräfteangebot im Primarbereich bei im Durchschnitt jährlich etwa 1400 Lehrkräften, der Einstellungsbedarf betrage hingegen 1700 Personen. Anne Deimel, VBE-Vorsitzende in NRW, verweist zudem auf die aktuell steigende Zahl von Erstklässlerinnen und Erstklässlern sowie den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026.
„Selbst wenn es in NRW wider Erwarten zu einem Überschuss an Grundschullehrkräften kommen sollte, wäre das nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagte Anne Deimel. Der Personalmangel bleibe absehbar groß. Über alle Schulformen hinweg würden in de nächsten zehn Jahren mindestens 4500 Lehrerinnen und Lehrer fehlen.
NRW-Schulministerin: „Wir sollten uns nicht zu früh freuen“
Auch das NRW-Schulministerium reagiert zurückhaltend auf die Studie. Es sei davon auszugehen, dass in den nächsten zehn Jahren nicht alle Stellen an Grundschulen mit grundständig ausgebildeten Lehrkräften besetzt werden können, teilt das Ministerium auf Anfrage mit. Das Land bleibt demnach bei seiner Bedarfsprognose, wonach voraussichtlich erst im Schuljahr 2036/37 alle Stellen mit ausgebildeten Grundschullehrkräften besetzt werden könnten.
„Über die heute vorgelegten Zahlen sollten wir uns nicht zu früh freuen“, sagte Schulministerin Dorothee Feller (CDU) unserer Redaktion. „Selbst wenn sich der Geburtenrückgang in den kommenden Jahren fortsetzt und sich die Zahl der zugewanderten Schülerinnen und Schüler deutlich rückläufig entwickeln sollte, wird es in NRW noch Jahre dauern, bis der Lehrkräftemangel im Grundschulbereich überwunden ist.“
Dass die Personalnot an Schulen insgesamt eine große Herausforderung bleibt, räumen auch die Autoren der Bertelsmann Studie ein. In anderen Schulformen, vor allem in den nicht-gymnasialen weiterführenden Schulen sowie in den „MINT-Fächern“ - Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik - würden auf absehbare Zeit auch künftig viele Lehrkräfte fehlen.
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