Berlin. Dermatologe Prof. Dr. Wolfgang Bäumler forscht seit 25 Jahren zu Tattoos und hat dabei einige beunruhigende Entdeckungen gemacht.

Vielleicht ein Anker, eine Rose, eine Tribal oder etwas anderes Fantasievolles? Immer mehr Menschen in Deutschland tragen Tattoos. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ist es sogar jeder Vierte in Deutschland, der seinen Körper durch ein Tattoo „verschönert“. Andere Umfragen sprechen sogar von jedem Dritten, in der Altersgruppe zwischen 25 und 34 könnte es sogar jeder Zweite sein. Doch bis heute ist nicht genau geklärt, wie gefährlich Tätowierungen sein können und wie die Haut dadurch beeinträchtigt werden könnte.

Um diese und andere Fragen zu klären, hat die FUNKE Mediengruppe gemeinsam mit der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft das Format „Die Haut-Docs“ ins Leben gerufen. Hier erklären Top-Experten die neuesten Erkenntnisse zu Krankheiten und Haut-Problemen wie Rosazea, Nesselsucht, Neurodermitis, Herpes und Pilzinfektionen. Sie haben eine Frage zu einem der genannten Themen? Schreiben Sie uns gerne eine Mail an haut-docs[at]funkemedien.de. Die eingereichten Fragen werden gesichtet, sortiert und gegebenenfalls anonymisiert veröffentlicht. Die Top-Experten geben dann Antwort auf die wichtigsten Fragen. 

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In der heutigen Ausgabe verrät Prof. Dr. Wolfgang Bäumler, Arbeitsgruppenleiter Forschung für Dermatologie am Universitätsklinikum Regensburg, wie der aktuelle Forschungsstand zu möglichen Gefahren von Tätowierungen ist und worauf man grundsätzlich achten sollte.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Tattoos steckt noch relativ in den Kinderschuhen. Seit wann forschen sie zu dem Thema?

Prof. Dr. Wolfgang Bäumler: Unsere Forschung zu dem Thema Tattoos und Tattoo-Farben läuft seit 25 Jahren. Da wir in unserer Klinik viel mit Lasertechnologie arbeiten, wollten wir wissen, auf was genau wir da eigentlich schießen. Zu dem Zeitpunkt gab es noch wenig bis gar keine Erkenntnisse.

Wir haben uns deshalb zu Beginn gemeinsam mit einem analytischen Chemiker die Inhaltsstoffe angeschaut, die in den Tattoo-Farben verwendet werden. Dabei haben wir bemerkt, dass in den Farben sehr viel enthalten ist, was dort eigentlich gar nicht reingehört. Insgesamt können in den Farben bis zu 100 chemische Substanzen enthalten sein. Das ist ein ordentlicher Cocktail.

Wolfgang Bäumler Haut-Docs
Prof. Dr. Wolfgang Bäumler forscht seit Jahren zum Thema Tätowierungen und den gesundheitlichen Folgen. © UKR | UKR

Welche Stoffe sind das genau?

Bäumler: In der Hauptsache sind es unterschiedliche Farbpigmente. Da es sich um industrielle Pigmente handelt, enthalten diese eine Vielzahl von Rückständen und Verunreinigungen. Zudem werden Lösungsmittel und Emulgatoren benötigt, um die Farbe zu einer gelartigen Flüssigkeit zu machen. Außerdem werden Stabilisierungssubstanzen eingesetzt, die dafür sorgen, dass sich die Farbpigmente nicht absetzen. Dazu kommen Konservierungsstoffe und viele weitere Substanzen.

Wie verhalten sich die Farben in der Haut?

Bäumler: Die Farben sind für die Haut wie Fremdkörper. Einfach ausgedrückt: Der Körper sieht keinen Sinn in den Farben und versucht, sie loszuwerden. Das ist nicht weiter verwunderlich. So findet ein teilweiser Materialtransport aus der Haut in andere Organe statt. In Untersuchungen wurde festgestellt, dass die Farben zum Beispiel die nächstliegenden Lymphknoten einfärben und Entzündungen auslösen können. Tierexperimente zeigten sogar, dass die Farbpigmente auch in Ausscheidungsorganen wie die Leber auftauchen.

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Welche langfristigen Erkrankungen können denn durch die Tattoos ausgelöst werden?

Bäumler: Momentan weiß man noch gar nicht zu 100 Prozent, ob Tattoos überhaupt gefährlich sind. Um diese Frage genau beantworten zu können, fehlt derzeit schlicht eine aussagekräftige Datengrundlage. Erste epidemiologische Studien, nationale Kohorten in Deutschland und Frankreich, sind jetzt angelaufen. Bis Ergebnisse vorliegen, kann es aber noch Jahre dauern.

„Die Haut-Docs“ ist die neue Serie der Funke Tageszeitungen, in der die Top-Hautärzte der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft über die neusten Erkenntnisse in den Bereichen Neurodermitis, Rosazea, Nesselsucht, Herpes Zoster (Gürtelrose), Pilzerkrankungen und die Gefahren von Tätowierungen berichten.
„Die Haut-Docs“ ist die neue Serie der Funke Tageszeitungen, in der die Top-Hautärzte der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft über die neusten Erkenntnisse in den Bereichen Neurodermitis, Rosazea, Nesselsucht, Herpes Zoster (Gürtelrose), Pilzerkrankungen und die Gefahren von Tätowierungen berichten. © iStock | bm

Können Tattoos auch zu Krebs führen?

Bäumler: Unseren chemischen Analysen zufolge sind in den Farben – je nach Hersteller – auch karzinogene Substanzen enthalten. Dazu zählen etwa PAKs (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) oder PAAs (primäre aromatische Amine). Dabei gilt aber kein Automatismus: Nur weil die Stoffe krebserregend sind, heißt das nicht, dass man auch an Krebs erkrankt.
Laut einer aktuellen Studie aus Schweden scheint es durch die Tattoo-Farben aber ein erhöhtes Risiko zu geben, dass ein malignes Lymphom entsteht.

Wie sieht es mit Nebenwirkungen durch Tätowierungen aus?

Bäumler: Dass die Menschen unter Nebenwirkungen leiden, weiß man seit längerem. Dazu zählen zum einen die Infektionen, wenn bei der Tätowierung nicht hygienisch genug gearbeitet werden. Da beim Tätowieren viele Löcher in die Haut gestochen werden, können so Bakterien, Pilze und Viren in den Körper gelangen und Infektionen auslösen.

Die nächste Variante sind allergische Reaktionen, die teilweise erst Tage oder Wochen nach der Tätowierung auftreten. Dabei handelt es sich um eine Reaktion des Immunsystems auf eine oder mehrere Inhaltsstoffe der Tätowierfarbe. Drittens können auch verschiedene granulomatöse Entzündungsreaktionen der Haut auftreten. Der Auslöser sind die Fremdkörper, z. B. die Pigmentpartikel der Tätowierfarbe, die in die Haut eingestochen werden. Dabei können sichtbare Knötchen in der Haut entstehen.

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Kann man Nebenwirkungen bei Tattoos denn überhaupt vermeiden?

Bäumler: Gegen allergische Reaktionen und Fremdkörpergranulome kann man nicht vorbeugen, da es sich um eine natürliche, oft nicht vorhersehbare Abwehrreaktion des Körpers handelt. Das Einzige, was sich vermeiden lässt, sind Infektionen. Voraussetzung dafür ist aber, dass im Tattoo-Studio sauber gearbeitet wird und die Gerätschaften sauber sind. Teilweise sind aber auch Farben nicht steril. Auch die tätowierte Person muss mit der frisch tätowierten, verletzten Haut hygienisch umgehen.

Drawing tattoo design
Stechen lassen oder lieber nicht? Die Gefahren von Tattoos sind nicht genau belegt. © Getty Images/iStockphoto | zorandimzr

Werden die Inhaltsstoffe von Tattoo-Farben überwacht? Wenn ja, wie?

Bäumler: Zunächst sollten die Farben einfach schön bunt sein und möglichst lange halten. Seit etwa 2 Jahren gibt es aber seitens der EU eine REACH Verordnung für Tätowierfarben. Diese gilt auch in Deutschland und soll von den zuständigen Behörden der Bundesländer überwacht werden. Die Verordnung besteht im Wesentlichen aus einer Negativ-Liste, also einer Liste mit chemischen Substanzen, die in der Tätowierfarbe nicht enthalten sein dürfen.

Die Beschränkung betrifft zum Beispiel Chemikalien, die Krebs oder genetische Mutationen verursachen, fortpflanzungsgefährdende Chemikalien sowie Hautallergene und Reizstoffe. Das Ziel dieser Verordnung ist es nicht, Tätowierungen zu verbieten, sondern sicherer zu machen. Allerdings werden auch Substanzen verboten, von denen man nicht weiß, ob sie wirklich schädlich sind. Auch sind manche Grenzwerte der Verordnung technisch kaum zu realisieren. Eine Nachbesserung der Verordnung wäre dringend notwendig.

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Würden Sie sich selbst tätowieren lassen?

Bäumler: Seit ich weiß, welche Inhaltsstoffe in den Farben stecken, habe ich darauf verzichtet.