Berlin. Nesselsucht ist nicht nur unschön anzusehen, sie kann im Zweifelsfall auch schwere Folgen haben. Eine Top-Expertin erklärt, was hilft.
Die Haut ist das größte Organ unseres Körpers. Ihre Pflege und Gesundheit ist von größerer Bedeutung als vielen Menschen bewusst ist. Denn es gibt viele Erkrankungen, die unsere Haut beeinträchtigen – von nervigen Symptomen wie Jucken oder Brennen bis hin zu schwerwiegenden Veränderungen im Hautbild. Auch deshalb hat die FUNKE Mediengruppe gemeinsam mit der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft das Projekt „Die Haut-Docs“ ins Leben gerufen.
Hier teilen Top-Dermatologen die wichtigsten Erkenntnisse zu Krankheiten und Haut-Problemen wie Akne, Nesselsucht, Neurodermitis, Herpes und Pilzinfektionen. Sollten Sie eine Frage zu einem der genannten Themen haben, schreiben Sie uns einfach unter haut-docs[at]funkemedien.de. Die Antworten werden gegebenenfalls anonymisiert veröffentlicht. Die Top-Experten geben dann Antwort auf die wichtigsten Fragen.
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Im heutigen Beitrag erklärt Prof. Dr. Bettina Wedi, stellvertretende Direktorin der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie der Medizinischen Hochschule Hannover, welche Formen der Nesselsucht es gibt, wie man sie am besten behandelt und welche Medikamente in Zukunft Linderung bringen könnten.
Wie entsteht Nesselsucht?
Prof. Dr. Bettina Wedi: Diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten, da es sehr unterschiedliche Formen der Nesselsucht gibt. Ganz allgemein gesprochen, kommt es bei der Nesselsucht zu einer Aktivierung der sogenannten Mastzellen. Sie befinden sich im Gewebe und in der Haut und können bei der Auslösung allergischer und entzündlicher Reaktionen eine wichtige Rolle spielen.
Sind die Mastzellen einmal aktiviert, schütten sie Botenstoffe wie Histamin aus. Das wiederum löst dann die Symptome wie Quaddeln auf der Haut oder Juckreiz aus. Wenn sich das Ganze in tieferen Hautschichten abspielt, können auch Schwellungen auftreten, sogenannte Angioödeme.
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Hautärztin: Formen der Nesselsucht unterscheiden sich stark
Welche unterschiedlichen Formen gibt es denn?
Wedi: Grundsätzlich wird bei der Urtikaria zwischen der chronischen (hält länger als sechs Wochen an) und der akuten Variante unterschieden. Eine akute Urtikaria kann Ausdruck einer echten allergischen Reaktion, z. B. auf ein Nahrungsmittel oder ein Medikament sein. Viel häufiger wird die sogenannte akute spontane Urtikaria (ASU) aber durch Infekte wie eine Erkältung, einen Harnwegsinfekt, aber auch eine Corona-Infektion ausgelöst. Häufig wird sie noch zusätzlich durch zeitgleich eingenommene Medikamente wie Antirheumatika verstärkt. Wie genau die Mastzellen dabei aktiviert werden, ist noch unklar.
Auch bei der chronischen spontanen Variante kommen andauernde Infekte als Auslöser infrage, wie z. B. mit Helicobacter pylori. Bei einer Untergruppe der Patienten gibt es außerdem Hinweise auf eine Autoreaktivität. Einfach ausgedrückt: Die Patienten reagieren auf sich selbst. Das Immunsystem bildet dann Antikörper gegen körpereigene Strukturen, wodurch die Symptome der Nesselsucht getriggert werden. Dabei spricht man dann von einer autoimmunen bzw. autoreaktiven chronischen Urtikaria. Ob es sich um eine Autoreaktivität handelt, lässt sich anhand spezieller Tests herausfinden. Dabei wird dem Betroffenen z.B. sein eigenes Blutserum in die Haut injiziert. Bilden sich dann Quaddeln, ist die Autoreaktivität belegt.
Zusätzlich gibt es noch die sogenannten chronischen induzierbaren Urtikaria-Formen. Dabei wird die Nesselsucht durch äußere Faktoren wie z. B. Kälte, Hitze, UV-Strahlung, Reibung, Vibration oder Druck ausgelöst. Stress oder Überbelastung können ebenfalls eine Rolle spielen.
Welche Symptome sind am häufigsten?
Wedi: In der Regel klagen die Betroffenen wie bereits erwähnt über Quaddeln oder Jucken, das bei chronischen Varianten mehrmals pro Woche bis täglich auftreten kann. Viele Betroffene bekommen auch zwischendurch Schwellungen der weicheren Hautareale (z. B. Lippen, Lider, Genitalbereich), die Angioödeme genannt werden. Bei 15 bis 20 Prozent der Patienten treten ausschließlich Schwellungen auf. Diese sind durchaus unangenehm und können durch den Druck im Gewebe schmerzen. Das plötzliche Auftreten der Schwellungen ist meist belastend, weil es sich nicht vorhersehen lässt.
Auch die Schleimhäute können betroffen sein, was bei den Patienten zu Schluckproblemen oder einem Engegefühl in der Brust führen kann. Ist eine Allergie der Auslöser für eine akute Urtikaria, können auch klassische, allergische Reaktionen wie Luftnot oder Kreislaufbeschwerden bis hin zu einem allergischen Schock auftreten.
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Vorbeugende Maßnahmen: Bei Nesselsucht nicht immer möglich
Wie kann man sich gegen eine Urtikaria schützen oder gar vorbeugen?
Wedi: Bei den vorbeugenden Maßnahmen muss man die Form der Urtikaria beachten. Bei akuten Formen, etwa ausgelöst durch eine Nahrungsmittel-Allergie, kann man natürlich einfach das entsprechende Nahrungsmittel meiden. Wird die Erkrankung durch ein Medikament getriggert, kann zum Beispiel eine alternative Arznei eingesetzt werden.
Bei den spontanen Urtikariaformen ohne erkennbaren Auslöser ist eine Vermeidungsstrategie jedoch nicht möglich. Das gilt auch für die chronischen induzierbaren Formen, die etwa durch Kälte ausgelöst werden. Hier können die Symptome bereits auftreten, wenn man im Sommer von der Hitze in einen kalten Raum geht oder in einen Pool springt. Der Temperatursprung ist schwer zu umgehen. Gesunde Ernährung, ausreichende Bewegung und Stressvermeidung sind grundsätzlich nicht verkehrt, eine Urtikaria muss man in der Regel aber therapeutisch angehen.
Wie genau läuft die bestmögliche Behandlung ab?
Wedi: Im Zentrum der Behandlung stehen die Mastzellen, da sie Histamin und andere Botenstoffe ausschütten. Die Wirkung der Botenstoffe kann durch sogenannte H1-Rezeptor-Antagonisten blockiert werden. Die entsprechenden Medikamente (Antihistaminika) sind immer die erste Wahl.
Die Standarddosis reicht jedoch bei vielen nicht aus. Deswegen erfolgt in den meisten Fällen eine Erhöhung der Dosierung, leitliniengerecht bis auf das Vierfache. Idealerweise werden dann Antihistaminika der neueren Generation eingesetzt, da diese die Betroffenen nicht allzu sehr ermüden und sehr gut verträglich sind. Diese Behandlungsmethode funktioniert bei 40 bis 50 Prozent der Betroffenen. Die Antihistaminika können über viele Jahre eingenommen werden – solange, bis die Urtikaria von selbst wieder verschwindet.
Dennoch sind nicht alle Medikamente aufgrund ihrer Nebenwirkungen für Jeden geeignet. Gerade bei Nieren- oder Lebererkrankungen sollte man darauf achten, welches Präparat man einnimmt. Im Zweifelsfall kann Ihnen der behandelnde Arzt weiterhelfen.
Reichen Antihistaminika nicht, um die Symptome zu kontrollieren, kommt eine Behandlung mit sogenannten anti-IgE-Antikörpern (Omalizumab) infrage. Dabei handelt es sich um Spritzen, die sich die Patienten bei guter Verträglichkeit selbst subkutan (unter die Haut, Anm. d. Red.) setzen können und die bei etwa 80 bis 85 Prozent der Betroffenen wirken. Noch ist diese Behandlung aber nicht für alle Formen der Urtikaria zugelassen.
Sind denn noch bessere Behandlungsmöglichkeiten in der Erforschung?
Wedi: Ein Ansatz sind sogenannte Small-Molecules. Diese blockieren beispielsweise direkt in den Mastzellen die Signalübertragung. Andere Ansätze mit Antikörpern blockieren bestimmte Rezeptoren auf den Mastzellen und versuchen sie so „ruhigzustellen“. Derzeit sind mehrere Substanzen in der Entwicklung, die aber noch nicht zugelassen sind. Grundsätzlich ist es sehr erfreulich, dass zu dem Thema weiter viel geforscht wird, obwohl wir inzwischen schon sehr gute Medikamente zur Verfügung haben.
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Gibt es Medikamente, auf die man verzichten sollte?
Wedi: In der gängigen Praxis wird viel zu häufig und zu lange Kortison oral oder als Injektion eingesetzt. Leitlinien empfehlen dagegen seit Jahrzehnten allenfalls einen kurzfristigen Einsatz in mittelhoher Dosierung. Bei längerfristigem Einsatz von Kortison können viele körperliche Nebenwirkungen auftreten, z. B. die Unterdrückung der körpereigenen Cortisol-Bildung. Wird das Medikament dann abgesetzt, kann es zu einem Cortisol-Mangel kommen, der schwerwiegende Folgen mit sich bringt. Grundsätzlich gibt es bei den chronischen Urtikariaformen deutlich mehr Nebenwirkungen, als dass es Nutzen gäbe. Viel sinnvoller ist wie bereits erwähnt der konsequente und hoch dosierte Einsatz von Antihistaminika sowie ggf. von Omalizumab.
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