Berlin. Mehr als jedes dritte Kind entwickelt eine Kurzsichtigkeit. Auch das Verhalten ist dafür verantwortlich. Worauf Eltern achten sollten.

In manchen Teilen der Welt gilt Kurzsichtigkeit bei jungen Menschen bereits als normal. 80 bis 90 Prozent der Heranwachsenden in südostasiatischen Großstädten etwa seien betroffen, berichtet die Deutschen Ophthalmologische Gesellschaft (DOG). In Europa liege dieser Anteil derzeit bei 30 bis 40 Prozent. In vielen Fällen berge Kurzsichtigkeit das Risiko für Folgeschäden im Alter. Wie können Eltern am besten gegensteuern? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es und was sind die neuesten Erkenntnisse aus der Medizin? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Kurzsichtigkeit: Wie groß ist das Problem in Deutschland?

Laut einem Bericht der augenärztlichen Fachgesellschaften sind in Deutschland bis zum Ende der Grund­schul­zeit rund 15 Prozent der Kinder kurz­sichtig. In diesen Fällen sprechen Fachleute von der „Schulmyopie“. Bis zum Alter von 25 Jahren wachse der Anteil auf 45 Prozent. Seit zwei Jahrzehnten seien die Zahlen nicht nennens­wert gestiegen. Anders sei die Situation im Ausland, vor allem im asiatischen Raum. Dort spreche man längst von einem Kurzsichtigkeits-Boom.

Was sind die Risiken einer Kurzsichtigkeit?

Kurzsichtigkeit ist nicht nur ein kosmetisches Problem, weil Menschen eine Brille brauchen. „Jeder zehnte 6- bis 14-Jährige bekommt eine sogenannte hohe Myopie“, sagt Professor Wolf Lagrèze, Leiter der Sektion Kinderophthalmologie der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg. Darunter verstehen Mediziner eine Kurzsichtigkeit von mehr als minus 6 Dioptrien.

Ab minus 6 Dioptrien steigt das Risiko für langfristige Netzhautschäden an. „Als besonders kritisch gelten Werte ab minus 10 Dioptrien“, so Lagrèze. „Dann liegt das Risiko für eine spätere Sehbehinderung durch Makuladegeneration oder Netzhautablösung bei über 50 Prozent.“ Sehr deutlich steigt das Risiko bereits ab dem 50. Lebensjahr an, wenn jemand kurzsichtiger als minus 15 Dioptrien ist. Dann beträgt das Lebenszeitrisiko für eine myopiebedingte Sehbehinderung fast 80 Prozent.

Was sind die Gründe für Kurzsichtigkeit?

Ursache für Kurz­sichtig­keit ist meist ein zu lang gewachsener Augapfel. In der Folge können Betroffene weiter entfernte Dinge nur noch unscharf sehen. Neben einer erblich bedingten Veranlagung haben nach Angaben der DOG das Verhalten und Umweltfaktoren einen noch größeren Einfluss auf die Entwicklung der Myopie. Eine wichtige Ursache sei, dass viele Kinder heute nur noch sehr wenig Zeit im Freien verbringen und daher nur selten dem Sonnenlicht ausgesetzt sind.

Auch Sehgewohnheiten im Alltag könnten Kurzsichtigkeit begünstigen, etwa langanhaltendes und nahes Lesen. Dabei macht der Abstand von Auge und Text weniger als 30 Zenti­meter aus. Mit jeder Stunde Naharbeit pro Woche wurde laut dem Bericht der augenärztlichen Fachgesellschaften eine Zunahme des Myopie-Risikos um zwei Prozent gesehen

Wann sollte behandelt werden?

Laut DOG gibt es Behand­lungs­möglich­keiten für 6- bis 14-Jährige, wenn deren Kurz­sichtig­keit um 0,5 Dioptrien oder mehr pro Jahr ansteigt. Diese sind aber nach Angaben der Verbraucherschutzorganisation Stiftung Wartentest teils umstritten oder nicht ausreichend erforscht. Und sie könnten teuer werden. „Die gesetzlichen Krankenkassen über­nehmen diese Kosten nicht“, so Stiftung Warentest. 

Welche Behandlungsoptionen gibt es?

Hier sind drei Optionen in der Diskussion:

  • Augentropfen
  • Bestrahlung
  • Brillen und Linsen

Zu besonderer Bekanntheit gelangte vor einigen Jahren die Behandlung mit stark verdünnten Augentropfen mit dem Wirkstoff Atropin, die das Längenwachstum des Augapfels bremsen sollten. Ein Tropfen wird dabei jeden Abend vor dem Schlafen in jedes Auge gegeben, für mindestens zwei Jahre. Die Kosten laut Stiftung Warentest: etwa 100 bis 200 Euro im Jahr

Lesen Sie auch: Karies bei Kindern: Diesen Schutz zahlt jetzt die Kasse

„In Studien aus dem asiatischen Raum wurden damit gute Ergebnisse erzielt“, berichtet Wolf Lagrèze. Das habe zu einer weltweiten Anwendung der niedrig dosierten Atropin-Therapie geführt. „In Europa und den USA blieben vergleichbare Erfolge aber leider bisher aus“, betont der Experte. Mit Spannung erwarte die DOG daher den Abschluss einer Studie aus Deutschland mit 300 Mädchen und Jungen, die aktuell den Nutzen nied­rig dosierter Atropin-Tropfen bei Kindern zwischen 8 bis 12 Jahren erneut überprüft.

Aufgrund der Erfahrungen mit Atropin würden auch neuartigere Behandlungsansätze vorsichtiger bewertet. „Das gilt für die Rotlicht-Therapie, bei der die Augen mit einem roten Laserlicht bestrahlt werden, aber auch für multifokale Optiken wie Multisegmentbrillengläser und spezielle Kontaktlinsen“, sagt Lagrèze. Diese Brillen oder Linsen, die laut Stiftung Warentest mehrere Hundert Euro kosten können, seien zwar bereits weit verbreitet, müssten aber noch in längerfristigen Studien untersucht werden.

Welche Möglichkeiten der Vorbeugung gibt es?

„Mit dem Sonnenlicht verfügen wir über ein wirksames und sogar kostenloses präventives Mittel“, erklärt Lagrèze. In umfangreichen – ebenfalls asiatischen – Studien sei gut belegt worden, dass das Risiko für Kurzsichtigkeit mit zunehmender Sonnenlicht-Exposition abnimmt.

Eine jüngst publizierte Studie gibt laut DOG sogar Hinweise darauf, wie die optimale Dosierung aussehen sollte: Demnach muss ein Aufenthalt im Freien mindestens 15 Minuten am Stück dauern, damit das Sonnenlicht seine vorbeugende Wirkung entfalten kann. In der Studie zeigte sich außerdem, dass für einen messbaren Effekt bereits 2000 Lux Tageslicht ausreichen. „Das ist eine Lichtstärke, die sogar an einem bedeckten Wintertag noch erreicht wird“, erklärt Lagrèze.

Darüber hinaus empfehlen die Fachgesellschaften Pausen beim Lesen. Lesezeiten von mehr als einer halben Stunde bei einem Leseabstand von weniger als 30 Zentimeter sollten durch einen Blick von zehn Minuten in die Ferne unterbrochen werden.