Berlin. Um Herzinfarkt und Schlaganfall vorzubeugen, sollten Sie nicht nur ihren Blutdruck kennen. Ein Experte erklärt, welche Werte das sind.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Todesursache Nummer eins in Deutschland. Infarkte oder Schlaganfälle reißen dabei jedes Jahr Zehntausende Menschen mitunter von einer Minute auf die andere aus dem Leben. Professor Ulf Landmesser, Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin am Deutschen Herzzentrum der Berliner Charité und Professor am Berliner Institut für Gesundheitsforschung erklärt, was mit guter Prävention erreicht werden kann und wie diese gelingen kann.
Herr Landmesser, Sie sagen, dass jeder zweite von Ihnen behandelte Herzinfarkt vermieden werden könnte. Was bräuchte es dazu?
Ulf Landmesser: Die meisten Herz-Kreislauf-Krankheiten sind auf fünf Haupt-Risikofaktoren zurückzuführen: erhöhter Blutdruck, erhöhte Cholesterinwerte, Diabetes, Übergewicht und Rauchen. Bei einer effektiven Strategie zur frühzeitigen Prävention kann man sehr viele Herzinfarkte verhindern.
Warum gibt es diese Strategie in Deutschland noch nicht?
Landmesser: Andere westeuropäische Länder wie Spanien, Frankreich oder England sind bereits weiter. Dort ist auch das mittlere Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung niedriger und die Lebenserwartung höher. Deutschland hat aber erkannt, dass wir mehr für Prävention tun müssen. Entsprechend soll jetzt ein Herz-Gesetz auf den Weg gebracht werden, das die Prävention regelt und voranbringt.
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Herzinfarkt: Auch hoher Vitamin B3-Spiegel ist ein Risikofaktor
Wie sieht gute Prävention aus?
Landmesser: Wir könnten zum Beispiel Menschen mit 25, 35 und 50 Jahren eine Untersuchung auf die Haupt-Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen anbieten. Da würde man dann auch jene Personen identifizieren, die genetisch bedingt einen hohen Blutdruck oder erhöhte Cholesterinwerte haben. Und man könnte rechtzeitig mit einer Präventionsstrategie beginnen.
Die Charité arbeitet mit dem „Friede Springer – Cardiovascular Prevention Center“ und dem Pharmakonzern Novartis daran, ein Präventionskonzept für Deutschland wissenschaftlich zu untermauern. Was genau machen Sie dabei?
Landmesser: Wir planen ein Screening für die Haupt-Risikofaktoren bei Patienten in der Charité, die nicht in einer kardiologischen Klinik in Behandlung sind. Wir wollen aber auch einige Schritte weitergehen. Denn in der Forschung sind bereits mehr als fünf Faktoren bekannt, die für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung relevant sind. Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass hohe Vitamin-B3-Spiegel im Blut ein Risiko darstellen oder auch hohe Spiegel der Süßstoffe Erythritol und Xylit.
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Geht es bei ihrer Arbeit auch um neue Untersuchungsmethoden?
Landmesser: Wir wissen, dass man Veränderungen an Herz und Gefäßen schon erkennen kann, bevor Menschen klinisch krank sind. Man kann dies mit der Bildgebung darstellen. Also werden wir auch an neuen Verfahren arbeiten, bei denen wir aus Daten der Bildgebung Rückschlüsse auf das Herzrisiko ziehen können.
Es ist also wahrscheinlich, dass es für gute Herz-Kreislauf-Prävention mehr braucht als Blut- und Blutdruckwerte?
Landmesser: Richtig. Vielleicht braucht es für die Bemessung des individuellen Risikos Blutwerte, Bilder sowie Informationen über das Mikrobiom, also die Gesamtheit aller Bakterien und die Genetik. Und vielleicht gehört zur Prävention auch eine personalisierte Ernährungs- und Lifestyleberatung. Wir wollen künftig einen Leitfaden für gute individualisierte Prävention erarbeiten und kontinuierlich weiterentwickeln. Dazu generieren wir die wissenschaftlichen Daten und veröffentlichen nach und nach unsere Ergebnisse.
Herz-Kreislauferkrankung: Risiken bauen sich meist über Jahre auf
Das dürfte ein Weilchen dauern. Was raten Sie Menschen, die mit guter Herz-Kreislauf-Prävention schon heute beginnen wollen?
Landmesser: Jeder sollte wissen, ob er einen der Haupt-Risikofaktoren hat. Man sollte seinen Blutdruck kennen und seine Cholesterinwerte. Ich würde auch sagen, dass man die Werte des Lipoproteins (Lp(a), Anm. d. Red.) kennen sollte. Und natürlich muss man wissen, ob man Diabetes hat. Darüber hinaus gilt: nicht rauchen und sich ausreichend bewegen.
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Ab wann ist Prävention wichtig?
Landmesser: Menschen, die wissen, dass in der Familie Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgetreten sind, sollten frühzeitig zum Arzt, mit 25 zum Beispiel oder auch schon früher. Wenn ich da nicht vorbelastet bin, oder es bei früheren Untersuchungen keine Auffälligkeiten gab, kann man auch länger warten. Aber bitte nicht so lange, bis man Symptome und Beschwerden hat. Je früher Prävention beginnt, desto effektiver kann ich mögliche Risiken managen. Die bauen sich meist über Jahre auf.
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Spätestens mit 50 sollte ich zur Untersuchung?
Landmesser: Bei einer Untersuchung im Alter von 50 können Sie davon ausgehen, dass bei einem sehr relevanten Teil der Bevölkerung schon Risikofaktoren vorliegen. Und je nach Befund sollte da auch die effektive Behandlung dieser Risikofaktoren beginnen. Wenn ich Werte im Grenzbereich habe, würde ich das regelmäßig kontrollieren lassen. Ich sage immer: Jeder bringt sein Auto alle zwei Jahre zum TÜV und lässt nachgucken, ob der Motor in Ordnung ist. Das lässt sich auch aufs Herz übertragen.
Und die Bildgebung? Sollte ich womöglich regelmäßig zur Prävention in die Röhre zum MRT? Dabei können Herz und Gefäße untersucht werden?
Landmesser: Ich glaube, das wird in Zukunft häufiger zum Einsatz kommen. Aber noch sind wir nicht so weit. Für mich macht Bildgebung aber bereits Sinn, wenn ich ein intermittierendes Risiko habe. Das heißt, dass ein Risiko vorhanden ist, ich aber nicht weiß, ob ich bereits behandeln muss.
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