Berlin. Die Netflix-Doku „Hack your Health“ widmet sich dem geheimnisvollen Mikrobiom. Eine Expertin sagt, was wirklich am Hype dran ist.

In Deutschland leiden rund 320.000 Menschen an chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, 12 Millionen Menschen am Reizdarm-Syndrom und drei bis vier Prozent an Nahrungsmittelallergien. Netflix hat sich das Thema Darmgesundheit vorgeknüpft, zuletzt mit der internationalen Erfolgs-Dokumentation „Hack your Health: Die Geheimnisse unserer Verdauung“.

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Der Film enthüllt, was wirklich hinter Darmgesundheit steckt: das Mikrobiom. „Das Mikrobiom ist die Gesamtheit der Billionen von Bakterien, Viren, Pilze und Einzeller im Darm“, erklärt Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann, Medizinerin und Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg, wo sie zum Einfluss der Bakterien auf die Darm- und Hautgesundheit forscht.

Das Mikrobiom sei aber nicht nur für den Darm wichtig, erklärt Axt-Gadermann. „Die Bakterien des Mikrobioms bilden Stoffwechselprodukte, die zu fast jedem Organ in unserem Körper gelangen können. Dort hemmen sie Entzündungen, aktivieren Immunzellen oder regulieren Organfunktionen. Wenn das Mikrobiom nicht gut aufgestellt ist, kann auch das Risiko für Krankheiten steigen.“

Geburt hat Einfluss auf Mikrobiom

Bei der natürlichen Geburt nimmt der Säugling Bakterien aus dem Geburtskanal der Mutter auf. „Das sind die idealen Erstbesiedler“, sagt die Expertin. Bei einer Kaiserschnittgeburt dagegen nimmt das Baby zuerst die Bakterien seiner fremden Umgebung auf. Diese sind nicht ideal für den winzigen Organismus: „Eine Kaiserschnittentbindung erhöht das Risiko für Übergewicht, Allergien und Autoimmunerkrankungen nachweislich“, erklärt Axt-Gadermann.

Auch ob das Baby mit Muttermilch gestillt wird oder Fläschchenkost bekommt, beeinflusst das Mikrobiom. „In der Muttermilch befinden sich wichtige Ballaststoffe, die die Entwicklung des Mikrobioms fördern. Auch Hersteller von Fläschchennahrung haben inzwischen präbiotische Ballaststoffe und probiotische Bakterien in ihre Pulver gemischt, um das Mikrobiom zu unterstützen“, weiß Axt-Gadermann. „An die Muttermilch kommen sie dennoch nicht ganz heran.“

Die richtige Ernährung für ein gesundes Mikrobiom

Die Ernährung spielt nicht nur für das Mikrobiom von Babys eine Rolle. Die Netflix-Doku zeigt, welchen Einfluss Ernährung auch auf das Mikrobiom eines Erwachsenen hat. Aber worauf gilt es zu achten? Die Expertin sagt: „Eine abwechslungsreiche Ernährung, die nichts verbietet, aber trotzdem pflanzlich betont ist, scheint dem Mikrobiom besonders gutzutun.“ Auch ein Stück Fleisch oder Fisch dürfe ab und zu auf den Teller kommen.

Prof. Dr. Axt-Gadermann empfiehlt eine mediterrane Ernährung: Viel Gemüse, ein bisschen Fisch und Fleisch, wenig Milchprodukte. Von Low Carb und übermäßigem Verzicht rät sie ab.
Prof. Dr. Axt-Gadermann empfiehlt eine mediterrane Ernährung: Viel Gemüse, ein bisschen Fisch und Fleisch, wenig Milchprodukte. Von Low Carb und übermäßigem Verzicht rät sie ab. © Fabian Sommer/dpa | Unbekannt

Einige Lebensmittel sind für die Bakterien des Mikrobioms besonders vorteilhaft. Axt-Gadermann empfiehlt Hülsenfrüchte, Zwiebeln, Lauchgemüse, Knoblauch, Spargel, Mandeln, Haferflocken, dunkle Schokolade und auch Kaffee oder grünen Tee, um ein gesundes Mikrobiom zu unterstützen. Bei Milchprodukten kann die Darmgesundheit insbesondere mit fermentierten Lebensmitteln wie Joghurt, Kefir, Käse und Quark gefördert werden. Von normaler Vollmilch rät die Expertin dementsprechend ab.

Die Lebensumstände spielen eine besondere Rolle

Auch das Gewicht kann vom Mikrobiom beeinflusst werden. „Man hat festgestellt, das schlanke Menschen ein anders zusammengesetztes Mikrobiom haben als Menschen, die zu Übergewicht neigen“, erklärt die Medizinerin. „Menschen, die schneller zunehmen, haben ein weniger vielfältiges Mikrobiom und ihre Darmbakterien ziehen mehr Kalorien aus dem Essen.“

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In eigenen Studien konnte Axt-Gadermann nachweisen, dass das Mikrobiom mithilfe bestimmter probiotischer Bakterien schlanker „programmiert“ werden könne. Es sei möglich, sich durch eine Ernährungsumstellung oder auch geeignete probiotische Nahrungsergänzungsmittel umzutrainieren.

Aber nicht nur die Ernährung spielt eine Rolle. Auch Hygiene, Wohnort, soziale Kontakte und Bewegung beeinflussen das Mikrobiom. Axt-Gadermann rät jedoch von übermäßiger Hygiene ab. Der Kontakt mit Schmutz und Staub würde den Bakterien im Mikrobiom guttun. Auch Nähe zu anderen Menschen und Haustieren hat positive Auswirkungen.

Schädlich hingegen sind Antibiotika und Darmreinigungen. „Man braucht keine Darmreinigung für ein gesundes Mikrobiom, auch wenn uns manche Influencer das weismachen wollen“, klärt die Expertin auf. „Eine Darmreinigung schädigt das bakterielle Ökosystem nachhaltig. Der einzige Grund, der diese Maßnahme rechtfertigt, ist die Vorbereitung auf eine Darmspiegelung.“

Mikrobiom hat Einfluss auf psychische Krankheiten

Neben der körperlichen Gesundheit hat das Mikrobiom auch Einfluss auf die Psyche. Der Darm ist durch die Darmhirnachse eng mit dem Hirn verbunden. „Entzündungen, die häufig im Darm entstehen, erhöhen das Risiko für die Entwicklung einer Depression deutlich“, erklärt Axt-Gadermann. Aber nicht nur das: „Heutzutage weiß man, dass das Mikrobiom auch bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer eine Rolle spielt.“

Gesund mit Darm Fitter gelassener und juenger mit dem richtigen Mikrobiom von Michaela Axt-Gadermann
„Gesund mit Darm. Fitter, gelassener und jünger mit dem richtigen Mikrobiom“ von Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann erschien beim Südwest Verlag, 2020 © Südwest Verlag | Südwest Verlag

Die bizarrste Szene aus der Netflix-Doku ist wohl die, in der eine Protagonistin mit Darmproblemen aus dem Kot ihres Bruders Kapseln herstellt. Was hält Expertin Prof. Dr. Axt-Gadermann von solchen Versuchen? „Stuhltransplantationen können helfen, da gibt es entsprechende Studien zu. Es selbst zu machen, halte ich aber für höchst riskant“, warnt die Medizinerin. „Jedes Mikrobiom kann ein noch nicht bekanntes Krankheitsrisiko enthalten und das wird dann mitübertragen.“

Bei Stuhltransplantationen in Kliniken würden vorher Untersuchungen durchgeführt, um die Übertragung von Krankheiten so gering wie möglich zu halten. Aber selbst dann sei eine solche Behandlung nicht ungefährlich, gibt Axt-Gadermann zu bedenken: „Alle Krankheiten kann man selbst bei einem Transfer in einer Klinik nicht ausschließen.“