Berlin. Koffeinhaltige Getränke haben oft keinen guten Ruf. Bei ADHS-Patienten können sie aber erstaunliche Effekte haben, sagt ein Experte.

Kaffee ist neben Wasser das unangefochtene Lieblingsgetränk der Deutschen. Vier Tassen pro Tag trinken die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger im Durchschnitt. Ob als schneller Energieschub am Morgen, für den Genussmoment in der Mittagspause oder als gemütliches Ritual am Nachmittag – Koffein gehört für einen Großteil der Bevölkerung zum Alltag.

In der Regel steht neben dem Genuss vor allem die anregende Wirkung des Koffeins im Vordergrund. Kaffee kann unter anderem dazu beitragen, die Konzentration zu steigern, die Motorik zu verbessern und die Wirkung von Glückshormonen wie Dopamin zu fördern. Doch wie wirkt Koffein bei Menschen, deren Nervensystem aufgrund von AD(H)S anders auf innere und äußere Reize reagiert?

Kaffee: Bei AD(H)S-Betroffenen positiver Effekt möglich

In einigen Internetforen ist zu lesen, dass Koffein bei AD(H)S-Betroffenen eine „entgegengesetzte“ Wirkung habe. Demnach sollen Kaffee und Energydrinks bei ihnen weniger anregend wirken und stattdessen sogar beruhigend wirken, da die AD(H)S-typischen Störungssymptome reduziert werden. „Grundsätzlich ist die Idee nicht schlecht. Wenn ich bei AD(H)S Stimulanzien wie Ritalin bzw. Methylphenidat einsetze, die für eine Verringerung der Symptome sorgen, könnte eine anregende Substanz wie Koffein durchaus einen ähnlichen Effekt haben“, sagt Professor Oliver Pogarell, Facharzt für Psychotherapie und Neurologie am Klinikum der LMU München.

Koffein blockiert die Adenosin-Rezeptoren im Gehirn, also den Botenstoff, der Müdigkeit fördert und die neuronale Aktivität dämpft. Sind sie geblockt, werden wir wacher und aufmerksamer. ADHS-Betroffene können jedoch anders auf Stimulanzien wie Koffein reagieren. Sie werden durch das Koffein ruhiger oder ihre Aufmerksamkeit verbessert sich. Das zeigt sich auch bei Methylphenidat (Ritalin): Während es bei Menschen ohne ADHS im Allgemeinen anregend und eher aufputschend wirkt, hilft es vielen Menschen mit ADHS, zur Ruhe zu kommen und sich zu konzentrieren.

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Zu dieser Frage sei schon viel geforscht worden, vor allem in den 70er Jahren. Die Ergebnisse: leider nicht eindeutig. „Es gibt auch einige jüngere Studien, die aber ebenfalls zu gemischten Resultaten kommen“, so Pogarell. „Man kann aus der Studienlage schließen: Koffein kann bei einzelnen AD(H)S-Betroffenen durchaus eine solche Wirkung haben. Es gibt auch immer wieder Betroffene, die davon berichten, dass sie sich nach einem Kaffee oder Energydrink ruhiger fühlen oder strukturierter denken können.“ Es handle sich dabei aber häufig nur um anekdotische Beschreibungen, die auf individuellen Erfahrungen und nicht auf wissenschaftlichen Studien basieren.

ADHS: Koffein besser als Ritalin?

Spricht also etwas dagegen, die Störsymptome von AD(H)S mit Koffein zu beeinflussen? „Koffein ist natürlich kein zugelassenes Medikament. Koffein wirkt auch nicht über dasselbe Botenstoffsystem wie etwa Ritalin. Aber unterm Strich kann die Wirkung auf Psyche und Bewusstsein durchaus mit der von zugelassenen Stimulanzien vergleichbar sein – wenn auch in einem wesentlich geringeren Ausmaß und in deutlich geringerer Effektivität“, erklärt Pogarell.

Die Effektstärke von Medikamenten wie Ritalin oder Elvanse sei dagegen sehr hoch. „Die meisten Menschen mit AD(H)S sprechen auch sehr schnell darauf an. Die Ansprechrate liegt, je nach Studie, teils über 70 bis 80 Prozent“, so der Experte.

ADHS und Koffein: Worauf sollten Betroffene achten?

Vorsicht sei allerdings geboten, wenn zwei stimulierende Substanzen wie Ritalin und Kaffee bei Menschen zusammentreffen, die ohnehin ein gewisses Ungleichgewicht in den Botenstoffsystemen aufweisen. „Dann kann es unter Umständen zu einer Wirkungsverstärkung kommen. Deshalb sollten Betroffene etwa in der Einstellungsphase auf AD(H)S-Medikamente mit Kaffee oder Energydrinks erst mal zurückhaltend sein und im Zweifelsfall immer Rücksprache mit dem behandelnden Fachpersonal halten.“

Mögliche Folgen dieser Stimulanzien-Kombination seien zum Beispiel innere Unruhe, Schlafstörungen oder Nervosität. „Da Kaffee aber ein weit verbreitetes Genussmittel ist, haben viele Menschen ohnehin eine gewisse Koffeintoleranz“, fügt Pogarell hinzu. Für Menschen, die an den Konsum von Koffein gewöhnt sind, schätzt der Experte das Risiko deshalb auch in der sensiblen Einstellungsphase eher gering ein.

Energydrinks bei ADHS: Belege fehlen

Kaum Wirkung sei bei Energydrinks von Zusätzen wie der Aminosäure Taurin zu erwarten. Eine Untersuchung an Ratten kam zwar zu dem Ergebnis, dass hochdosiertes Taurin ein geeigneter Kandidat zur Behandlung von ADHS sein könnte.

Energydrinks sind nicht für ADHS-Patienten geeignet. Entsprechende Studien wurden bereits durchgeführt.
Energydrinks sind nicht für ADHS-Patienten geeignet. Entsprechende Studien wurden bereits durchgeführt. © picture alliance/dpa | Karl-Josef Hildenbrand

Die deutlich geringeren Mengen, in denen Taurin in Energydrinks vorhanden ist, wären jedoch nicht ausreichend, um einen Effekt zu erzielen. „Gute Belege für die Wirkung von Taurin bei AD(H)S fehlen bislang“, so Pogarell.

„Grundsätzlich enthält (Filter-)Kaffee außerdem mehr Koffein als Energydrinks (100 ml Filterkaffee enthalten etwa 53 mg Koffein, 100 ml Energydrink etwa 32 mg; Anm. d. Red.) Ein starker Kaffee sollte also grundsätzlich mehr Wirkung haben als eine vergleichbare Menge Energydrink mit Koffein und Taurin“.

Der zugesetzte Zucker sei vor allem im Hinblick auf die kalorische Belastung und mögliche Risiken wie Übergewicht und die Entstehung von Diabetes relevant. Denn: Die weit verbreitete Annahme, dass Zucker Hyperaktivität und Konzentrationsprobleme bei AD(H)S verursacht oder verstärkt, ist nach heutigem Wissensstand widerlegt. Ein übermäßiger Zuckerkonsum sollte aber grundsätzlich vermieden werden.