Berlin. Die Art der Geburt beeinflusst das Immunsystem. Das haben Studien zur Impfwirkung bei Babys gezeigt. Ein Experte rät zur Vorsicht.
In Deutschland wird mittlerweile jedes dritte Kind per Kaiserschnitt geboren. Die Quote hat sich in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt. Nur etwa zehn Prozent aller Kaiserschnitte seien medizinisch notwendig, weil etwa das Leben von Mutter oder Kind in Gefahr ist, erklären gynäkologische Fachgesellschaften.
Eine Studie von Forschenden der Universitäten Cambridge (Großbritannien) und Fudan in Shanghai (China) kommt nun zu dem Ergebnis: Eine Kaiserschnittgeburt hat Nachteile für das Immunsystem von Kindern. Die Wissenschaftler hatten bei per Kaiserschnitt sowie bei vaginal geborenen Kindern die Wirksamkeit der Masernimpfung verglichen. Ihre Ergebnisse wurde im Fachjournal „Nature Microbiology“ veröffentlicht.
Bei Kaiserschnitt-Kindern war die Wahrscheinlichkeit, dass die erste Dosis des Masernimpfstoffs unwirksam ist, laut den Angaben um etwa 2,6 Mal höher als bei „normal“ geborenen Kindern. Dies bedeutet, dass das Immunsystem vieler Kaiserschnittkinder nach der ersten Impfung keine Antikörper zur Bekämpfung einer Maserninfektion bildete. Dies sei bei mehr als jedem zehnten Kind der Fall gewesen, so die Studienautoren.
In der Folge bleiben diese Jungen und Mädchen auch nach der ersten Impfung anfällig für die hochansteckende Krankheit, die per Tröpfchen übertragen wird. Erst eine zweite Impfdosis löste bei ihnen laut Studie eine robuste Immunantwort aus.
Kaiserschnitt: Wahrscheinlichkeit fürs Impfversagen erhöht
Um zu ihren Ergebnissen zu gelangen, nutzten die Forschenden aus Cambridge und Shanghai Daten aus früheren Studien mit über 1500 Kindern in Hunan (China). Bei diesen waren von der Geburt an bis zum Alter von zwölf Jahren alle paar Wochen Blutproben genommen worden. So konnte untersucht werden, wie sich die Menge der Masern-Antikörper im Blut in den ersten Lebensjahren, auch nach der Impfung, veränderte.
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„Wir sollten sicherstellen, dass Säuglinge, die per Kaiserschnitt geboren wurden, ihre zweite Masernimpfung erhalten. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass die erste Impfung versagt, ist viel größer“ schlussfolgert einer der Hauptautoren der Studie, Professor Henrik Salje vom Institut für Genetik der Universität Cambridge. „Wir wissen aber, dass viele Kinder ihre zweite Masernimpfung nicht erhalten, was für sie selbst und für die gesamte Bevölkerung gefährlich ist.“
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Eine Maserninfektion kann zu schweren Komplikationen wie Erblindung, Krampfanfällen und Tod führen. Bevor 1963 ein wirksamer Impfstoff entwickelt worden war, gab es alle paar Jahre große Masernepidemien mit Millionen Toten.
In Deutschland sind nach aktuellen Zahlen der Techniker Krankenkasse 85 Prozent der im Jahr 2020 geborenen Kinder komplett geimpft, 10,3 Prozent haben bis zum zweiten Geburtstag nur eine Teilimpfung erhalten, 4,7 Prozent waren gar nicht geimpft. Von der Ständigen Impfkommission (Stiko), die Empfehlungen zu Impfungen in Deutschland herausgibt, wird eine erste Impfung als Masern-Mumps-Röteln-Kombinationsimpfung bei Kindern im Alter von elf bis 14 Monaten empfohlen. Eine zweite Impfung sollte im Alter von 15 bis 23 Monaten erfolgen, frühestens vier Wochen nach der ersten Impfung.
Immunsystem: Wichtige Mikroben aus dem Geburtskanal
Über die Ergebnisse zur Masernimpfung hinausgehend schlussfolgert Henrik Salje aus der Studie: Die Art und Weise der Geburt habe langfristige Auswirkungen auf die Immunität gegen Krankheiten. „Wir glauben, dass Kaiserschnittkinder länger brauchen, um ihr Darmmikrobiom zu entwickeln, und damit auch die Fähigkeit des Immunsystems, sich durch Impfungen gegen Krankheiten wie Masern zu wappnen.“
Das Mikrobiom ist die große Ansammlung von Bakterien, die natürlicherweise im Darm leben. Bei einer vaginalen Geburt, so die Annahme, werde eine größere Vielfalt an Mikroben von der Mutter auf das Kind übertragen, was das Immunsystem und die Abwehrkräfte stärken kann.
Bei einer natürlichen Geburt kommt das Baby auf seinem Weg durch den Geburtskanal intensiv mit besonderen mütterlichen Bakterien in Kontakt. Diese nimmt es über Mund und Nase auf. Nach einem Kaiserschnitt fehlt ein Teil davon, weil es dabei aus der keimfreien Gebärmutter gehoben wird.
Quote der Kaiserschnittgeburten ist stark gestiegen
Zu dieser Erkenntnis kam auch schon ein Forscherteam um Prof. Debby Bogaert von der Universität Edinburgh (Schottland), das das Mikrobiom von 120 Babys in ihrem ersten Lebensmonat intensiv untersucht hatte. Die eine Hälfte der Babys war per Kaiserschnitt, die andere Hälfte natürlich geboren worden.
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Im Ergebnis ihrer Studie, erschienen im März 2023 im Fachjournal „Cell Host and Mocrobe“, fehlten den per Kaiserschnitt geborenen Babys auch noch nach einem Monat spezifische Darm-Bakterien der Mutter. Die Lücken wurden erst nach und nach über Hautkontakt oder Muttermilch aufgefüllt
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Die Forschenden um Debby Bogaert untersuchten einige Monate später auch die Immunantwort der Kinder auf ihre ersten Impfungen. Und auch hier bildete das Immunsystem der Kaiserschnitt-Kinder weniger Antikörper, was in Beziehung stand mit den fehlenden Bakterienstämmen des Mikrobioms. Dies könnte ebenfalls erklären, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, warum Kaiserschnitt-Kinder auch später noch anfälliger für Krankheiten sind.