Düsseldorf. Pisa zeigt: Schüler-Leistungen sind so schlecht wie nie. Wieder erschüttert eine Bildungsstudie NRW. Eine Lösung der Probleme ist nicht in Sicht.
Mit Bestürzung reagieren Landespolitiker und Bildungsexperten in NRW auf die Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie. Im Fach Mathematik und in der Lesekompetenz stürzten 15-jährige Jugendliche in der internationalen Leistungsstudie regelrecht ab. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) nannte die Ergebnisse unbefriedigend.
Ministerin: Keine Überraschung
„Das schlechte Abschneiden Deutschlands ist jedoch keine Überraschung, denn auch die Ergebnisse der jüngsten nationalen und internationalen Vergleiche waren nicht gut“, sagte Feller mit Blick auf die Belastungen der Schülerschaft in der Corona-Pandemie. „Das alles darf jedoch keine Ausrede sein“, so Feller. „Pisa zeigt erneut, dass wir die Basiskompetenzen Lesen, Schreiben, Rechnen und Zuhören konsequent stärken müssen.“
Sowohl im Lesen als auch in Mathematik und Naturwissenschaften schnitten die deutschen Schülerinnen und Schüler in der neuen Pisa-Studie so schlecht ab wie nie zuvor. Auch international sei die durchschnittliche Leistung drastisch gesunken, teilte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) am Dienstag in Berlin mit. In der aktuellen Erhebung liege Deutschland ungefähr im Mittelfeld unter den OECD-Staaten. Es ist das erste „Pisa-Zeugnis“ seit der Corona-Pandemie. Seit dem Jahr 2000 wird diese Studie alle drei Jahre durchgeführt.
Pisa: Schlechtes Zeugnis auch für NRW
Die neue Pisa-Studie ist kein schlechtes Zeugnis allein für Schülerinnen und Schüler in NRW, sondern in ganz Deutschland. Dennoch entfaltet jede neue Bildungsstudie an Rhein und Ruhr besonders große Wirkung, denn die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren sind nicht gut.
Zum Beispiel schnitten Im „IQB-Bildungstrend“ Neuntklässler aus NRW im vergangenen Jahr im Fach Deutsch im innerdeutschen Ländervergleich besonders schlecht ab. Beim Lesen landeten die Jugendlichen aus NRW nur auf dem 14. Platz unter 16 Bundesländern.
Besorgniserregend waren auch die Befunde des „IQB-Bildungstrends aus dem Jahr 2022 unter Viertklässlern. Demnach hat jeder fünfte Grundschüler aus diesen Klassen in NRW sehr große Probleme beim Lesen. Laut dem „Bildungsmonitor 2023“ des Institutes der deutschen Wirtschaft sind die Betreuungsbedingungen und die Bildungsausgaben in NRW unterdurchschnittlich. Und laut der internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu), die im Mai 2023 vorgestellt wurde, erreichen in Deutschland ein Viertel der Kinder nicht das Mindestniveau beim Textverständnis.
Der nächste Pisa-Schock
Nun also der nächste Pisa-Schock! Die Opposition nahm die Studie am Dienstag zum Anlass, sich einmal mehr die Bildungspolitik von NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) vorzuknöpfen. Franziska Müller-Rech von der FDP warf der Ministerin vor, bei der Bekämpfung des Lehrkräftemangels nur „im Schneckentempo“ voranzukommen. Dilek Engin von der SPD sprach erneut von einer „Bildungskatastrophe“, in der NRW stecke. Die Regierung dürfe sich nicht länger vor den Problemen „wegducken“.
Dorothee Feller ihrerseits wird nicht müde zu betonen, dass der Kampf gegen die vielen Defizite in den Schulen nicht von heute auf morgen gewonnen werden könne. Man habe es schließlich mit Menschen zu tun. Man könne da nicht wie bei einer Maschine über Nacht ein „Update“ machen, hatte Feller schon vor Monaten festgestellt.
Förderprogramme sollen Besserung bringen
Die Landesregierung hofft auf die Wirkung ihres Handlungskonzeptes zu Verbesserung der Unterrichtsversorgung und auf den Effekt diverser Maßnahmen für Grundschulkinder wie zum Beispiel „3 x 20 Minuten Lesezeit“ in der Woche.
Das zwischen Bund und Ländern verabredete „Startchancenprogramm“ soll die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Deutschland und NRW bei künftigen Bildungsstudien nicht mehr ganz so schlecht abschneiden. Davon könnten besonders jene Schulen profitieren, in denen viele Kinder aus ärmeren Familien unterrichtet werden, und von diesen Schulen gibt es im Ruhrgebiet überdurchschnittlich viele.
Die großen Lehrkräfte-Verbände in NRW erinnerten am Dienstag an die spärliche Ausstattung vieler Schulen. Es fehlten vielerorts Lehrkräfte, Pädagoginnen und Pädagogen müssten zu viel Bürokratie erledigen, und viele Schulgebäude seien marode.
GEW: Sozialer Status bestimmt über Schulerfolg
„Der negative Trend aus den vorigen Untersuchungen geht ungebremst weiter, uns fällt es sehr schwer, überhaupt etwas Positives aus den Ergebnissen herauszulesen“, erklärte am Dienstag die Vorsitzende des Philologenverbandes in NRW, Sabine Mistler. „Bei aller Kritik an der Aussagekraft der Studie und selbst vor dem Hintergrund der Coronapandemie sind die Ergebnisse alarmierend“, schrieb sie in einer Mitteilung. In Ländern mit längeren pandemiebedingten Schulschließungen seien die Pisa-Ergebnisse signifikant schlechter ausgefallen als in den Ländern mit kürzeren Schullockdowns.
„Die Ergebnisse verdeutlichen, wie stark an den Stellschrauben für das deutsche Bildungssystem gedreht werden muss. Dass die Ergebnisse für Deutschland wieder auf dem Niveau von vor 22 Jahren gefallen sind, ist eine bildungspolitische Bankrotterklärung“, sagte Ayla Çelik, Landeschefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Bildung genieße in Deutschland nicht die Wertschätzung, die sie haben müsse, kritisierte Çelik. Der Schulerfolg sei zu sehr vom sozialen Status der Familien abhängig, die soziale Ungleichheit unter Schulkindern sei geradezu zementiert. Dies gefährde die Wirtschaft und die Demokratie in Deutschland und in NRW.
Experten sehen einen Corona-Effekt
Einen Corona-Effekt erkennt auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in den Ergebnissen der jüngsten Pisa-Studie. VBE-Bundesvorsitzender Gerhard Brand weist darauf hin, dass jene Jugendliche, die im Jahr 2022 während des Pisa-Tests 15 Jahre alt waren, besonders stark von Schulschließungen betroffen gewesen seien. „Sie waren während der Coronapandemie in der 7., 8., oder 9. Klasse. Das waren vielerorts jene Klassenstufen, die als letztes wieder in die Schule gehen durften, um für die anderen die Abstandsregelungen einhalten zu können“, so Brand.
Der Chef der Landeselternschaft der Gymnasien, Oliver Ziehm, forderte unter anderem eine Verfeinerung des „Sozialindexes“, damit das Geld an der richtigen Stelle ankomme. Mit dem „Sozialindex“ wird in NRW gemessen, welche Schulen besonderen Unterstützungsbedarf haben.
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