Washington. Der Präsident und sein „Zuschläger” dehnen die Befugnisse des Weißen Hauses immer weiter aus. Fällt der Supreme Court ihnen in den Arm?

„Es gibt Momente in der Weltgeschichte, in denen die Menschen zurückblicken und fragen: Wo waren die Anwälte? Wo waren die Richter?“ Als John Coughenour, Bezirksrichter aus Seattle im äußersten Nordwesten der USA, mit diesen Worten eine der bisher heikelsten Anordnungen von US-Präsident Donald Trump (das Aus für die Staatsbürgerschaft qua Geburt) vorläufig außer Kraft setzte, brach in seinem Gerichtssaal lautstarker Beifall aus. 

Coughenour, vom republikanischen Präsidenten-Idol Ronald Reagan berufen, zitierte ausführlich die von Trump missachteten Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit. Danach war der autokratische Alleingang des 47. Präsidenten verfassungswidrig. Coughenour ist kein Einzelfall. 

USA: Donald Trump und Elon Musk stutzen den Staatsapparat

Etliche Richter unterer Instanzen haben in den ersten drei Amtswochen Trumps Stoppschilder gegen das Bestreben der Regierung aufgestellt, die US-Demokratie in Warp-Geschwindigkeit umzukrempeln und dabei die Gewaltenteilung zwischen Präsident, Parlament und Justiz de facto aufzuheben. 

US-Präsident Trump beim Nationalen Gebetsfrühstück
Über 60 präsidiale Anordnungen hat Donald Trump in den ersten drei Amtswochen erlassen, viele davon beschäftigen wegen mutmaßlicher Kompetenzüberschreitung bereits die Gerichte. © DPA Images | Evan Vucci

Trump, angetrieben von seinem einflussreichsten Berater Elon Musk, der gerade dabei ist, im Schweinsgalopp den Staatsapparat zu schrumpfen, Zehntausende Beamte zu entlassen und ganze Ministerien (demnächst das für Bildung) abzuwickeln, empfindet die Intervention der Gerichte als Majestätsbeleidigung. 

So verlangte Musk öffentlich die sofortige Amtsenthebung des Bundesrichters Paul Engelmayer. Er hatte Team Musk einstweilig den Zugang zu sensiblen Daten von Millionen Amerikanern untersagt, die in Computersystemen des Finanzministeriums verwaltet werden. 

Trump drückte seinen Unmut über die Entscheidung mit seinem Lieblingswort aus: „Schande“. Sein Vize-Präsident JD Vance wurde so grundsätzlich wie nie zuvor: „Richter dürfen die legitime Macht der Exekutive nicht kontrollieren“, sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken. Laut Verfassungsrechtlern eine „eklatante Geringschätzung“ der vor über 200 Jahren entwickelten Gewaltenteilung, die genau das Gegenteil verfügt habe. 

„Trump beansprucht im Stile päpstlicher Unfehlbarkeit, dass sich die Gerichte nicht mehr einmischen“ – ehemaliger US-Botschafter empört

John McConnell, Richter in Rhode Island, wurde das Verhalten des Präsidenten zu bunt. Am Montag gab er Trump vor, „eingefrorene Finanzmittel unverzüglich wieder freizugeben“ und sich an eine bereits Ende Januar ergangene Anweisung zu halten – andernfalls setze es Konsequenzen.

Proteste in Washington
Auch die Sabotage-Versuche Trumps gegen die staatliche Entwicklungshilfe-Agentur USAID, hier gefeuerte Mitarbeiter, ist ein Fall für die Gerichte. © DPA Images | J. Scott Applewhite

Ein ehemaliger US-Botschafter demokratischer Vorgängerregierungen interpretiert den Vorgang im Gespräch mit dieser Zeitung so: „Trump beansprucht im Stile päpstlicher Unfehlbarkeit, dass sich die Gerichte nicht mehr einmischen.” Das sei ein beispielloser Affront.

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#8 Ricarda Lang über ihren Rücktritt, Humor und alte Männer

Meine schwerste Entscheidung

„In früheren Zeiten wäre der Kongress gegen so ein Allmachtsgebaren auf die Barrikaden gegangen und hätte sein vornehmstes Recht – die Hoheit über die Staatsausgaben – eingeklagt“, fügte der frühere Diplomat hinzu. Heute sei die Lage so, dass die Republikaner sich entschieden hätten, trotz knapper Mehrheiten „Trump willfährig zu bejubeln und sich als verlängerter Arm der Regierung anzudienen, auch wenn er sie gnadenlos übergeht und blinde Gefolgschaft einfordert“. 

So gab es keinen Aufschrei der konservativen Abgeordneten, als Trump und seine zentralen Mitstreiter sich anheischig machten, bereits in der Vergangenheit vom Parlament bewilligte Ausgaben (etwa für Entwicklungshilfe) auf Eis zu legen. Trumps neuer Budget-Direktor Russell Vought bekannte sich öffentlich dazu, Gelder auch rückwirkend zu beschlagnahmen, wenn sie für Zwecke bestimmt sind, die der ideologischen Stoßrichtung Trumps widersprechen.

Analysten in Washington halten einen Showdown vor dem Obersten Gerichtshof für programmiert, weil Richter in den vergangenen Tagen auch vorübergehend verhindert haben, dass die Regierung Bundeszuschüsse in Milliarden-Höhe einfriert, Dutzende Generalinspektoren in wichtigen Ministerien entlässt, Amerikas Entwicklungshilfe-Agentur USAID komplett auflöst und Tausende Bundesangestellte mit fragwürdigen Abfindungsangeboten aus dem Arbeitsleben drängt (um nur einige Beispiele zu nennen).

USA: Was, wenn Donald Trump ein Urteil des Obersten Gerichts ignoriert?

Beim Obersten Gericht verfügt Trump über eine stabile 6:3-Mehrheit konservativer Juristen, die ihm bereits weitgehende Immunität vor Strafverfolgung zugestanden hatten. 

Die Supreme-Court-Richter Samuel Alito, Clarence Thomas, Brett Kavanaugh und John Roberts (v. li.) ahnten bereits bei der Amtseinführung Trumps, was früher oder später auf sie zukommen wird.
Die Supreme-Court-Richter Samuel Alito, Clarence Thomas, Brett Kavanaugh und John Roberts (v. li.) ahnten bereits bei der Amtseinführung Trumps, was früher oder später auf sie zukommen wird. © AFP | Chip Somodevilla

Mindestens vier Vertretern (Thomas, Gorsuch, Alito und Kavanaugh) werden Sympathien für eine umstrittene Rechtsauslegung nachgesagt, die auf eine schier unbegrenzte Machtfülle des Präsidenten hinausliefen. 

Die „Theorie der einheitlichen Exekutive“ stellt fest, dass die alleinige Exekutivgewalt im Weißen Haus liegt. Trump könne demnach nach Gutdünken Einstellungen und Entlassungen vornehmen, den Regierungsapparat neu strukturieren – ohne das Plazet des Kongresses einholen zu müssen. Und das, wann immer es ihm beliebt. 

So betrachtet könnten in den nächsten Wochen relevante Regierungsteile wie etwa das Bildungsministerium oder das „Büro für finanziellen Verbraucherschutz” über Nacht geschrottet werden. Bis Gerichte letztinstanzlich entscheiden, wäre der entstandene Schaden irreparabel.

Selbst langjährigen Trump-Fans wie dem Wirtschaftsberater Stephen Moore wird bei dem Vorgehen mulmig. „Wir bewegen uns auf eine imperiale Präsidentschaft zu. Ob das gut ist oder nicht, bleibt abzuwarten.“ Seine Sorge insgeheim: Trump könnte versucht sein, sich selbst über ein Urteil des höchsten Gerichts hinwegzusetzen. Was dann?