Brüssel. Wieder wurde in der Ostsee ein Datenkabel zerstört, Schweden vermutet Sabotage. Die Nato startet derweil einen großen Technologie-Test.
Schon wieder ein zerstörtes Unterseekabel in der Ostsee: Ein Glasfaser-Datenkabel zwischen Lettland und der schwedischen Insel Gotland ist beschädigt, Schweden ermittelt wegen mutmaßlich „schwerer Sabotage“. Der Verdacht ist beunruhigend für die Nato – und bestätigt Pläne für eine großangelegte High-Tech-Abwehr.
Beunruhigend ist, dass die Nato in der Ostsee vor wenigen Tagen bereits ein Dutzend Kriegsschiffe in der Operation „Baltic Sentry“ in Marsch gesetzt hatte, die ausdrücklich einen Auftrag erhielten: Die Operation sollte weitere Angriffe auf die kritische Infrastruktur in der Ostsee „vereiteln“, wie der Oberste Nato-Kommandeur in Europa, Christopher Cavoli, in Brüssel erklärt hat. Aber die „gezielte Abschreckung“ mit Fregatten, Hubschraubern, U-Booten und Flugzeugen hat die erneute Sabotage – wenn es eine war – nicht verhindern können.
Es war allerdings absehbar, dass die demonstrative Präsenz gar nicht reichen würde bei täglich rund 2000 Schiffen, die auf der Ostsee unterwegs sind. Doch die Allianz hat noch einen Trumpf, der jetzt ausgespielt wird: Im Hintergrund nutzt das Bündnis die Krisenlage für große Hightech-Experimente – die Ostsee wird zum Testlabor für die Konflikte der Zukunft.
In der Ostsee startet die Nato eine Flotte unbemannter Drohnenboote
Schon in wenigen Wochen will die Nato in der Ostsee in einem großen angelegten Test den Einsatz einer ganzen Flotte unbemannter Drohnenboote starten, die rund um die Uhr besonders kritische Gebiete überwachen sollen – anfangs sollen die sogenannten USV von Piloten gesteuert werden, später aber eine „größere Autonomie“ bekommen. Die Drohnenflotte mit mindestens 20 Booten wird Teil eines umfassenden Datennetzwerks, das mithilfe künstlicher Intelligenz in der Ostsee ein präzises Lagebild erstellen und verdächtige, untypische Schiffsbewegungen frühzeitig erkennen soll – potenzielle Saboteure müssten also befürchten, auf frischer Tat ertappt zu werden.
Kann so die Serie von Zwischenfällen, hinter denen getarnte Provokationen Russland vermutet werden, gestoppt werden? Erst im Dezember wurden ein Strom- und mehrere Datenkabel von Deutschland und Estland nach Finnland beschädigt, im Verdacht steht das Tankschiff „Eagle S“, das zur russischen Schattenflotte gezählt wird. Nun der neue Fall zwischen Lettland und Schweden. Erste Ermittlungen richteten sich gegen einen verdächtigen, offenbar unter maltesischer Flagge nach Russland fahrenden Tanker. Die Nato ist an den Untersuchungen beteiligt, die EU-Kommission sagte Unterstützung zu.
- Gasstreit: Robert Fico nennt Selenskyj „Feind“ der Slowakei
- „Vor Angst erzittern“: Notizen von Nordkoreas Soldaten enthüllt
- Pandemie: Multiresistente Bakterien breiten sich in der Ukraine aus
- Podcast: Kamikaze-Drohnen greifen Kupjansk an
- Nächtliche Attacken: Schwere Hexen-Drohnen jagen Putins Truppen in der Nacht
Nato-Admiral Pierre Vandier, der Oberste Befehlshaber Transformation der Allianz, beschreibt die Drohnen-Plänen so: „Bei diesem Vorhaben handelt es sich zum ersten Mal um ein operatives Experiment als Antwort auf ein operatives Problem.“ Der Kommandeur vergleicht den maritimen Einsatz mit Videoüberwachungskameras an Straßenlaternen: So wie die Polizei städtische Brennpunkte überwache und Beweise bei Verbrechen aufzeichne, solle auch die Drohnenflotte vorgehen. Ziel sei ein umfassendes Netzwerk, das alle Bilder und Videos, Radaraufklärung, auch die Daten aus den Positionsmeldungen des Automatischen Identifikationssystems der Schiffe, kombiniere, analysiere und die Ergebnisse mit Militär, Küstenwache, Polizei teilen solle, sagt Vandier. Auch die offenkundig russischen Spionageeinsätze in der Ostsee, an Windparks, Häfen, über Pipelines und Unterwasserkabeln, werden dann transparenter.
Hightech im Meer spielt bei Konflikten eine immer größere Rolle
Vorarbeiten sind geleistet mit dem Projekt Nordic Warden, bei dem unter britischer Federführung mit künstlicher Intelligenz seit kurzem die russische Schattenflotte überwacht wird. Hohe Nato-Militärs ließen sich Ende vorigen Jahres den Prototyp eines von der Allianz entwickelten Überwachungsnetzwerks „Mainsail“ vorführen, das riesige Datenmengen etwa aus Satellitenbildern, Sonarsystemen, Unterwassersensoren in Echtzeit analysieren kann.
Auf dem Kontinent werden mit Hochdruck weitere Pläne verfolgt: Die EU hat soeben Gelder aus dem neuen Verteidigungsfonds für die Entwicklung des Seacure-Projekts freigegeben, das Drohnen in der Luft, über und unter Wasser zum Schutz kritischer Meeres-Infrastruktur zum Ziel hat. Die Bundeswehr testete vor kurzem in der Ostsee die elf Meter lange und fünf Tonnen schwere, autonome Unterwasserdrohne „Blue Whale“, die verdeckte Aufklärung und Verfolgung über und unter Wasser ermöglichen soll. Solche Vorhaben zeigen, wie sehr Hightech jetzt gerade den maritimen Operationsraum erobert. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) informierte sich vor wenigen Tagen in der Bremer Lürssen-Werft über das Konzept eines hochgerüsteten Drohnen-Mutterschiffs für unbemannte Über- und Unterwasser-Boote, das die Sabotage-Abwehr der Bundeswehr verbessern würde.
Mit der Drohnenflotte in der Ostsee knüpft die Nato an Versuche der US-Marine im Persischen Golf an. Die amerikanische Task Force 59 testete dort Dutzende verschiedene Drohnenboote im Zusammenspiel mit KI, auch mit scharfer Munition. An dem Großexperiment in der Ostsee sind die USA jedoch nicht beteiligt, wie die Nato-Spitzen betonen – dass die Europäer die gesamte Operation allein stemmen, soll beim Nato-Gipfel im Juni in Den Haag eine wichtige Botschaft an US-Präsident Donald Trump und die anderen Nato-Regierungschefs werden.
Die Nato will ihren Vorsprung sichern: Wettlauf um technische Innovationen
Es gehe bei diesen Projekten auch darum, den militärischen Vorsprung der Nato zu sichern, sagt Nato-Admiral Vandier. Denn auch Russland rüstet bei der Unterwasser-Kriegsführung in der Ostsee auf, sind sich die Militärs sicher. Die Allianz hat vor einigen Jahren unter dem Eindruck russischer und chinesischer Erfolge etwa bei der Entwicklung von Hyperschallraketen begonnen, ihre Innovationsgeschwindigkeit zu erhöhen, in den USA und in Europa wurden neue Technologiezentren aufgebaut.
Während die mutmaßlichen Saboteure in der Ostsee bislang eher grobschlächtig vorgehen und tonnenschwerer Anker kilometerweit über den Meeresboden schleifen lassen, stützt sich die Nato zur Abschreckung der hybriden Angriffe auf modernste, lautlose Technologie. So zeigt sich im Meer, was schon im Ukraine-Krieg zu beobachten ist: „Die Mischung aus dem Ersten Weltkrieg und dem Krieg der Zukunft“, wie Vandier die Lage in der Ukraine beschreibt. Dort trifft der zermürbende Stellungskrieg mit Soldaten in Schützengräben auf den umfassenden Einsatz von Drohnen, künstlicher Intelligenz und Weltraumkommunikation.
Nächsten Monat wird die Nato im polnischen Bydgoszcz das neue Jatec-Zentrum eröffnen, das die jüngsten Erfahrungen auf diesem Schlachtfeld für die künftige Kriegsführung auswerten soll. Derartige Lehren seien für die Nato unabdingbar, um „konventionell und strategisch glaubwürdig“ zu bleiben, erklärt Vandier. Die Drohnenflotte in der Ostsee ist für ihn ein Muster für die Innovationen. Es gehe um einen völlig neuen Ansatz, um schneller zu reagieren und zu lernen. „Wir befinden uns in einem Wettrennen“, sagt der Admiral, „um uns anzupassen, uns zu verändern, zu erfinden, um schneller zu sein als der Gegner.“