Tokio. Seit der gescheiterten Kriegsrechtserklärung steckt Südkorea in einer Krise. Nordkorea könnte die Lage für sich ausnutzen – theoretisch.
Nordkoreas Staatspresse wartete ein paar Tage, ehe sie auf das reagierte, was südlich der Grenze geschehen war. Doch dann kam die Reaktion: Die Nachrichtenagentur KCNA stöhnte über den „schockierenden Vorfall“ um das „Marionettenregime von Yoon Suk-yeol“, das plötzlich „Chaos in ganz Südkorea angerichtet hatte“. Später legte KCNA nach: Yoon habe gelogen, indem er als Begründung für seine letztlich kurzlebige Ausrufung des Kriegsrechts eine Bedrohung aus dem Norden angeführt hatte.
Der Hintergrund: Am 3. Dezember hatte Yoon Suk-yeol – damals noch Südkoreas Präsident – überraschend das Kriegsrecht ausgerufen. Begründet hatte er diesen Schritt eben damit, dass die liberale Opposition in Südkorea von pro-nordkoreanischen Kräften durchsetzt sei. Doch Yoons offenbarer Versuch, aus Südkorea eine Diktatur zu machen, scheiterte binnen Stunden. Parlamentarier stürmten das abgeriegelte Parlamentsgebäude, stimmten gegen Yoons Schritt, der damit wieder einkassiert wurde.
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Seither befindet sich Südkorea in einer Staatskrise – die auch dadurch noch nicht besiegelt ist, dass Südkoreas Parlament die nötige Mehrheit für eine Amtsenthebung Yoons fand. Denn Südkorea wird nun von einem personell löchrigen Kabinett regiert, während das Verfassungsgericht mit dem Fall Yoon befasst ist, der auch noch ein Verfahren wegen Hochverrats anhängig hat. Am Freitag scheiterten die Behörden damit, den Ex-Präsidenten festzunehmen. Das Land bereitet sich unterdessen auf Neuwahlen vor. Aber die Zeiten dafür könnten bessere sein.
Lage zwischen Süd- und Nordkorea so angespannt wie seit Jahrzehnten nicht
Denn die Lage auf der Koreanischen Halbinsel ist so angespannt wie seit Jahrzehnten nicht. So besteht nun nicht nur Sorge um die südkoreanische Demokratie. Längst wird darüber spekuliert, ob auch Südkoreas Sicherheit akut bedroht ist. Immerhin befinden sich Nord- und Südkorea seit dem dreijährigen Koreakrieg ab 1950 – der damals nur in einen Waffenstillstand mündete – formal im Kriegszustand. Südkoreas Ex-Präsident Yoon und Nordkoreas Diktator Kim Jong-un drohten sich zuletzt wiederholt mit Krieg.
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Und jetzt ist Südkorea besonders verwundbar. Steht also ein Angriff Nordkoreas bevor, wie schon im Jahr 1950? Ein paar Hinweise gäbe es: Im November rief Kim Jong-un sein Militär dazu auf, „alle Anstrengungen auf die Vollendung der Kriegsvorbereitungen“ zu fokussieren. Im selben Monat wurde in den USA ein Mann aus China festgenommen, der offenbar Gewehre, Munition und US-Militäruniformen nach Nordkorea schicken wollte, um dort einen Überraschungsangriff auf den Süden zu unterstützen.
Zudem kann sogar Nordkoreas Beteiligung an Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine als so etwas wie eine Vorbereitung auf einen Krieg mit Südkorea betrachtet werden. Laut Schätzungen der USA und Südkorea hat Nordkorea rund 10.000 Männer zur Verstärkung Russlands geschickt. Zuletzt berichteten US-Medien und das ukrainische Militär, bis zu Hunderte von ihnen seien schon getötet – die Nordkoreaner seien schlecht vorbereitet. Der Einsatz aber könnte Trainingswirkung für einen nächsten Krieg haben.
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Nordkorea hat rund 10.000 Soldaten für Russland in den Ukraine-Krieg geschickt
Moon Chung-in, emeritierter Politikprofessor an der Yonsei Universität in Seoul, glaubt dennoch nicht dran. „Nordkorea wird Südkorea nicht angreifen. Aber es kann passieren, dass es zu Eskalationen kommt. “ Hier komme die Küstenregion in Frage sowie die hochbewaffnete innerkoreanische Landgrenze. „Im schlimmsten Fall könnte Nordkorea taktische Atomwaffen nutzen.“ Dies sind Waffen mit begrenzter Zerstörungskraft. Dann hinge es auch von der Reaktion Südkoreas und der USA ab, ob ein Krieg ausbräche.
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Tatsächlich aber deutet viel darauf hin, dass Nordkorea gar keinen Angriff auf den Süden plant. Nicht zuletzt das längere Zögern der Staatspresse, was eine Bewertung der gescheiterten Kriegsrechtserklärung durch Yoon Suk-yeol betrifft, dient als Hinweis. In Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang zieht man es offenbar vor, die nächsten Entwicklungen abzuwarten. Schließlich ist die Lage auch deshalb so angespannt, weil Yoon auf Konfrontationskurs gegenüber Nordkorea war.
Der aber ist von seinen Aufgaben nun entbunden. Damit ist ein Szenario zunächst aus dem unmittelbaren Blickfeld gerückt: Als Reaktion auf Nordkoreas personelle Unterstützung von Russlands Krieg gegen die Ukraine hatte Yoon laut insinuiert, künftig die Ukraine mit Waffen aus Südkorea zu beliefern. Bisher gelangt nur humanitäre Hilfe aus Seoul nach Kiew. Im Fall von Waffenlieferungen aber hatte Russlands Präsident Wladimir Putin damit gedroht, auch Nordkorea stärker militärisch zu unterstützen.
Neuwahlen in Südkorea könnten die Lage auf der koreanischen Halbinsel entspannen
Eine deutliche Mehrheit in Südkorea ist allerdings gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, auch um Eskalationen mit Nordkorea vorzubeugen. Sollte bei Neuwahlen nun wie derzeit erwartet die liberalere Demokratische Partei gewinnen, würde es vermutlich auch zu keinen Waffenlieferungen kommen. Stattdessen könnte sogar eine neue Phase der Entspannung zwischen Nord- und Südkorea beginnen. Historisch sind es stets die Demokraten Südkoreas gewesen, die mit Nordkorea den Austausch suchten.
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Unterstützung könnten Südkoreas Demokraten dann vom künftigen US-Präsidenten Donald Trump erhalten, der schon in einer ersten Amtszeit von 2016 bis 2020 die Gespräche mit Nordkoreas Kim Jong-un suchte. Nur wären die Vorzeichen diesmal andere: Mit Russland hat Nordkorea heute einen anderen mächtigen Freund. So wird man in Pjöngjang mit viel Selbstvertrauen gegenüber Seoul und Washington auftreten – auch wenn man sich vermutlich keinen Krieg wünscht.
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