Düsseldorf. Am 23. Februar 2025 wird ein neuer Bundestag gewählt. Er wird kleiner sein als bisher. Was sich durch das neue Wahlrecht noch ändert.
Eines lässt sich sicher sagen: Mit der nächsten Bundestagswahl am 23. Februar wird der Bundestag kleiner. Nach derzeit 733 Sitzen, wird der neue Bundestag insgesamt nur noch 630 Sitze haben. Das hat zur Folge, dass manche der Abgeordneten, die wieder als Direktkandidat zur Wahl antreten, um ihren Wiedereinzug bangen müssen, selbst wenn sie in ihrem Wahlkreis erneut siegen würden.
Grund ist die Wahlrechtsreform der Ampel-Regierung aus dem Jahr 2023. Sie könnte auch manche Wählerin und manchen Wähler bei der Stimmabgabe stärker ins Grübeln bringen, als bislang. Fragen und Antworten zur Wahlrechtsreform der Bundestagswahl:
Bundestagswahl 2025: Warum wurde das Wahlrecht reformiert?
Die Bundestagswahl 2021 führte zu einem Rekord bei der Zahl der Abgeordneten. Grund war eine Praxis der Sitzberechnung, die nun abgeschafft ist: Überhang- und Ausgleichsmandate. Zwei Gründe hatten die Ampel-Regierung dazu veranlasst, 2023 die Wahlrechtsreform zu beschließen, die am 23. Februar 2025 erstmals greift: Geld zu sparen - angeblich mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr im Vergleich zur aktuellen Zahl der Abgeordneten und allen damit verbundenen Ausgaben -, und das Parlament effizienter zu machen, was etwa die Größe von Ausschüssen und der Aufwand bei Abstimmungen angeht. Zum Vergleich: Die Zahl der Parlamentssitze in anderen westlichen Demokratien ist zum Teil deutlich geringer als in Deutschland: 435 (USA), 465 (Japan), 577 (Frankreich), 630 (Italien), 650 (Großbritannien).
Wie wird der Bundestag verkleinert?
„Wir zeigen den Bürgerinnen und Bürgern, wir können uns selbst beschneiden“
Der Deutsche Bundestag besteht aus mindestens 598 Parlamentariern - so war es bisher. Nun sollen es 630 sein. Das klingt nicht nach ‚kleiner‘? Wird es aber, denn erstmals ist die Zahl der Sitze fest vorgegeben und verändert sich nicht mehr je nach dem Verhältnis von Erst- und Zweitstimme der Wähler. Das führte bis dato zu einer komplizierten Berechnung von „Überhang-“ und „Ausgleichsmandaten“ nach einer Wahl. Hatte eine Partei per Erststimme mehr Wahlkreise gewonnen, als ihr Anteil an den Zweitstimmen war, kamen zusätzliche Sitze als „Überhang“ hinzu, denn: Wahlkreissieger hatten ihren Platz im Parlament sicher. Damit sich aber die Kräfteverhältnisse im Parlament insgesamt nicht veränderten, wurden sogenannte Ausgleichsmandate hinzugerechnet - damit führte die Bundestagswahl 2021 zum bis dato größten Bundestag in der Geschichte der Bundesrepublik. Die SPD erreichte zu ihren 170 Sitzen zum Beispiel 36 weitere, die CDU zu 123 Sitzen zusätzliche 29 - insgesamt waren es 137 Sitze mehr als die Mindestvorgabe laut damaligem Wahlrecht. Das, fand die Ampel-Regierung, sollte sich so nicht wiederholen - selbst wenn es bei manchen Wahlkreissiegern für Frust sorgen kann, wenn es bei der nächsten Bundeswahl trotzdem nicht für einen Sitz im Parlament reicht. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, SPD-Politikerin aus Duisburg, sagte im Gespräch mit dieser Zeitung, sie selbst gehe „dieses Risiko ein“ und warb dafür, dass es alle in ihrer Partei so sehen. Für sie geht von der Reform noch eine Botschaft an die Bürger aus: „Wir zeigen den Bürgerinnen und Bürgern: Wir können uns selbst beschneiden.“
Warum war die Wahlrechtsreform so umstritten?
Weil es sein kann, dass manche Direktkandidaten oder -innen nicht ins Parlament kommen, selbst wenn sie ihren Wahlkreis gewonnen haben. Die Ampel hatte in ihrer Reform zudem sogar vor, den Einzug ‚durch die Hintertür‘ zu unterbinden - die „Grundmandatsklausel“. Sie bedeutet, dass eine Partei, die an der 5-Prozent-Hürde scheitert, dennoch in den Bundestag einzieht, sofern sie mindestens drei Wahlkreise gewinnt. „Die Ampel wollte die Grundmandatsklausel aus systematischen Gründen aus dem Wahlrecht streichen“, erklärt der Politikwissenschaftler Prof. Ulrich von Alemann: „Das hätte sich zu Lasten von Linken und der CSU ausgewirkt. Die CSU hätte bei einem schlechteren Ergebnis als 2021 unter diesen Umständen sogar den Einzug in den Bundestag komplett verpassen können, weil sie nur in Bayern antritt, ihr Stimmergebnis jedoch am bundesweiten Anteil gemessen wird.“ Das Bundesverfassungsgericht verfügte im Juli 2023 auf Klage von CSU, Linken und mehreren Tausend Bundesbürgerinnen und -bürgern, dass die Grundmandatsklausel „vorläufig“ in Kraft bleiben muss.
„Das neue Wahlrecht ist viel stärker auf die Zweitstimme fixiert“
Wie steht es um Erst- und Zweitstimme bei der Bundestagswahl 2025?
Bei der Bundestagswahl bleibt es weiterhin bei zwei Stimmen, die Wählende verteilen können: Die Erststimme ist für einen Direktkandidaten oder eine -kandidatin im Wahlkreis vor Ort, in dem man mit seiner Wohnanschrift gemeldet ist, die Zweitstimme wird für die Partei insgesamt gezählt. Eigentlich hatte die Zweitstimme schon immer große Bedeutung bei Bundestagswahlen, doch „das neue Wahlrecht ist viel stärker auf die Zweitstimme fixiert“, sagt Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann: Für die Ermittlung der Sitzverteilung im Bundestag ist die Zweitstimme jetzt der wichtigste Faktor in der Berechnung.
Was ist neu bei der Sitzvergabe im Bundestag?
Gäbe es bei der Bundestagswahl nur eine einzige Stimme auf dem Wahlzettel zu verteilen, wäre die Sitzverteilung einfach. Doch obwohl nun Überhang- und Ausgleichsmandate wegfallen, ist die Berechnung am Wahlabend „weiterhin kompliziert“, sagt Martin Fehndrich, Diplom Physiker beim Unternehmen Bochumer Verein und Mitinitiator des Onlineportals wahlrecht.de. Mit Blick auf die Zweitstimmen bringt die Wahlrechtsreform den Parteien am Wahlabend „schnell Klarheit, wie viele Sitze man im Bundestag errungen hat“, weil ja die Gesamtzahl der Sitze im Wahlgesetz festgesetzt ist. Doch bei den Direktkandidaten wird es schwierig, da kann es laut Fehndrich „bei den Wahlpartys in den Wahlkreisen dazu kommen, dass Direktkandidaten erst Stunden nach Schließung der Wahllokale um 18 Uhr wissen, ob sie es tatsächlich in den Bundestag geschafft haben.“
Wie wird die Sitzverteilung im Bundestag jetzt berechnet?
Es gibt jetzt eine „Ober-“ und eine „Unterverteilung“ der erzielten Stimmen bei der Bundestagswahl, erläutert die Bundeswahlleiterin auf ihrer Website: „Zunächst werden die zu vergebenden 630 Bundestagssitze anhand der Zahl der für die Parteien abgegebenen Zweitstimmen auf die einzelnen Parteien verteilt“ - das ist die „Oberverteilung“. Dabei werden nur die Parteien berücksichtigt, die über die „5-Prozent-Hürde“ kommen oder drei Wahlkreise gewonnen haben oder zu Parteien einer nationalen Minderheit zählen, wie der Südschleswigsche Wählerverband als Vertreter der dänischen Minderheit, der im Bundestag mit einem Sitz vertreten ist. „Von der Gesamtzahl der Sitze wird die Zahl der erfolgreichen Einzelbewerberinnen und -bewerber abgezogen“, erläutert die Bundeswahlleiterin weiter. „In einem zweiten Schritt werden die in der Oberverteilung ermittelten Sitze einer Partei den jeweiligen Landeslisten nach dem Anteil der Zweitstimmen zugewiesen“ - das ist dann die „Unterverteilung“. Neu ist: „Eine Partei erhält nur dann einen Wahlkreissitz, wenn sie in dem Wahlkreis die meisten Erststimmen erhalten hat und dieser Sitz außerdem durch Zweitstimmen gedeckt ist.“ Ausnahme: „Eine Einzelbewerberin oder ein Einzelbewerber erhält einen Wahlkreissitz, wenn sie oder er die meisten Stimmen auf sich vereinigt“; das aber ist in der Geschichte der Bundesrepublik bis dato noch nie passiert.
Direktkandidat, Landesliste: Was hat es damit auf sich?
Nicht immer finden sich genug Kandidaten, die in einem Wahlkreis für eine Partei antreten wollen oder können. Deshalb können Parteien, die bei der Bundestagswahl antreten, auf Landeslisten Personen in einer bestimmten Reihenfolge festlegen, die je nach Ergebnis der Zweitstimmen einen Sitz im Bundestag erhalten sollen. Diese Listen je Bundesland sind auch wichtig, um zu regeln, wer in den Bundestag nachrückt, sollte ein Abgeordneter der eigenen Partei dort auf sein Mandat verzichten oder sterben.
Was passiert, wenn eine Partei mehr Direktmandate erringt, als ihr an Zweitstimmenergebnis zustehen?
„Es ist tatsächlich so, dass der Sieg eines Wahlkreises nach dem neuen Wahlrecht einen Platz im Bundestag nicht mehr garantiert, weil sich die Zahl der errungenen Sitze im Bundestag an der Gesamtzahl der Zweitstimmen proportional ausrichtet“, sagt Ulrich von Alemann. Mandate werden erst dann über die Landesliste verteilt, wenn alle Wahlkreisgewinner oder -innen der jeweiligen Partei einen Platz im Parlament erhalten haben. Der Anteil der Zweitstimmen gibt dabei vor, wie viele Sitze eine Partei im Bundestag erhält, die Erststimmen müssen sich mit diesem Anteil decken. Zur Ermittlung dieser „Zweitstimmendeckung“ werden in jedem Bundesland die Bewerberinnen und Bewerber einer Partei mit Erststimmenmehrheit in einer Rangliste sortiert - geordnet „nach fallendem Erststimmenanteil.“ Die nach Zweitstimmen ermittelten Sitze eines Landes in der so gebildeten Reihenfolge werden dann an die Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber vergeben, erläutert die Bundeswahlleiterin. Die Zahl der Erststimmen wird dabei geteilt durch die Gesamtzahl der gültigen Erststimmen im jeweiligen Wahlkreis. Das ergibt den „Erststimmenanteil“, der über ‚Wohl und Wehe‘ der Direktkandidaten entscheidet.
Wie sähe der aktuelle Bundestag aus, wenn das neue Wahlrecht schon 2021 gegolten hätte?
In einer Musterberechnung der Bundeswahlleiterin vom 26. November 2024 auf Basis der Wahlrechtsreform hätten bei der Bundestagswahl vor drei Jahren 28 Wahlkreissieger keinen Sitz im Deutschen Bundestag erhalten, die meisten in Baden-Württemberg (11) und Bayern (9). Für NRW hätte sich keine Veränderung ergeben. Das habe, erläutern Experten, mit der Bevölkerungs-Struktur in Sachen Stadt- und Land-Anteil in den meisten Wahlkreisen in NRW zu tun.
Ist es rechtlich tatsächlich bestätigt, dass ein Wahlkreisgewinner trotz eines Sieges als Direktkandidat nicht in den Bundestag einziehen könnte?
Dazu sagt Ulrich von Alemann: „Dass ein Wahlkreissieg nicht automatisch zu einem Sitz im Bundestag führt, hat das Bundesverfassungsgericht nicht als Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes gewertet. Das Gericht hat akzeptiert, dass das Parlament frei ist, das Wahlrecht im Rahmen des Grundgesetzes zu gestalten.“
Wie wirkt sich die Wahlrechtsreform auf das Wahlverhalten der Wähler aus?
„Die Ampel-Regierung hatte ursprünglich vor, die Zweitstimme ‚Hauptstimme‘ zu nennen, um ihre Bedeutung zu betonen, davon aber wieder Abstand genommen“, sagt Ulrich von Alemann. Die Erststimme, die bis dato Gewicht hatte, weil sie einem Wahlkreissieger ein Mandat im Bundestag garantierte, ist nur noch eine ‚Hilfsstimme‘“, erklärt er. Der Blick fällt deshalb auf eine Gewohnheit, die bei Bundestagswahlen bis dato nicht selten zu beobachten ist: Dass Wählende ihre Stimmen splitten - also aufteilen zwischen zwei verschiedenen Parteien. Wie werden sie abstimmen, wenn sie in Kauf nehmen müssen, dass ihr favorisierter Direktkandidat trotz eines möglichen Sieges im Wahlkreis nicht in den Bundestag einziehen könnte?
„Auf die Wähler hat die Wahlrechtsreform in Bezug auf die Vergabe von Erst- und Zweitstimme keine große Auswirkung“, glaubt Ulrich von Alemann: „Wohl die meisten Wähler, die sich bis dato entschieden hatten, ihre Stimmen zu splitten, werden sich im Großen und Ganzen nicht anders verhalten. Dazu ist die Zeit bis zur Wahl zu kurz. Zudem war es auch bei bisherigen Bundestagswahlen den meisten unbekannt, dass die Zweitstimme für die Zusammensetzung des Parlaments die wichtigere Stimme ist.“
„Das Wahlrecht ist im Grundgesetz nicht festgelegt, nur in einem Wahlgesetz“
Bleibt es jetzt bei den neuen Regeln für die Bundestagswahl?
„Unser Wahlrecht bei der Bundestagswahl ist ein Kompromiss zwischen Mehrheitswahlrecht, wie es die konservativen Parteien bevorzugen, und Verhältniswahlrecht, wie es die SPD in der Geschichte der Bundesrepublik favorisiert hat“, erklärt Ulrich von Alemann. „Das Wahlrecht ist im Grundgesetz nicht festgelegt, nur in einem Wahlgesetz, das mit einfacher Mehrheit im Bundestag geändert werden kann.“ Aus diesem Grund könnten sich Wählerinnen und Wähler aus seiner Sicht auf neue Änderungen einstellen - zumal bereits die Große Koalition aus CDU und SPD in der Vergangenheit versucht hatte, das Wahlrecht zu ändern. Von Alemann jedenfalls glaubt, „sollten CDU/CSU bei der nächsten Bundestagswahl die Mehrheit erringen, ist zu erwarten, dass das Wahlrecht nicht so bleibt, wie es jetzt ist.“
(dae)
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