Düsseldorf. Am 23. Februar wird erstmals nach neuem Recht gewählt, damit der Bundestag kleiner wird. Was das für die Parteien in NRW bedeutet.

Vor Wahlterminen schlägt normalerweise die große Stunde der „Teppichhändler“. So werden gelegentlich die acht Bezirksvorsitzenden der NRW-CDU genannt, die in vertraulichen Kungelrunden den Vorschlag für die Landesreserveliste aushandeln.

Hier geht es um Karrieren und Köpfe, um innerparteiliche Strömungen und Seilschaften, weshalb alles fein säuberlich gegeneinander aufgerechnet wird. Regionalproporz, Geschlecht, Erfahrung, Profil – am Ende werden die Namen penibel im „Reißverschluss-Verfahren“ gereiht.

Als am vergangenen Sonntag jedoch der Gesamtvorstand der NRW-CDU die Landesliste für die vorgezogene Bundestagswahl am 23. Februar formal abstimmte, soll dem erstmals ein eher lustloser Personalpoker vorangegangen sein. „Die Liste zieht ja eh nicht“, winkt ein altgedienter Bezirkschef ab. Wer als CDU-Kandidat seinen Direktwahlkreis nicht gewinnt, wird es schwer haben, über die Reserveliste in den Bundestag einzuziehen. Und nicht einmal alle Wahlkreisgewinner können zu 100 Prozent sicher sein, ein Mandat zu ergattern.

Bundestag wird fest auf 630 Sitze verkleinert

„Schuld“ ist die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition, die im Februar erstmals zur Anwendung kommt. Der Bundestag wird fest auf 630 Sitze verkleinert. Dies gelingt durch die Abschaffung von Überhang- und Ausgleichmandaten. Bislang zogen Wahlkreisgewinner auch dann in den Bundestag ein, wenn ihrer Partei nach dem Zweitstimmenergebnis eigentlich weniger Sitze zustanden. Damit das Gesamtverhältnis im Parlament wieder stimmte, bekamen die andere Fraktionen dafür Ausgleichsmandate. Die Folge: Der Bundestag blähte sich in einer politischen Landschaft mit vielen mittelgroßen Parteien immer weiter auf.

Damit ist nun Schluss. Am 23. Februar soll erstmals ein Bundestag gewählt werden, in dem Kandidaten, die ihren Wahlkreis gewinnen, nicht mehr garantiert bekommen, auch wirklich in Berlin zu landen. Gewinnt eine Partei mehr Wahlkreise als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustehen, gehen diejenigen mit dem schlechtesten Wahlkreisergebnis leer aus. Ein knapp gewonnener Wahlkreis bei einem schlechten Zweitstimmen-Ergebnis der Partei wird dann wertlos.

Bei der NRW-CDU haben sie bereits überschlagen, was die gegenwärtige Umfragelage als Bundestagswahlergebnis für sie bedeuten würde: Die Landesliste würde überhaupt nicht ziehen und vier oder fünf Wahlkreisgewinner, die nur knapp gewonnen haben, gingen bei den Mandaten leer aus. Vor allem in Großstädten wie Köln, Essen oder Aachen, wo sich die CDU oft enge Rennen mit Grünen und SPD liefert, könnte genau das passieren. Möglicherweise trifft es etablierte Bundestagsabgeordnete wie Serap Güler oder Matthias Hauer. Unter Umständen sogar einen Armin Laschet, der in einem zuletzt von den Grünen gewonnenen Aachener Wahlkreis antritt.

Union kann sich keine Zweitstimmen-Kampagne für FDP mehr leisten

Gibt es mehr Wahlkreisgewinner als das Zweitstimmen-Ergebnis an Bundestagssitzen hergibt, ziehen die mit den schwächsten prozentualen Erfolgen nicht mehr ins Parlament ein. Nur wenn weniger Direktmandate gewonnen werden als Zweistimmen-Ergebnis an Bundestagssitzen hergibt, kann die mühsam ausgehandelte Reserveliste der Parteien überhaupt ziehen.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann, der die Wahlrechtsreform maßgeblich mitkonzipiert hat, hält die Aufregung für übertrieben. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wahlkreis in NRW nicht zugeteilt wird, ist gering“, prognostiziert er. Was er meint: Normalerweise halten sich Erst- und Zweitstimmenergebnis in NRW einigermaßen in der Waage und bilden das Gesamtergebnis ganz gut ab. Ausreißer kann es gleichwohl geben: Zum Beispiel hatte die CDU 2021 in Baden-Württemberg viele Wahlkreise gewonnen - beim gleichzeitig bundesweit schlechtesten Nachkriegsergebnis der Union. In solchen Fällen schlägt die Reform künftig voll durch.

Hartmann hält den neuen Modus für fair und für die Bürger leichter verständlich: „Wer 30 Prozent der Stimmen gewinnt, bekommt auch 30 Prozent der Sitze.“ Das Bundesverfassungsgericht habe die Reform weitgehend bestätigt. Nur wenn es ein krasses Missverhältnis zwischen gewonnenen Wahlkreisen und Zweitstimmen-Ergebnis gebe, werde gekappt, damit der Bundestag arbeitsfähig bleibe.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann hat die Wahlrechtsreform maßgeblich mitkonzipiert.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann hat die Wahlrechtsreform maßgeblich mitkonzipiert. © FUNKE Foto Services | MATTHIAS GRABEN

Wie sich die Reform auf die SPD in NRW auswirkt, ist schwer zu sagen. Normalerweise färben sich die Wahlkreise im Ruhrgebiet und in Ostwestfalen rot, während man das Münsterland und Sauerland der CDU und die Studentenstädte Aachen, Bonn, Köln und Münster eher den Grünen überlassen muss. Neu ist nun: Auch in der SPD-Diaspora, wo niemals einer der 64 NRW-Wahlkreise zu gewinnen wäre, muss man um jede Zweitstimme kämpfen. Und im Ruhrgebiet kann sich niemand auf einem relativen Erfolg bei niedriger Wahlbeteiligung ausruhen.

„Das neue Wahlrecht beeinflusst unsere strategische Ausrichtung im Wahlkampf nur in begrenztem Maße“, sagt SPD-Generalsekretär Frederick Cordes. Der Gewinn des Direktmandats bleibe der sicherste Weg in den Bundestag. Ohnehin gelte: „Wir werden entschlossen um jede Stimme kämpfen und auf Sieg spielen“, so Cordes.

Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der seinen Wahlkreis im Sauerland hoch gewinnen dürfte und eher aus kosmetischen Gründen die Reserveliste der NRW-CDU anführt, hat seinen strategisch wählenden Anhängern bereits eingeschärft: „Es wird keine Zweistimmen-Hilfe von uns für die FDP geben. Insbesondere bei dem gegenwärtigen Wahlrecht haben wir nichts zu verschenken.“